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Zweites irisches Referendum wäre hochriskant. | Werden die Ratifikationsverfahren vor der EU-Wahl 2009 entschieden? | Nachdem bereits 18 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) den Vertrag von Lissabon ratifiziert hatten, lehnte ihn das irische Volk am 12. Juni in einem obligatorischen Referendum mit 53,4 Prozent Nein-Stimmen deutlich ab.
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Besonders überraschte dabei aber der Umstand, dass dieses Votum bei einer Wahlbeteiligung von 53,1 Prozent zustande kam. Hatte man mit einem negativen Entscheid - wenn überhaupt - doch nur bei einer viel geringeren Wahlbeteiligung gerechnet, wie das zum Beispiel beim ersten negativen Votum Irlands über den Vertrag von Nizza am 7. Juni 2001 - mit bloß 34,8 Prozent Beteiligung - der Fall war.
Die massive Verwerfung des Vertrages von Lissabon wurde in ersten Kommentaren zwar auf eine Reihe "diffuser Motive" - wie Schutz der Neutralität, des Abtreibungsverbotes, der Steuerhoheit Irlands etc. - zurückgeführt, hat aber in Wirklichkeit vor allem drei Ursachen. Zum einen ist es der irischen Regierung seit dem Urteil des irischen Supreme Court in der Causa Patricia McKenna im Jahre 1995 nicht mehr möglich, öffentliche Gelder für eine (einseitige) EU-Kampagne auszugeben, und zum anderen gelang es dem irischen Multimillionär Declan Ganley, mit seiner Organisation "Libertas" eine sehr effektive Nein-Kampagne zu lancieren. Des weiteren ging die Mehrzahl der Iren offensichtlich davon aus, dass eine Ablehnung des Lissabonner Vertrages ihre Regierung (politisch) dazu ermächtigen würde, den Vertrag in ihrem Sinne "nachzuverhandeln", wie dies nach dem negativen Votum zum Vertrag von Nizza auch tatsächlich der Fall war und am 19. Oktober 2002 zu einem zweiten Referendum führte, das dieses Mal positiv ausging. Das Zugeständnis an Irland war in diesem Fall eine gemeinsame Erklärung der EU-Mitgliedstaaten, dass die irische Neutralität durch die EU nicht angetastet werde.
Die Reaktion aufdas irische Nein
Die "Schrecksekunde" auf das negative irische Referendum war offensichtlich so lähmend, dass der wenige Tage später, nämlich am 16. Juni, tagende Rat "Allgemeine Angelegenheiten und auswärtige Beziehungen", nicht in der Lage war, darauf entsprechend zu reagieren. In dessen offizieller Traktandenliste [10726/08 (Presse 177)] scheinen zwar Debatten über Afrika, den mittleren Osten, China, den Iran etc. auf, das irische Nein findet aber keine wie immer geartete Erwähnung.
Mit anderen Worten, die Außenminister der 27 Mitgliedstaaten waren nicht in der Lage, dem wenige Tage danach stattfindenden Europäischen Rat den irischen "Betriebsunfall" näher aufzubereiten.
Dementsprechend lakonisch fiel auch die Reaktion des Europäischen Rates auf seiner Tagung vom 19./20. Juni in Brüssel aus. Dieser nahm das Ergebnis des irischen Referendums zur Kenntnis, nachdem er sich auf der Grundlage einer Bewertung durch den irischen Premier Brian Cowen einen ersten Überblick über die Lage verschafft hatte. Er stimmte auch dem Vorschlag Irlands zu, auf seiner nächsten Tagung am 15. Oktober auf diese Frage zurückzukommen. In diesem Zusammenhang entschied die irische Regierung am 24. Juni, ein Forschungsprojekt über die Ursachen der irischen Verwerfung des Lissabonner Vertrages in Auftrag zu geben, das bis zum nächsten Europäischen Rat vorliegen sollte.
Hindernisse derDurchratifikation
Der politisch und juristisch entscheidende Beschluss des Europäischen Rates war aber der, dass im Lichte des Umstandes, dass zwischenzeitlich 19 Mitgliedstaaten den Vertrag von Lissabon ratifiziert haben, "die Ratifizierungsverfahren in den übrigen Ländern fortgesetzt werden" [Europäischer Rat, Schlussfolgerungen des Vorsitzes (Doc. 11018/08 CONCL 2), vom 20. Juni 2008, Seite 1)]. Der Tschechischen Republik wurde bei dieser Gelegenheit in einer Fußnote zugestanden, dass ihr Ratifizierungsprozess - wenn überhaupt - erst nach einem positiven Votum des tschechischen Verfassungsgerichts abgeschlossen werden könne.
Der Senat, die Zweite Kammer der tschechischen Legislative, hatte nämlich im April 2008 den Vertrag von Lissabon dem Verfassungsgericht in Brünn zur Prüfung auf seine Verfassungskonformität vorgelegt.
