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Bei den Europawahlen droht in den neuen Beitrittsländern ein Vormarsch der Populisten. In Polen kann der ultraradikale Brüssel-Hasser Andrzej Lepper zumindest mit dem zweiten Platz rechnen. Auch ein Sieg scheint nicht völlig ausgeschlossen.
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Andrzej Lepper weiß, wie Polen verraten wurde. "Kaum haben sich unsere EU-Verhandler in Brüssel an den Tisch gesetzt, da begannen sie schon, unter dem Tisch nach den Koffern mit Bestechungsgeldern zu suchen. Jetzt kandidieren sie für das EU-Parlament. In Polen haben sie ja nichts mehr zu tun, sie haben ihre Aufgabe erfüllt und unser Land verkauft."
In unzähligen Abwandlungen erzählt der Chef der Populistenpartei "Samoobrona", zu deutsch: Selbstverteidigung, die durch nichts belegte Geschichte. Kaum ein Wahlauftritt, bei dem er nicht auch betont, dass "Polens Beitritt zur EU uns nichts, der Union aber Millionen von Arbeitsplätzen bringt, die sie durch den Handel mit Polen gewinnt." Die Brüssel-Schelte kommt bei den Wählern gut an: Meinungsumfragen zufolge kann die Samoobrona bei den Europawahlen am kommenden Sonntag zumindest auf siebzehn Prozent der Wählerstimmen und den zweiten Platz hinter der konservativen Bürgerplattform PO hoffen. Doch auch ein Sieg scheint nicht völlig ausgeschlossen.
"EU-Austritt"
"Polen war das erste Land, das den Nazis die Stirn geboten hat, Polen war das erste Land, das den Kommunismus stürzte, Polen wird daher wenn es nötig ist, Europa auch zeigen, wie man aus der EU austritt", sagt Lepper, der jetzt, in der heißen Wahlkampfphase, niemals auf eine weiß-rot gestreifte Krawatte verzichtet. Mögen andere Parteien in ihrer Wahlwerbung auf dezentes Europablau setzen, der Populistenchef hält sich lieber an die polnischen Nationalfarben.
Für den knapp 50-Jährigen, der nach der Wende als Anführer von Bauernprotesten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, sind die bevorstehenden Europawahlen allerdings nur eine Zwischenetappe. Denn Leppers Hauptziele heißen: Regierungsübernahme bei den kommenden Parlamentswahlen, oder wenn es dazu nicht reicht, die Präsidentschaft. Gänzlich ausgeschlossen scheint weder das eine, noch das andere Szenario. Denn zeitgleich mit der letzten Phase des polnischen EU-Beitritts hat sich auch die politische Landschaft im Land grundlegend geändert.
Bis vor Kurzem bestimmte weitgehend die klassische Links-Rechts-Achse die Kräfteverteilung. Tendenziell kirchennah, traditionsverbunden und eher neoliberal waren die Kennzeichen der Rechtsparteien, die auch mehrheitlich aus dem sogenannten Post-Solidaranosc-Lager stammten. Laizistisch, in gesellschaftlichen Fragen reformorientiert und für einen sozialen Kapitalismus eintretend gab sich indessen die Linke, die mit wenigen Ausnahmen von zu Sozialdemokraten gewendeten Exkommunisten gebildet wurde. "Nun gerät die Verteilung aber massiv ins Wanken. Die wichtigste Trennlinie scheint nicht mehr die zwischen links und rechts zu sein, sondern die zwischen oben und unten, also zwischen verarmt und relativ wohlhabend", analysiert der Warschauer Soziologe Tomasz Zukowski.
