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BVT-Direktor Peter Gridling über den islamistischen Terror in Österreich. | "Terrorismus ist weder High-tech noch teuer." | "Wiener Zeitung": Hatte die Entwicklung des internationalen Terrors seit dem 11. September 2001 auch Auswirkungen auf Österreich?
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Peter Gridling: Ja, das hatte sie. Verstärkte Radikalisierungstendenzen einer beträchtlichen Zahl von Muslimen sind auch an Österreich nicht spurlos vorübergegangen. Die Lage ist nicht bedrohlich, aber Einzelpersonen mit radikaler Ausrichtung sind bei uns vorhanden.
Stellen Terrorgruppen mit modernen Waffen und guter Ausbildung die Terrorismusbekämpfung vor neue Herausforderungen?
Terrorismus ist weder High-tech noch teuer. Schon mit wenigen Mitteln kann man großes Unheil anrichten. Aber der Zugang, den Terroristen zu Waffen haben, und ihre Bereitschaft, solche Waffen einzusetzen, spielen eine große Rolle für die Beurteilung ihrer Gefährlichkeit.
Wird die islamistische Terrorgefahr übertrieben? Worin liegt ihre Hauptbedrohung?
Islamistischer Terrorismus hat kein klares Muster. Alles, was westlich ist, kann sein Ziel werden. Während sich Terroristen ansonsten bestimmte Repräsentanten oder staatliche Einrichtungen als Opfer auswählen, herrscht bei islamistischen Terroristen eine Beliebigkeit vor. Islamisten sind willens, auch weiche Ziele, wie die Bevölkerung oder den Verkehr, zu treffen. Das erfordert verstärkte Schutzmaßnahmen. Hohe Repräsentanten sind heute hingegen sehr gut geschützt. Auf sie sind Attentate nicht mehr so leicht.
Ein Terrorismus mit beliebigen Zielen kann natürlich auch Österreich treffen .. .
Österreich ist keine Insel der Seligen. Es besteht aber kein Grund für übergroße Ängste. Erfreulich ist, dass es bei uns im Gegensatz zu anderen Staaten wie Spanien und Irland keinen innerstaatlichen Terror gibt.
Seit der frühere US-Präsident George W. Bush den "Krieg gegen den Terror" proklamierte, fühlen sich manche Muslime unter Generalverdacht gestellt. Besteht die Gefahr, dass sich nun die Spannungen zur islamischen Bevölkerung verschärfen?
Wir achten darauf, wie unsere Maßnahmen aufgenommen werden. Gerade in Europa ist man sich bewusst, dass die Bekämpfung des Terrors im Einklang mit dem Schutz unserer Werte und Rechte stehen muss.
Wurde durch die Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) Ende 2007 die Überwachung der Bürger nicht bedenklich ausgeweitet? Handys und E-Mails können ohne richterliche Genehmigung überwacht werden.
Da muss ich widersprechen: Die Kommunikationsüberwachung findet noch immer aufgrund richterlicher Befehle statt. Jegliche Überwachung - ob Online- oder Hausdurchsuchung - muss zuerst beantragt werden. Ohne richterliche Genehmigung geht das nicht. Die im SPG inkludierte Möglichkeit beschränkt sich ausschließlich auf konkrete Gefahrenmomente und betrifft Teilnehmerdaten und technische Daten, aber nicht den Inhalt.
Brachte die Schaffung der Terrorismus-Paragrafen in Österreich (§§ 278b bis d des Strafgesetzbuchs) wesentliche Erleichterungen für die Ermittlungen des BVT?
Vor 2002 war dem österreichischen Strafgesetzbuch der Begriff "Terrorismus" unbekannt. Im Jahr 2002 schuf die Europäische Union mit der Rahmenentscheidung "Terrorismus" ein einheitliches Verständnis für die Begriffe terroristische Straftaten, terroristische Organisation und Terrorismusfinanzierung und harmonisierte die Strafrahmen der Mitgliedstaaten. Seither findet sich der Tatbestand Terrorismus in den Gesetzen aller EU-Länder. Das war ein wichtiger Schritt, um Einigkeit in Europa darüber herzustellen, was Terror ist, und um einheitliche Strafsätze schaffen.
Ist die Bekämpfung des Terrors ein rein rechtsstaatliches Anliegen? Gerät sie nicht leicht ins Fahrwasser internationaler Politik? Der erste gemäß neuer Gesetzgebung verurteilte Straftäter, Mohamed M., warf etwa dem Gericht vor, die US-Politik fraglos zu übernehmen.
