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Radikale Langlebigkeit

Von Eva Stanzl

Wissen
Hydroxyl Radikal oder Peroxid heißen Freie Radikale, die Produkte des Stoffwechsels sind.
© C&M. Werner

Freie Radikale verkürzen nicht das Leben von Zellen, sondern sie verlängern es, haben Forscher nun herausgefunden.


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Wien. Dass wir älter werden, scheint eine Unausweichlichkeit des Lebens zu sein. Naturwissenschafter wollen dem körperlich-geistigen Verfall allerdings Einhalt gebieten. Sie verfolgen dabei unterschiedliche Ansätze.

Die australisch-amerikanische Molekularbiologin Elizabeth Blackburn etwa untersucht genetische Mechanismen des Alterns. 2009 erhielt sie den Nobelpreis für ihre Forschungsarbeiten. Blackburn entdeckte, dass einzellige Wimpertierchen sich unendlich oft teilen können, also immer wieder neues Leben beginnen, weil sie einen exzellenten Zell-Reparaturmechanismus besitzen, genannt Telomerase. Auch der Mensch verfügt über die Telomerase, wenn er seine Organe durch Zellteilung verjüngt - allerdings geht das nicht beliebig oft. Wie gut sich die Zellen regenerieren, hängt von der genetischen Disposition und von den Lebensumständen ab. "Theoretisch könnten sogar wir Menschen unsterblich sein", wenn wir die Reparaturmechanismen verbessern könnten, betonte Blackburn in einem Interview mit der "Zeit". Besonders hilfreich seien dabei Bewegung und ausreichend Schlaf.

Doch die Lebensdauer von Zellen hängt von so vielen Faktoren ab, dass jeder Einzelbereich eine Wissenschaft für sich ist, wie Biologen der Mc Gill University in Vancouver, Kanada, nun im Fachjournal "Cell" berichten. Sie haben herausgefunden, dass Freie Radikale das Leben nicht wie stets angenommen verkürzen, sondern es - im Gegenteil - verlängern.

Die Theorie der freien Radikale ist ein Erklärungsmodell für das Altern aller Organismen. Es besagt, dass infolge der Stoffwechselprozesse aus der Sauerstoffverarbeitung in den Zellen kurzlebige Molekülfragmente entstehen. Denham Harman stellte 1956 die These auf, dass die Freisetzung dieser Freien Radikalen das Erbgut (DNA) sowie eine Vielzahl von Proteinen und Lipiden schädige.

Die kanadischen Forscher haben nun aber in Experimenten mit Fadenwürmern (C. elegans) klare Hinweise darauf gefunden, dass freie Radikale das Leben verlängern. Die Oxidanten wirken demnach auf einen molekularen Mechanismus, der normalerweise den programmierten Zelltod (Apoptose) auf den Plan ruft und diesen in Gang setzt.

Die Apoptose bringt defekte Zellen dazu, sich selbst zu vernichten - etwa um zu verhindern, dass sie zu Krebszellen werden oder eine Autoimmunerkrankung hervorrufen, oder um die Ausbreitung von Viren zu unterbinden, die sie befallen haben. Alle Tiere unterliegen diesem (ebenfalls in Fadenwürmern entdeckten) Mechanismus - auch dieser Arbeit wurde der Nobelpreis zugesprochen.

Fadenwürmer im Praxistest

Die Biologen um Siegfried Hekimi haben entdeckt, dass der programmierte Zelltod, wenn von freien Radikalen stimuliert, einerseits die Abwehr von Zellen gegen Krankheiten oder Eindringlinge erhöht und andererseits die Lebensspanne steigert. "Somit ist die Freie-Radikale-Theorie des Alterns falsch", erklärt Hekimi: "Freie Radikale lassen uns nicht altern, sondern sie wirken dem Alterungsprozess entgegen. Im Modell konnten wir ihre Zahl steigern und damit das Leben von Fadenwürmern substanziell verlängern." Die Signale für geplanten Zelltod garantieren somit auch zelluläre Dauerhaftigkeit.

Der Jungbrunnen-Mechanismus könnte in der Behandlung von Demenzerkrankungen gezielt eingesetzt werden. Wegen ihrer Komplexität sind die Verbindungen zwischen den Nervenzellen des Gehirns schwer wiederherzustellen, wenn einmal Zellen absterben. Apoptische Signale könnten künftig die Stressresistenz beschädigter Hirnzellen erhöhen, so Hekimi. Obwohl der programmierte Zelltod in der Krebsforschung intensiv untersucht wird, könnte es bis zu einer klinischen Therapie allerdings noch eine Weile dauern. Immerhin geht es darum, die Lebenserwartung menschlicher Zellen, die bis zu 120 Jahre überdauern können, auszudehnen.