Anwalt der Deklassierten
Der kometenhafte Aufstieg der Samooobrona, deren Führer bei den Präsidentschaftswahlen 1995 gerade ein Prozent der Stimmen erreichte, und der gleichzeitige Absturz des (noch) regierenden SLD-Bündnisses der demokratischen Linken bestätigen diese These. Erstmals in der fünfzehnjährige Geschichte des nichtkommunistischen Polen entwickelt sich mit der Samoobrona auf breiter Basis eine Bewegung, in der die historische Trennung zwischen dem postkommunistischen und dem Ex-Solidarnosc-Lager aufgehoben ist: Lepper bekommt Zulauf von da wie von dort, auf Leppers Wahllisten zum EU-Parlament sind einstige Haudegen der radikal antikommunistischen "Solidarnosc 80" ebenso zu finden, wie Leute mit langjähriger Nomenklatura-Vergangenheit. Was ihre Unterstützer einigt, ist das Gefühl, nachhaltig zu Deklassierten in einer sich überaus dynamisch nach vorn entwickelnden Gesellschaft geworden zu sein. Was sie überdies antreibt, ist das nicht unbegründete Gefühl, die politischen Eliten des Landes würden soziale Probleme nicht einmal mehr wahrnehmen.
Andrzej Lepper, zu dessen Meetings regelmäßig Hunderte von Menschen kommen, während einstige Größen der polnischen Politik wie zum Beispiel der frühere Außenminister Bronislaw Geremek vor zwanzig, dreißig Menschen reden müssen, weiß sich dieser Ohnmacht zu bedienen. Als Kämpfer gegen die Korruption und die "Zerstörung der polnischen Wirtschaft" kennt Lepper neben der EU vor allem einen Hauptfeind: Leszek Balcerowicz, den streng neoliberalen Vater der polnischen Wirtschaftsreform, der heute Chef der Nationalbank ist. "Dieser Halunke, dieser ökonomische Bandit hat Polen zerstört. Solange diese Bestie in der Nationalbank sitzt, wird sich gar nichts im Land ändern" wettert Lepper. Balcerowicz sei nach Leppers Ansicht überdies der Hauptschuldige für die Nöte der polnischen Bauern, weil er die Geldreserven der Nationalbank nicht für billige Kredite für die Landwirte zur Verfügung stellen will. Auch sonst sind Leppers ökonomische Vorschläge eher grob geschnitzt: Der Samoobrona-Vorsitzende verspricht radikale Steuersenkungen, niedrige Sozialversicherungsbeiträge und vom Staat kontrollierte maximale Gewinnspannen bei allen Konsumartikeln - damit dem "Wucherwesen der Supermärkte" ein Ende gesetzt wird.
Kontakte zu Russland
Auf der außenpolitischen Bühne fällt Lepper, der kurzfristig Vizemarschall des polnischen Parlaments war, vor allem durch gute Kontakte nach Russland auf - namentlich in das kommunistisch-nationale Lager. Die Verhaftung von Jukos-Chef Michail Chodorkowski hat Lepper Polens Politikern als ein überaus glänzendes Beispiel vorgestellt: "Wir von der Samoobrona sind für eine gerechte Vergeltung. Für Wirtschaftsverbrechen soll es lebenslänglich und Arbeitslager geben. Aber wenn so einer ins Gefängnis geschickt wird, dann heißt es gleich: Anschlag auf die freie Marktwirtschaft. Der Putin, der hat keine Angst - er hat gleich den Reichsten eingesperrt."
"Wir lassen uns nicht ins Gesicht schlagen, wir werden wie Löwen kämpfen.", heißt es in der Samoobrona-Hymne, die Andrzej Lepper im Wahlkampf bei jeder Gelegenheit spielen lässt. Dass die Hymne Anleihen bei der Dichterin Maria Konopnicka nimmt, die 1908 in einem patriotischen Gedicht schrieb: "Der Deutsche wird uns nicht ins Gesicht spucken", dürfte dem Vorsitzenden, falls er das bemerkt hat, durchaus Recht sein. Denn für Lepper ist klar: der Osten ist nicht das Problem, das Unheil wird über Polen gewiss aus dem Westen hereinbrechen - aus Berlin und aus Brüssel.