Die Aufgabe der Sicherheitsbehörden ist die Ermittlung von strafbaren Sachverhalten, und diese Ermittlungen finden innerhalb klarer rechtlicher Vorgaben statt. In diesem Fall hat das Gericht den Sachverhalt überprüft und ein Urteil gefällt. Nachdem aufgrund eines Verfahrensfehlers der Prozess wiederholt werden musste, hat das zuständige Gericht das seinerzeit gefällte Urteil neuerlich überprüft und bestätigt.
Mitunter gibt es aber je nach Staat sehr unterschiedliche Entscheidungen. Stichwort: Hamas-Finanzierung. In Deutschland wurden zwei Vereine verboten, in den USA Anfang 2009 fünf Mitglieder der Holy Land Foundation verurteilt. In Österreich blieben Ermittlungen gegen zwei Vereine ergebnislos. Spielt hier Politik eine Rolle?
Ich würde das nicht auf politische Beeinflussung zurückführen. Entscheidend ist die jeweilige Sachlage. In Österreich wurde von der Staatsanwaltschaft Wien festgestellt, dass das Ermittlungsergebnis zu dünn war.
Auch die islamistische Gruppierung Hizb ut-Tahrir steht in Österreich unter Beobachtung. Ihr Ziel ist die Errichtung eines Kalifats in islamischen Ländern. Das müsste eigentlich den ägyptischen Geheimdienst mehr interessieren als Österreich . . .
Das BVT ermittelt nicht nur bei Straftaten, sondern versucht auch solche abzuwenden. Dabei sind Gefahrenlagen oft unklar und diffus, aber die Sicherheitsbehörden haben alles Notwendige zu tun, um eine Bedrohung frühzeitig zu erkennen, zu verstehen und zu verhindern. Wir führen hier präventive Ermittlungen zur erweiterten Gefahrenerforschung beziehungsweise zur polizeilichen Gefahrenabwehr durch.
Sie beobachten also die Sozialisierung durch Gruppierungen, die in weiterer Folge zu einer Radikalisierung führen könnte?
Wenn dadurch Gefahrensituationen begründet werden, ist das für unsere Arbeit relevant und wird entsprechend beobachtet.
Welche Möglichkeiten hat der Staat, Radikalisierungen präventiv zu bekämpfen?
Wenige, wenn es etwa um Inhalte des Internets geht. Man findet heute überall radikale Inhalte, egal, um welchen Server es sich handelt und wo dieser auch steht. Leider gibt es kein universelles Rechtsinstrument für die Bekämpfung solcher radikalen oder extremistischen Internet-Inhalte. Zu Hause kann man sich zahlreiche radikale Homepages herunterladen. Damit müssen wir leben.
Verdienen gewisse radikale Gruppen mehr Beachtung als andere?
Der Fokus auf den Islamismus besteht nur in der Öffentlichkeit. Die Behörden müssen jegliche Gefahrdrohung, egal welcher Ideologie, beachten.
Aber sind gegenwärtig alle Gruppierungen mit radikaler Ausrichtung, seien sie nun rechts- oder linksextrem, gleichermaßen stark?
Es gibt überall Aufs und Abs, abhängig von Akteuren und Rahmenbedingungen. Unbestritten ist, dass der islamistische Terrorismus derzeit besondere Beachtung verdient, da er dazu tendiert, Anschläge auf weiche Ziele auszuführen und besonders große Opferzahlen in Kauf zu nehmen.
Welche wesentlichen Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft?
Klar ist: Die Eingriffsmöglichkeiten der Exekutive müssen mit dem technischen und gesellschaftlichen Fortschritt weiterentwickelt werden. Bei neuen Technologien darf allfälliger Missbrauch nicht blauäugig ignoriert werden. Die Gesetze müssen angepasst werden, damit die Behörden Gefahren wirksam abwehren können. Dass eine solche Entwicklung der Befugnisse im Einklang mit den Rechten und Freiheiten der Bürger stehen muss, versteht sich von selbst.
Zur Person:
Peter Gridling ist seit Februar 2008 Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Davor leitete der gebürtige Osttiroler fast sechs Jahre lang die Anti-Terrorismus-Abteilung der europäischen Polizeibehörde Europol in Den Haag. Von 1995 bis 2002 war Gridling Leiter der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus im Innenministerium.
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