Verkaufsrekorde bei Elektro-Rädern. | Von der urbanen Einkaufstour bis hin zum "Ehe-Retter". | Technologie von Handy-Akku brachte Generationssprung. | Wien. Die Einheimischen eines Tiroler Tourismusdorfes staunten nicht schlecht, als plötzlich eine Gruppe Pensionisten die steile Bergstraße flott und fidel an ihnen vorbei radelte. Allein das leise Surren verriet: Es handelte sich um Elektro-Fahrräder, die sie beim lokalen Sportverleih ausgeborgt hatten.
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Die Vehikel, die durch eine Kombination aus Muskelkraft und Akkustrom angetrieben werden, sind seit heuer nicht nur bei Verleihgeschäften auf der Überholspur, sondern auch im Sporthandel. Um rund 300 Prozent - "auf weitaus über 1000 Fahrräder" - sei der Absatz heuer bei Intersport angestiegen, berichtet Unternehmenssprecher Christian Mann. Die Preisspanne reiche vom meistverkauften Sieben-Gang-Bike um rund 1000 Euro bis hin zum geländetauglichen Mountainbike mit 24 Gängen um etwa 3000 Euro.
Rad-Branche unter Strom
Optisch unterscheiden sich die Akku-Flitzer nur geringfügig von herkömmlichen Fahrrädern. Unter dem Gepäckträger oder im Rahmen ist ein videokasettengroßer, abnehmbarer Akku versteckt. Am Hinter- oder Vorderrad ist der Elektromotor integriert. Und an der Lenkstange befindet sich ein Tachometer, das Geschwindigkeit, Kilometer und Ladestand der Batterie anzeigt.
Insgesamt beschränkt sich die Anzahl der Elektro-Bikes in den heimischen Haushalten noch auf überschaubare 16.000 Stück. Bemerkenswert ist dennoch, dass sich die Menge seit 2007 jährlich verdoppelt hat. Europaweit prognostiziert der US-Marktforscher EBWR, dass die Anzahl von 400.000 Stück im Jahr 2008 heuer auf eine Dreiviertelmillion anwachsen wird - Spitzenreiter sind die Niederlande, gefolgt von Deutschland.
Doch was genau löste den plötzlichen Boom aus? Immerhin wurde das erste Fahrrad mit Elektro-Trethilfe bereits 1994 von Yamaha auf den Markt gebracht. "Die Räder sind aufgrund der rasanten technischen Entwicklung um ein Drittel leistungsstärker geworden", erklärt Stefan Limbrunner, Marketingchef des österreichischen Elektrorad-Herstellers KTM.
Konkret bedeutet das, dass ein Akku mittlerweile eine Strecke von bis zu 90 Kilometern durchhält. Das Aufladen über die Steckdose dauert unter vier Stunden. Der KTM-Marketingchef führt diese Fortschritte mitunter auf die Weiterentwicklung bei Handy-Akkus zurück. "Von der kürzeren Ladezeit und längeren Betriebsdauer profitiert nun auch die Fahrzeugbranche."
Deutliche Unterschiede zum klassischen Fahrrad gibt es noch beim Gewicht. Dieses ist mit durchschnittlich 23 Kilogramm immerhin um ein Viertel höher, was Kritiker auf die Bahn lockt: "Die Räder sind zu schwer zu treten und zu tragen", argumentiert etwa die Wiener Radlobby Argus. Zudem seien die Akkus, speziell in der unteren Preiskategorie, nur von kurzer Lebensdauer. Ein Fragezeichen steht auch hinter dem Thema Reparaturen: Sobald ein Problem auftritt, gibt es wenige, die dieses beheben können, glauben Kritiker.
Kein Schwitzen im Büro
Die Fahrrad-Branche befindet sich dennoch in einer Euphorie wie seit der Erfindung des Mountainbikes nicht mehr. "Es ist wie Radfahren mit Rückenwind", beschreibt Intersport-Sprecher Mann das Fahrgefühl.
Während der Akku-Flitzer jahrelang das Image einer "mobilen Hilfe für Gehbehinderte" nicht losbekam, soll jetzt damit ein neuer Lifestyle-Faktor transportiert werden. Die Liste der Verkaufsargumente ist lang: Das umweltschonende Elektro-Bike sei ideal für kurze Wegstrecken in der Stadt, um teuren Sprit zu sparen. Wer damit ins Büro fahre, komme dort nicht verschwitzt an.
Und: Ganz normale Durchschnittsmenschen oder Senioren genießen nun die Möglichkeit, Steigungen und längere Radtouren problemlos zu bewältigen.
Mit einem Augenzwinkern spricht Limbrunner auch vom neuen "Ehe-Rettungsrad". Denn nun könne der unsportlichere Partner vielleicht eher von gemeinsamen Ausflügen überzeugt werden und tempomäßig mithalten.
Wissen: Elektro-Fahrräder
Es gibt zwei Gruppen von Elektro-Fahrrädern: Ein Nachfrageboom zeichnet sich derzeit bei den "Pedelecs" (Pedal Electric Cycles) ab. Sie besitzen einen Elektro-Hilfsmotor, der erst bei leichten Tretimpulsen anspringt. Um damit etwa 21 Kilometer pro Stunde (km/h) zu erreichen, muss man die Kraft von 7 km/h aufwenden. Die restliche Energie steuern aufladbare Akkus bei. Für die Zuschaltung sorgt mitunter ein Drehmomentsensor an der Tretkurbel. Bei Pedelecs schaltet sich der Motor ab einem Tempo über den gesetzlich erlaubten 25 km/h automatisch aus. Für die Benützung ist weder eine Betriebserlaubnis noch ein Versicherungskennzeichen erforderlich. Sehr wohl ist dies beim E-Bike der Fall, das mit einem leistungsstärkeren Motor über 35 km/h erreicht. Ähnlich wie beim Mofa funktioniert die Elektro-Unterstützung auch ohne Treten. Im Sprachgebrauch wird oft vom E-Bike gesprochen, gemeint ist aber das Pedelec.