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Quereinsteiger in diesem Land

Von Stefan Beig

Politik
Auch als Westeuropäerin spüre man eine gewisse Zerrissenheit, meint Emily Walton.
© © Stanislav Jenis

Als gebürtige Engländerin gilt sie in Österreich nicht als "echte" Ausländerin.


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Wien. Auch als zugereiste Engländerin muss man sich in Österreich integrieren. Das beschreibt Emily Walton in ihrem kurzweiligen Debütroman "Mein Leben ist ein Senfglas", der stark autobiografische Züge aufweist. Poppy Simmons heißt ihre englische Protagonistin, die - wie Walton - als Achtjährige 1992 gemeinsam mit ihren Eltern ins Salzkammergut übersiedelt. "Ich wollte zeigen, wie es einem geht, wenn man immer ein klein wenig anders ist", sagt Walton, die gleichzeitig betont, ein optimistisches Buch geschrieben zu haben: "Es geht Poppy keineswegs schlecht. Sie wurde gut aufgenommen."

Humorvoll und sehr bildhaft schildert Emily Walton, wie ihre Protagonistin in jedem Kapitel aufs Neue mit dem Zusammenprall ihrer Herkunft auf das neue Umfeld konfrontiert ist. Es fängt an mit Poppys Namen, der dauernd falsch ausgesprochen wird, vor unerwartete Herausforderungen stellt sie als Angehörige der Church of England auch die Schulbeichte beim Priester, und schließlich muss sie es noch ertragen, gemeinsam mit Drei- bis Fünfjährigen im Skikindergarten die ersten Bögen zu erlernen.

Die Ähnlichkeiten zu Emily Waltons Leben sind unverkennbar. Wie ihre Protagonistin ist Walton ein Einzelkind. "Wäre Poppy mit Geschwistern aufgewachsen, hätte ich ihre Situation nicht wirklich nachempfinden können. Sie hätte sich vielleicht nicht so einsam gefühlt", meint Walton, die weiß, wie es ist, wenn die nächsten Verwandten tausende Kilometer entfernt sind.

"Mein Leben bildet das Grundgerüst", sagt die junge Autorin. Gleichwohl hat sie in allen Geschichten Autobiografie mit Fiktion verfremdet: "Für das Buch habe ich ein Mädchen geschaffen, das nicht mehr ich selbst bin." Emily Walton beschreibt Poppy als "neugierig, etwas tollpatschig und immer ein wenig anders als der Rest".

Es war Waltons Intention, eine Migrantengeschichte zu schreiben. Freilich zeigt sich dabei, wie weit der Migranten-Begriff eigentlich ist. Wer aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen sein Herkunftsland verlässt und aus dem Osten kommt, gilt meist als Migrant. Das sei auch gut so, meint Walton. "Für mich als Engländerin brauchte es keine speziellen Integrationsprogramme." Sie sieht sich auch nicht als Migrantin und wurde auch nicht so wahrgenommen. "Du bist ja keine ,echte Ausländerin, höre ich oft." Der westeuropäische Kulturkreis sei eben sehr ähnlich. Die Westeuropäer gelten einfach als mobil, weil sie meist gut gebildet sind und auch nicht aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen ausgereist sind. "Diese Unterscheidung von guten und schlechten Ausländern ist im Denken schon stark verankert."

Dennoch: Auch als Westeuropäerin spüre man eine gewisse Zerrissenheit und stelle sich die Frage: "Wo gehöre ich hin?" Einerseits sehe sie sich nicht als Österreicherin, weil sie hier keine Verwandten hat, erzählt Walton. Andererseits könne sie aber im Moment auch nicht vorstellen, woanders zu leben, und sie merke, wie ihre englischen Wurzeln allmählich verloren gehen. "Genau diese Empfindungen beschreiben auch jene, die zu einer großen Migrantengruppe gehören."

Zuhause ist nicht Herkunft

Gewisse Erfahrungen bestärken dieses Gefühl, etwa wenn Emily Walton mit ihrer Großmutter telefoniere und ihr dabei bestimmte ökonomische oder naturwissenschaftliche Begriffe auf Englisch nicht einfallen. Ein bestimmtes Wissen ihrer Altersgenossen fehle ihr aber auch: "Ich hatte lange keine Ahnung von den Barbapapas, von Mini Bydlinski oder von Joesi Prokopetz. Es gibt da eine Art black box. Ich bin Quereinsteigerin in diesem Land."

Walton unterscheidet Zuhause von Herkunft: "Zu Hause bin ich dort, wo ich mich wohlfühle. Diesen Ort schaffe ich mir selbst, dort habe ich die Menschen um mich, die ich liebe, und kann ganz ich sein. So fühle ich mich in Österreich." Ihre Wurzeln freilich liegen in England. "Deshalb möchte ich auch meinen englischen Pass behalten; er drückt meine Herkunft aus."

Angehörigen von Emily Waltons Generation ist vieles in ihrem Buch vertraut - beliebte TV-Serien oder das Miterleben der Fußballeuropameisterschaft 1996, als England im Finale gegen Deutschland scheiterte. Walton betont auch selbst, dass sie Grundstimmungen beschreibt, "die jeder kennt, egal ob er aus einem anderen Land kommt oder nicht. Dass man sich einmal für seine Eltern schämt, sich vor der Direktorin versteckt, spezielle Probleme mit einem Lehrer hat, das kann jeder nachempfinden."

Dazu gehöre auch Poppys Suche nach Geborgenheit. "Man braucht diesen Rückzugsort, wo man hundertprozentig in Sicherheit ist, ein Ort, an dem man alle Masken ablegen kann, wo man ganz man selbst sein kann und sich selbst spüren kann. Poppy sucht diesen Ort der Geborgenheit immer wieder, zuerst in ihrer selbstgebauten Höhle im Keller."

Der Roman ist ein Mix aus zwölf Geschichten, die humorvoll und dann wieder ernst sind. "Jede Geschichte hat eine eigene Stimme", betont die Autorin. Die Konzeptphase habe so lange gedauert wie das Schreiben.

Was bedeutet eigentlich der Titel des Buchs? Mit dem Senfglas veranschaulicht Emily Walton die Migration: "Das Senfglas erfüllt eine Funktion: Es ist ein Gegenstand, den man überall hin mitnehmen und immer wieder füllen kann. In meinem Buch ist es zuerst mit Pennys gefüllt, später mit Zehn-Groschen-Stücken."