)
Der Islamismus-Experte Moussa Al-Hassan Diaw über Präventionsarbeit bei Häftlingen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. International bekannt, aber neu für Österreich. Das sagte der Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, Konrad Kogler, am Montag zum Phänomen der Radikalisierung immer jüngerer Personen. Wie berichtet hatte jener festgenommene 17-Jährige, der einen Terroranschlag in Wien geplant haben soll und über den am Dienstag die U-Haft verhängt wurde, einen zwölfjährigen Freund, mit dem er laut Kogler über das "eine oder andere intensiv kommuniziert" haben soll.
Für Moussa Al-Hassan Diaw ist das Phänomen hingegen gar nicht neu. "Dass die Personen jünger werden, ist kein Geheimnis, es überrascht mich eher, dass man sich darüber wundert", sagte er zur "Wiener Zeitung". Der Pädagoge und Extremismus-Forscher ist seit fast einem Jahr mit dem Verein "Derad" in Gefängnissen unterwegs und bietet Straftätern spezielle Gesprächsformate an. Im Auftrag des Justizministeriums sprechen Diaw und seine Kollegen vor allem mit Personen, die wegen eines Verstoßes gegen Paragraf 278b Strafgesetzbuch (terroristische Vereinigung) einsitzen. "Wir haben teilweise mit Tätergruppen zu tun, die zwischen 14 und 17 Jahre alt sind", sagt er. Dass die Jugendlichen, die sich zu radikalen Gruppierungen hingezogen fühlen, automatisch aus einem schwierigen sozialen Umfeld kommen, wie es lange vermutet wurde, stimmt nicht. Die Jugendlichen im Gefängnis seien zwar schon auch Schulabbrecher oder mit einer niedrigeren Schulbildung ausgestattet, aber insgesamt beobachtet Diaw auch Jugendliche, die höhere Schulen besuchen und zum Beispiel ein völlig intaktes Elternhaus haben - und trotzdem der magischen Anziehungskraft des Islamismus verfallen.
Elternhaus kannwenig ausrichten
Meistens sei eine Person in einer Gruppe über das Internet oder auch durch persönliche Kontakte zu bestimmten Personen mit radikalen Ideen in Verbindung gekommen. "Das wird dann in der Clique das, was spannend und aufregend ist - bis hin zu Plänen, auszureisen oder tatsächlicher Ausreise." Das Elternhaus kann da meist wenig ausrichten: "In dem Alter sind Peer Groups viel wichtiger als die Familie. Wenn die Eltern sagen: ‚Färbe Dir die Haare nicht grün‘, dann machen die Jugendlichen das ja genauso trotzdem." Diaw sieht die Schulen gefordert: Dort gebe es oft noch zu wenig Möglichkeiten, Präventionsarbeit in Form von Workshops zu leisten. "Wir werden meist erst angerufen, wenn schon ein Problem aufgetaucht ist."
Im Gefängnis gehen die Mitarbeiter des Vereins "Derad" auf die Personen zu, die wegen terroristischer Straftaten verurteilt wurden. In erster Linie gehe es darum zu reden und auf die Weltanschauung und Ideologie der Personen einzugehen. "Die Überzeugung basiert auf politischen Ideen, die sie mit Religion begründen wollen. Wir versuchen, die Feindbilder zu dekonstruieren. Wir zeigen ihnen andere Deutungsmöglichkeiten der Koranstellen, auf die sie sich beziehen, und versuchen, ihnen so zu zeigen, dass ihr Feindbild nicht religiös begründbar ist", sagt er.
Wichtig sei auch eine Nachbetreuung nach der Haft, doch hier funktioniere die Zusammenarbeit mit manchen Institutionen oft nicht, bemängelt Diaw. "Die Menschen müssen sich auch nach der Haft noch über religiöse und weltanschauliche Dinge austauschen können. Wenn das nicht stattfindet, ist das fahrlässig und äußert äußerst dumm", sagt der Experte.
Gefragt, ob er in Kenntnis der Szene einen Anschlag für eine reale Möglichkeit hält, meint Diaw: "Ich halte das für real. Es gibt keine absolute Sicherheit, es braucht nur einen einzigen, der die psychische Voraussetzung und die ideologische Überzeugung mitbringt, und sich dann entschließt, tatsächlich so etwas tu tun."
Präventionsprogrammdes Justizministeriums
Dass sich der Verein "Derad" um die Insassen kümmert, ist Teil eines Programms des Justizministeriums zur Extremismus-Prävention und Deradikalisierung im Strafvollzug. Dazu gehört auch, dass für Personen, die wegen Paragraf 278b in Haft sind, besonders strenge Sicherheitsvorkehrungen gelten, die Justizwachebediensteten werden speziell geschult und im Bereich der Radikalisierung sensibilisiert. Derzeit wird auch ein Screening-Verfahren erarbeitet, das die Einschätzung des Risikos, das von einer Person ausgeht, vereinfachen soll.
Ob das Risiko, das von dem 17-Jährigen ausgegangen ist, schon früher hätte erkannt werden können, ist noch unklar. Der junge Mann saß zuvor wegen eines anderen Delikts in der Jugendstrafanstalt in Gerasdorf ein. "Dort sind sie immer sehr aufmerksam", sagt Diaw. Der Verein Derad werde jedenfalls so bald wie möglich mit dem Jugendlichen Kontakt aufnehmen.