Im Gegensatz zum Verfassungsvertrag, bei dem die "Erklärung (Nr. 30) zur Ratifikation des Vertrages über eine Verfassung für Europa" noch eine Pflicht zur Durchratifikation - auch im Falle von entsprechenden "Betriebsunfällen" - angeordnet hatte, wurde diese im Falle des Vertrages von Lissabon erst durch einen Beschluss des Europäischen Rates herbeigeführt. Dieser Selbstbindungsverpflichtung der Mitgliedstaaten im Schoß des Europäischen Rates stellten sich aber sofort nach deren Verabschiedung eine Reihe von Hindernissen in den Weg.
Zunächst ist auf die Situation in Tschechien zu verweisen, die durch den europakritischen Präsidenten Vaclav Klaus noch verschärft wird. Der tschechische Ministerpräsident Mirek Topolanek erklärte diesbezüglich, dass er auf ein Ja der Tschechen "keine 100 Kronen (Anm.: Das sind nicht einmal vier Euro) wetten würde". Im Gegensatz dazu entschärfte sich die Situation in England, wo der konservative Milliardär Stuart Wheeler die Regierung Brown auf Abhaltung eines Referendums über den Lissabon-Vertrag geklagt hatte. Nachdem der Richter des Londoner High Court die Klage abgewiesen hatte, billigte das Oberhaus am 18. Juni den Abschluss des Vertrages.
Der polnische Präsident Lech Kaczynski wiederum kündigte in einem Interview für die Zeitung "Dziennik" an, den Vertrag von Lissabon nicht ratifizieren zu wollen, da dieser nach dem irischen Votum "gegenstandslos" sei. Zugleich erklärte er aber auch, dass er die Ratifizierung vom Erlass eines sogenannten "Kompetenzgesetzes" abhängig mache, das bestimmen sollte, unter welchen Bedingungen die polnische Regierung zukünftig Änderungen des EU-Vertrages zustimmen dürfe. In Polen hatte das Parlament der Ratifizierung des Vertrages von Lissabon bereits Anfang April 2008 zugestimmt.
Auch der deutsche Bundespräsident Horst Köhler erklärte, auf ausdrücklichen Wunsch des Bundesverfassungsgerichts die Ratifikation bis zu dessen Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des deutschen Zustimmungsgesetzes zum Vertrag von Lissabon aussetzen zu wollen.
Bundestag und Bundesrat hatten dieses Gesetz bereits im Frühjahr mit der nötigen Zweidrittelmehrheit verabschiedet. Sowohl der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler als auch die Bundestagsfraktion der Linken unter der Führung von Gregor Gysi hatten zum einen Verfassungsklagen, zum anderen aber auch Anträge auf einstweilige Verfügungen eingebracht, mittels derer der Bundespräsident gehindert werden sollte, den Vertrag von Lissabon zu ratifizieren.
Zweites Referendum als riskantes Unterfangen
Köhler hatte schon einmal im Jahr 2005 mit derselben Begründung die Ratifikation des vom Parlament bereits genehmigten Verfassungvertrages verweigert, gegen den ebenfalls Peter Gauweiler und andere geklagt hatten. Rechtspolitisch wäre es allerdings um vieles eleganter gewesen, sich wie der frühere deutsche Bundespräsident, Roman Herzog, zu verhalten, der den Vertrag von Maastricht (1992) zwar ratifizierte, aber so lange in seinem Büro zurückhielt - und nicht dem Depositär, der italienischen Regierung, zumittelte - bis das Bundesverfassungsgericht in seinem "Maastricht-Urteil" vom 12. Oktober 1993 (positiv) entschieden hatte. Damit hatte sich Herzog zur Ratifikation des Maastricht-Vertrages bekannt, ohne allerdings dem Urteil des Höchstgerichtes vorzugreifen. Damals, vor 15 Jahren, hatten die Grünen und der frühere FDP-Europapolitiker Manfred Brunner gegen den Abschluss des Vertrages von Maastricht geklagt.
Vor allem aufgrund der höchstgerichtlichen Verfahren in der Tschechischen Republik und in Deutschland ist damit zu rechnen, dass sich die Ratifikationsverfahren des Lissabon-Vertrages bis in das nächste Jahr hinziehen werden. Ob sie daher noch vor der nächsten Direktwahl des Europäischen Parlaments im Juni 2009 abgeschlossen werden können, ist mehr als fraglich. Aber erst wenn die Ratifikationen aller anderen 26 Mitgliedstaaten vorliegt, würde der Druck auf Irland so zunehmen, dass die Abhaltung eines zweiten Referendums wohl unvermeidlich wäre.
Am Europäischen Rat vom 15./16. Oktober 2008 sollen nun die Weichen für die weitere Vorgangsweise gestellt werden. Der irische Ministerpräsident Cowen wird bei dieser Gelegenheit Lösungsvorschläge anbieten, die letztlich aber auf ein neues Referendum hinauslaufen werden. Um nicht die bisherigen Ratifikationen zu gefährden, könnten Irland in diesem Zusammenhang allerdings nur solche Konzessionen geboten werden, die keine Änderungen des Lissabon-Vertrages darstellen würden. Ob sich der irische Wähler damit begnügt, bleibt dahingestellt. Ein zweites Referendum ist ein hochriskantes Unterfangen.
Waldemar Hummer ist Universitätsprofessor für Europa- und Völkerrecht an der Universität Innsbruck.
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