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Wesentlich für die Intelligenz von Vögeln ist das Nidopallium. | Raben, Saatkrähen und Papageien sind besonders clever. | Berlin. Das ging erst mal schief. Der Kolkrabe hat genau beobachtet, in welcher der verschieden-farbigen Futterdosen der Wissenschafter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle (KLF) Grünau und der Wiener Universität den Leckerbissen deponiert hat. Wenn es um verstecktes Futter geht, hat so ein Rabe ja ein hervorragendes Gedächtnis. Als er zum nächsten Mal in den Raum mit den Futterdosen darf, schaut er sofort in die Dose mit dem Happen.
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Zum Fressen aber kommt er wieder nicht, weil der mit ihm in den Raum spazierte Rabenbruder in der sozialen Hierarchie der Gruppe höher steht und ihm den Leckerbissen wegschnappt. Aus Schaden wird der Kolkrabe aber klug, beim nächsten Versuch Tage später tappt er erst einmal zu einer leeren Futterdose. Auch diesmal will ihm der Bruder das Futter klauen, sucht aber jetzt vergeblich in der leeren Dose. Längst ist der rangniedere Rabenbruder zur Dose mit dem Leckerbissen gewackelt und hat endlich seine verdiente Belohnung im Schnabel. "Taktischen Betrug" nennt KLF-Forscher Christian Schloegl dieses clevere Verhalten.
Der Verhaltensbiologe untersucht die Intelligenz von Vögeln. Rabenvögel und Papageien interessieren ihn besonders, weil in diesen Gruppen das Nidopallium relativ groß ausfällt. Das Nidopallium im Vogelgehirn aber entspricht der Großhirnrinde bei Säugetieren. Dort finden jeweils die höheren kognitiven Prozesse statt, in diesem Teil des Gehirns denkt das jeweilige Lebewesen.
Meister im Verstecken
Relativ viel Platz nimmt dieses Großhirn bei Walen, der Hundefamilie, Elefanten und den Affen bis hin zum Menschen ein. Diese Gruppen aber teilen viele Eigenschaften: Sie leben in Gemeinschaften zusammen, deren Mitglieder sehr stark miteinander interagieren. Wölfe und Hyänen zum Beispiel jagen gemeinsam, und jedes Tier übernimmt eine bestimmte Aufgabe. Die kann es nur erfüllen, wenn es weiß, wie die anderen Rudel-Mitglieder auf unerwartete Tricks der potentiellen Beute reagieren. Das funktioniert nur bei einer gewissen Intelligenz.
"Genau die gleichen Eigenschaften haben bei den Vögeln die Rabenvögel und die Papageien", erklärt Christian Schloegl. Kolkraben leben zum Beispiel in großen Gruppen, die zwischen einem Dutzend und einigen tausend Tieren umfassen können, beim Fressen aber ist jedes Tier sich selbst das nächste. Und da Kolkraben einen Teil des Futters verstecken, wenn der Vorrat für mehr als eine Mahlzeit reicht, zeigt sich ihre Intelligenz vor allem beim Verstecken.
So ein Versteck sollte gut gewählt sein, damit einem nicht ein ebenso cleverer Artgenosse die Vorräte stiehlt. Also verstecken Kolkraben Futter normalerweise nur dann, wenn sie niemand dabei beobachten kann. Ohne Hinzuschauen schätzen Kolkraben zum Beispiel recht genau ein, wann sie für einen Artgenossen im "toten Winkel" stehen. Befinden sie sich zum Beispiel hinter einer Barriere und verschwinden so aus dem Blick der Konkurrenz, verstecken sie ihren Vorrat schnell.
Das klappt aber nicht immer. In einem Experiment im KLF versteckte ein Kolk-rabenweibchen daher das Futter auch dann, wenn die Konkurrenz zuschauen konnte. Danach aber räumte das Tier sein Versteck offensichtlich wieder aus und verbarg das Futter an einem anderen Platz. Als die Wissenschafter das Fressen aus dem neuen Versteck holen wollten, fanden sie aber nichts, weil das clevere Weibchen den Wechsel des Verstecks nur vorgetäuscht und so sogar die Forscher reingelegt hatte.
Geschickte Saatkrähen
Auch Saatkrähen holen aus ihrem Nidopallium erstaunliche Intelligenzleistungen. Als Forscher um Christopher Bird von der Universität im britischen Cambridge den Weg zu einer schmackhaften Larve mit diversen Hürden erschwerten, bewältigten die Tiere die Aufgaben mit Bravour. Einmal mussten sie Steine auf ein aufgebautes Gerüst werfen. Wählten sie die richtige Größe der Steine, fiel das Gerüst ein, und die Larve landete im Schnabel. Einem Weibchen gelang der Trick sogar auf Anhieb, nachdem es ein Männchen vorher bei seinen Versuchen beobachtet hatte.
"Mit solchen Experimenten testen wir allerdings nur jeweils eine bestimmte Fähigkeit", erläutert Christian Schloegl die Bedeutung solcher Beobachtungen. Zusammen mit Kollegen von der Universität Wien hat er zum Beispiel einen klassischen Intelligenztest für Tiere untersucht. Kolkraben wissen sofort, dass ein unter einem von zwei Bechern verstecktes Futter unter dem anderen Gefäß sein sollte, wenn der Forscher ihm den ersten Becher als "leer" gezeigt hat.
Der in Neuseeland im Eis und Schnee lebende Papagei Kea absolvierte diesen Test erheblich schlechter. "Das heißt aber nicht, dass Kolkraben generell intelligenter sind", interpretiert Christian Schloegl das Ergebnis. Kolkraben sind vielmehr besonders bei solchen Versteckspielen besonders clever, weil sie diese Art von Intelligenz bei ihren diebischen Nachbarn eben besonders brauchen.
Keas untersuchen alles
Keas dagegen überleben in der rauen Bergwelt Neuseelands nur, wenn sie alle Orte untersuchen, an denen zum Beispiel fressbare Wurzeln sein könnten. Vor ihrer Erkundungswut sind auf den Straßenpässen der Südinsel Neuseelands auch die Autos nicht sicher. Ganz genau inspizieren die Vögel zum Beispiel die Scheibenwischer oder die Dichtungen von Türen und Fenstern, ob unter dem Gummi vielleicht etwas Schmackhaftes verborgen sein könnte. Dabei geht zwar einiges kaputt, aber die Papageien sind sich hinterher ganz sicher, keine Nahrung übersehen zu haben.
Weil sie alles Schmackhafte sofort fressen und Verstecken in ihrer Welt kaum vorkommt, schneiden sie beim Versteckspiel eben schlechter ab. "Anscheinend hat sich die Intelligenz von Keas und Kolkraben also unabhängig voneinander und für unterschiedliche Zwecke entwickelt", erläutert Christian Schloegl.
Das gibt es auch beim Menschen: Einer ist besser in Fremdsprachen, ein anderer setzt seine Großhirnrinde vor allem in der Kunst ein, und ein dritter untersucht eben die Intelligenz von Vögeln.