Als im ausgehenden Mittelalter Ärzte wie Paracelsus oder Agricola von der "Schneeberger Krankheit" sprachen, meinten sie die auffällig hohe Lungenkrebssterberate unter den Arbeitern in den Silberbergwerken des Erzgebirges. Seit gut 100 Jahren ist hierfür die Ursache bekannt: Radon. Das insbesondere von Granitböden ausgedünstete radioaktive Edelgas entsteht beim Zerfall von Uran. Nun ist das Thema wieder aktuell, seit deutsche Forscher in der weltweit bisher größten Radon-Studie mit mehr als 20.000 Personen herausfanden, dass ein großer Prozentsatz der Fälle von Lungenkrebs in Europa auf hohe Konzentrationen des Edelgases zurückzuführen ist.
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Beim deutschen Bundesumweltministerium ging man bisher davon aus, dass in Deutschland jährlich 3.000 Menschen infolge zu hoher Radonbelastungen an Lungenkrebs erkranken. "Diese Abschätzung beruht allerdings überwiegend auf alten Daten aus dem Uran-Bergbau, indem die hohen Radonwerte einfach hochgerechnet wurden", schränkt Prof. Lothar Kreienbrock vom Institut für Biometrie und Epidemiologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover ein.
Auf der Basis der aktuellen europäischen Studie will er bis Jahresmitte gemeinsam mit Kollegen vom GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg den tatsächlichen Einfluss des Edelgases auf das Krankheitsgeschehen ermitteln. Dazu stehen den Wissenschaftlern erstmals ergänzende Daten aus Radonmessungen in Wohnungen und zu den Rauchgewohnheiten von über 7.000 Lungenkrebspatienten sowie von 14.000 Vergleichspersonen aus ganz Europa zur Verfügung.
Wenn Radon durch undichtes Mauerwerk in Gebäude eindringt und sich dort anreichert, werden bisweilen relativ hohe Konzentrationen von über 1.000 Becquerel pro Kubikmeter gemessen. Doch bereits ab einem Wert von 150 Bq/m³ besteht ein statistisches Lungenkrebsrisiko. Jeder Anstieg um 100 Bq/m³ erhöht aber das Krankheitsrisiko um weitere 16 Prozent. Zu diesem Schluss kommt die erwähnte europäische Studie, die weltweit größte ihrer Art, an der auch Kreienbrock beteiligt war. Radon sieht er deshalb als wichtigsten Umweltrisikofaktor bei der Krebsentstehung an.
Neues Schutzgesetz
Die Strahlenschutzkommission geht davon aus, dass in Deutschland etwa 800.000 Menschen in Wohnungen mit Radonkonzentrationen um 250 Bq/m³ leben. "Für die betroffene Bevölkerungsgruppe muss mit einer relativen Erhöhung des Lungenkrebsrisikos von mehr als 20 Prozent gerechnet werden", heißt es in einer Stellungnahme vom Juni 2004. Vor diesem Hintergrund hat das deutsche Bundesumweltministerium ein neues Schutzgesetz auf den Weg gebracht, das Werte für die Raumluft in Wohnungen vorgibt, Vorsorgegebiete ausweist und Vermieter und öffentliche Hand zur Gebäudesanierung verpflichtet.
Sachsens Umwelt- und Landwirtschaftsminister Steffen Flath hatte den Gesetzesentwurf als "überflüssig und kontraproduktiv" zurückgewiesen, u. a. weil er Nachteile für Kurorte und Heilbäder wie Bad Schlema, Bad Brambach und Bad Elster befürchtet, wo sogenannte Radon-Kuren vorwiegend gegen chronische rheumatische Leiden angeboten werden. Denn dem Edelgas wird bekanntlich eine außerordentliche Wirkung gegen Schmerzen und steife Wirbelsäulen nachgesagt.
Entwarnung aus Bad Gastein
Der Leiter des Forschungsinstitutes Bad Gastein, Prof. Peter Deetjen, hat herausgefunden, dass für diese Heileffekte der körpereigene Botenstoff TGF-beta verantwortlich ist, der durch die Radon-Behandlung aktiviert wird und entzündungshemmend und geweberegenerierend wirkt. Das "hypothetisch, d. h. konservativ abgeschätzte Lungenkrebsrisiko" von Kur-Patienten liege bei 0,01 Prozent gegenüber im Mittel vier Prozent in der Bevölkerung, sagt er. Und auch der Kurort-Forschungsverein Bad Steben gibt Entwarnung: "Die Radon-Therapie ist völlig unbedenklich. Die Strahlenbelastung bewegt sich in der gleichen Größenordnung, wie die natürliche Strahlung, der Menschen ständig ausgesetzt sind."
Mögliche Gesundheitsgefährdungen ergäben sich ausschließlich aus der rechnerischen Annahme, dass radioaktive Strahlung auch in geringsten Dosen gefährlich sein könnte, sind sich die Betreiber der Radon-Kurbäder einig.
Viele Fragezeichen
"Die Therapeuten haben zwar Recht, wenn sie sagen, dass es keinen Nachweis über die Wirkung geringer Strahlenmengen gibt. Schädliche Effekte kann man bis heute nicht messen. Sie wurden aber bereits seit Entdeckung der Radioaktivität rechnerisch vorausgesagt", gibt dagegen Kreienbrock zu bedenken.
Umgekehrt, so Kreienbrock, gäbe es bis heute aber auch keine einzige aussagekräftige klinische Studie, die die Heileffekte von Radon schlüssig beweise. Überdies müsse es kein Widerspruch sein, dass Radon einerseits schädigende, andererseits heilende Wirkungen besitze.