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Radovan Karadzic bereut nichts

Von Zarko Radulovic

Europaarchiv

Prozess vor UN-Tribunal fortgesetzt. | Angeklagter gibt Muslimen und dem Westen Schuld am Krieg. | Den Haag/Wien. Nicht "seine Kleinigkeit" sondern die "Größe des serbischen Volkes" will Radovan Karadzic verteidigen. Der bosnisch-serbische Expräsident steht seit gestern, Montag, wieder als Angeklagter vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. In der Darlegung seiner Verteidigungsstrategie wies der 64-jährige Psychiater jegliche Schuld der Serben am Ausbruch des Krieges in Bosnien-Herzegowina in den Jahren 1992 bis 1995 zurück.


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Dafür machte er in erster Linie die vom bosnischen Ex-Präsidenten Alija Izetbegovic gegründete Partei der Demokratischen Aktion (SDA) verantwortlich. Die habe einen "islamistischen Staat und eine "fundamentalistische Domination" über die "christliche Mehrheit, die Serben und Kroaten" zum Ziel gehabt. Die SDA habe noch heute diese Ambition, und solange dies andauere, "wird es ein ruhiges Bosnien nicht geben".

Das Ziel der Serben sei jedenfalls keineswegs die Gründung der Republika Srpska - eines Teils Bosnien-Herzegowinas - gewesen, sondern der Erhalt Jugoslawiens. "Die Republika Srpska wurde aus der Not gegründet - und das sehr schmerzhaft."

Die Anklage wirft Karadzic ethnische Säuberung von Muslimen und Kroaten, Terrorkampagnen gegen Zivilisten während der Belagerung von Sarajewo, Geiselnahme von UN-Personal und Völkermord in Srebrenica vor.

"Wir werden beweisen, dass es nicht mal Absichten, geschweige denn Pläne gab, Muslime zu vertreiben", ließ Karadzic, der sich vor Gericht selbst verteidigt, wissen. Der Ex-Präsident spricht dabei serbisch; schließlich sollen seine Botschaften von seinen Landsleuten verstanden werden.

Proteste der Mütter

Karadzic negierte zudem die Schuld für Massenmorde an Zivilisten in Sarajewo. Die Explosionen mit dutzenden Toten am Markt Markale und anderen Orten nannte er "unglaubliche Beispiele kriegerischer Hinterlistigkeit" seitens der muslimischen Führung, um den Serben die Schuld in die Schuhe zu schieben und internationale Reaktionen hervorzurufen. Ähnlich hatte sich der amtierende bosnisch-serbische Premier Milorad Dodik im Herbst vorigen Jahres geäußert, was zu heftigen innerbosnischen Diskussionen führte.

Dass die Angriffe nicht von Serben verübt, sondern von der muslimischen Führung organisiert worden seien, werde er, Karadzic, vor Gericht beweisen. Nach einem Blutbad auf dem Markt Markale hatte die Nato mit dem Bombardement serbischer Stellungen in Bosnien begonnen.

Vor dem Gericht versammelten sich Mitglieder der Vereinigung "Mütter Srebrenicas", die sich "Wahrheit und Gerechtigkeit" erhoffen und ein rasches Aburteilen von Karadzic erwarten. Der wird heute, Dienstag, erneut seine Verteidigungsstrategie präsentieren. Am Mittwoch soll der erste Zeuge der Anklage gehört werden.

Tarnung als Arzt

Karadzic wurde am 21. Juli 2008 in Belgrad verhaftet und neun Tage später an Den Haag ausgeliefert. Ende Oktober vorigen Jahres begann der Prozess gegen ihn. Zuvor führte er jahrelang - während ihn Geheimdienste und Nato-Sondertruppen suchten - ein ruhiges Leben. Als perfekt getarnter "Doktor Dragan Dabic" lebte der gebürtige Montenegriner wie ein Durchschnitts-Belgrader und scheute die Öffentlichkeit nie. In Den Haag will er nun die Öffentlichkeit von der Selbstverteidigung und dem "gerechten Krieg" der Serben überzeugen.