Von saudischen Quellen gesponserte Al-Nur-Partei liegt gut im Rennen.
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Kairo. Sie treten meist in langen, weißen Gewändern auf, mit Prophetenbart und Häckelkäppis: die Anhänger der Salafisten, jener vor allem von Saudi-Arabien geförderten strengen islamistischen Gruppierung, die in Ägypten offenbar schneller als erwartet an Einfluss gewinnt. Ihre Partei Al-Nur, die "Partei des Lichts", bildete die große Überraschung der ersten Teilrunde der ägyptischen Parlamentswahlen: Schätzungen zufolge stimmten bis zu 30 Prozent für die radikalen Islamisten. Diese könnten damit hinter den ebenfalls islamistischen, aber gemäßigten Muslimbrüdern möglicherweise gar auf den zweiten Platz kommen - Kopf an Kopf mit dem liberalen Ägyptischen Block. In einigen Wahlkreisen lag Al-Nur sogar vor den Muslimbrüdern. Deren "Partei für Freiheit und Gerechtigkeit" liegt bei der ersten Teilrunde mit über 40 Prozent der Stimmen vorne.
Damit zeichnet sich in Ägypten - anders als in Tunesien, wo die Muslimbrüder mit zwei linken Gruppen eine Koalitionsregierung bilden - eine breite islamistische Mehrheit ab. Zwar steht die zweite Runde der Unterhaus-Wahlen noch aus, die besonders den Salafisten Einbußen bescheren könnte - in ihren Hochburgen, etwa Alexandria, wurde bereits gewählt - , der Trend, mit der Unterstützung der Religiösen einen Trennungsstrich unter die Ära des gestürzten, säkular-nationalistischen Diktators Hosni Mubarak zu ziehen, scheint allerdings eindeutig.
Puritanische Erneuerung
Cengiz Günay, Ägypten-Experte am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP), verweist im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" darauf, dass die puritanischen, nicht einheitlich organisierten Salafisten erst nach dem Abgang Mubaraks in Erscheinung traten. "Die Bewegung geht auf das 19. Jahrhundert zurück und nahm anfangs auch auf die europäische Aufklärung Bezug. Man blickte in den islamischen Ländern damals aufs davoneilende Europa und stellte fest, dass man zurückgefallen war. Anfänglich gab es in salafistischen Kreisen Versuche, die neuen europäischen Einrichtungen wie Parlamentarismus oder Konstitutionalismus mit islamischen Vorstellungen in Einklang zu bringen - man suchte das Moderne in einem romantischen Bild vom ,Ur-Islam, bei Mohammed und seiner Gefolgschaft", sagt Günay. Später, mit dem Ausgreifen der Europäer auf islamische Gebiete unter dem Zeichen des Kolonialismus, habe sich der Salafismus gewandelt und bekam eine antiwestliche Pointe: Statt der Akkulturation westlicher Ideen ging es vor allem um Abgrenzung, um die moralische Stärkung der Gläubigen gegen die Okkupanten.
Heute sind die Vorstellungen der meisten Salafisten jedenfalls betont rigoros: Die Demokratie halten viele Al-Nur-Politiker für nicht vereinbar mit dem Islam. Bei einer Kundgebung in Alexandria verhüllten Salafisten eine Skulptur mit Stoff, auf der "leicht bekleidete Frauen" zu sehen waren. Eine deutsche Journalistin, die mit einem Al-Nur-Politiker ein Interview machen wollte, wurde mit der Begründung abgewiesen, man rede mit Frauen nicht. Kein Wunder, dass Christen, Säkulare oder islamische "Abweichler" einen Sieg der Salafisten fürchten.
Offizielle Wahlergebnisse standen am Freitag noch aus. Einzig die Wahlbeteiligung wurde bekannt gegeben - sie ist mit 62 Prozent die höchste "seit der Zeit der Pharaonen", sagte der Vorsitzende der Wahlkommission, Abdel Muiz Ibrahim. Die Ergebnisse wollte Ibrahim am Abend aber nicht mehr auswerten: "Dieses Dossier ist sehr umfangreich, ich habe keine Energie mehr", sagte er - und empfahl den Journalisten, selbst die Ergebnisse für die Wahlkreise durchzugehen.