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Der Grat zwischen frischem Wind und Fehlbesetzungen ist schmal.
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Wer ist eigentlich ein Quereinsteiger oder eine Quereinsteigerin? Jemand, der sich am Skilift von der Seite her vordrängt oder in die Straßenbahn schon einsteigt, bevor noch andere Fahrgäste ausgestiegen sind? Das ist hier nicht gemeint.
Aktuell geht es bei diesem Begriff um etwas anderes: Eine hochrangige politische Funktion erfordert in der Regel - wie auch in anderen Tätigkeitsbereichen - eine gewisse Vorbereitung und Bewährungsproben in niedrigeren Verwendungsstufen. Hat man sich dabei bewährt, dann steht einer Kandidatur für eine gesetzgebende Körperschaft oder der Berufung in andere politische Spitzenpositionen nichts im Wege. Das ist ein bewährtes Prinzip.
Der politische Quereinsteiger ist hingegen jemand, der - meist durch die Unterstützung eines Mentors - in eine hohe politische Funktion einsteigt, ohne sich selbst in diesem Metier bewährt und durchgesetzt zu haben. Ist das nun gut oder eher problematisch?
Einige Vor- und Nachteile sind leicht zu erkennen. Vorteilhaft ist zweifellos, dass Quereinsteiger eine gewisse Blutauffrischung in eine politische Körperschaft bringen können - in den Nationalrat ebenso wie in die Bundesregierung. Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner ist dafür ebenso ein gutes Beispiel wie Justizminister und Vizekanzler Wolfgang Brandstetter. Vorteilhaft kann darüber hinaus sein, dass bestimmte vernachlässigte Berufsfelder, die in einer politischen Körperschaft fehlen, oder Gruppierungen, die unterrepräsentiert sind (zum Beispiel Minderheitenvertreter, manuelle Arbeiter, hochqualifizierte Experten) durch Quereinsteiger abgedeckt werden können.

Dem muss man allerdings die Tatsache gegenüberstellen, dass etliche Quereinsteiger - sowohl im Parlament als auch in der Regierung - glatte Fehlbesetzungen waren. Sie wurden meist mit viel medialem Trommelwirbel in ihre Funktionen gehievt, waren der Aufgabe aber nicht gewachsen und verschwanden einige Zeit später ziemlich sang- und klanglos wieder von der Bildfläche.
An dieser Entwicklung sind meines Erachtens in erster Linie aber nicht die Betroffenen selbst schuld, sondern jene, die Quereinsteiger in Kenntnis der damit verbundenen Risiken, aber in der Hoffnung auf medialen Rückenwind auf die politische Bühne holen.
Wichtige Auswahlkriterien
Ein ganz entscheidender Faktor ist daher, nach welchen Kriterien Quereinsteiger ausgesucht werden: Wenn es zum Beispiel - wie schon erwähnt - darum geht, in einer Parlamentsfraktion die Kompetenz im Wissenschaftsbereich zu erhöhen, und deshalb einem Universitätsrektor - auch wenn dieser nur wenig oder gar keine politische Erfahrung hat - der Einzug in den Nationalrat ermöglicht wird, dann ist das eine Entscheidung, die - wenn die Wählerinnen und Wähler mitspielen - Respekt verdient; wenn aber die Auswahl von Quereinsteigern primär nach Populismuskriterien und medialen Aspekten erfolgt, kann man das nicht als Dienst am Parlamentarismus bezeichnen. Außerdem könnte dadurch ein relativ neues, aber meines Erachtens unerfreuliches Phänomen verstärkt werden, das darin besteht, dass in jüngster Zeit einzelne Abgeordnete gegen Ende einer Gesetzgebungsperiode hin plötzlich entdecken, dass eigentlich eine andere oder eine neue Partei für sie das Richtige wäre; und zwar genau in dem Moment, in dem sich abzeichnet, dass sie einen sicheren Listenplatz in ihrer bisherigen Gesinnungsgemeinschaft verlieren könnten.
Keine Partei-Wanderpokale
Ich bin also zusammenfassend der Meinung, dass sogenannte Quereinsteiger auf Kandidatenlisten oder in hochrangigen politischen Funktionen durchaus eine Bereicherung für die Politik sein können - vorausgesetzt, dass bei der Auswahl solcher Quereinsteiger mit Verantwortungsbewusstsein vorgegangen wird und die betreffende Parlamentsfraktion oder Wahlpartei ihre Funktion als Gesinnungsgemeinschaft mit Grundsätzen, auf deren Einhaltung sich die Wählerinnen und Wähler verlassen können, nicht vernachlässigt oder gänzlich aufgibt.
Abgeordnete, die gegen Ende einer Gesetzgebungsperiode auf der Suche nach einem Mandat wie ein Wanderpokal von Fraktion zu Fraktion wandern, sind hingegen keine Bereicherung der Politik.
Heinz Fischer wurde 1938 in Graz geboren. Von 2004 bis 2016 war er österreichischer Bundespräsident. Davor war er ab 1971 Abgeordneter der SPÖ zum Nationalrat (ab 1975 Klubobmann), von 1983 bis 1987 Wissenschaftsminister und von 1990 bis 2004 zunächst Erster und dann Zweiter Nationalratspräsident. Sein nächster Gastkommentar in der "Wiener Zeitung" erscheint am 21. September.