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Nukleare Gefährdung der USA wird realistischer.
| Unberechenbare Diktatur will Nachbarn und USA erpressen - internationale Nervosität.
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Pjöngjang/Washington.
Nordkorea hat eine Trägerrakete getestet - und diesmal blieb dem Westen das Lachen im Hals stecken. Während frühere Versuche, einen Satelliten in die Erdumlaufbahn zu bringen, kläglich scheiterten, war der finale Anlauf erfolgreich: Kurz vor 10 Uhr Ortszeit hob die mehrstufige Rakete von der Sohae-Basis an der Westküste Nordkoreas ab, weltweit warteten Beobachter umsonst darauf, dass die Unha-3 im Gelben Meer versinkt.
Die Spötter, die stets auf die technologische Rückständigkeit des von "Steinzeit-Kommunisten" regierten Landes hinwiesen, schüttelten zunächst ungläubig die Köpfe. Dann stellte das US-kanadische "Aerospace Defense Command offiziell fest, dass die Langstreckenrakete mit dem Kommunisten-Stern "offensichtlich ein Objekt in die Erdumlaufbahn gebracht" hat. Das russische Verteidigungsministerium bestätigte die Angaben. Auch die südkoreanischen Kontrollbehörden blicken zunächst ungläubig auf ihre Ortungsgeräte - doch die Rakete hielt die geplante Flugbahn ein, der Wetter-Beobachtungssatellit wurde ausgekoppelt.
Die Überraschung war schon deshalb so groß, weil die nordkoreanischen Behörden noch kurz vorher gemeldet hatten, dass man den Start wegen der üblichen Probleme auf Ende Dezember verschieben müsse.
In den asiatischen Nachbarländern und den USA regierte man beunruhigt, Verunsicherung machte sich breit. Denn Nordkorea verfügt über ein beachtliches Atomwaffen-Arsenal, die USA müssen jetzt erstmals seit Ende des Kalten Krieges mit der theoretischen Möglichkeit leben, von einer verfeindeten Atommacht per Langstreckenrakete angegriffen zu werden. Dass der Test rein friedlichen Zwecken dient, glaubt niemand. Zumal Nordkorea im Oktober angekündigt hat, dass seine Streitkräfte nicht nur US-Truppen in Südkorea, sondern auch in Japan, auf Guam im Pazifik sowie auf dem US-Festland erreichen könnten.
Experten weisen darauf hin, dass Nordkorea seinem Ziel, mit Interkontinentalraketen das US-amerikanische Festland erreichen zu könnten, zumindest näher gerückt ist. "Nuklearkapazität gegen Nuklearkapazität und Rakete gegen Rakete", lautet das Motto der unberechenbaren Führung in Pjöngjang. Nach gescheiterten Versuchen in den Jahren 1998, 2006, 2009 und zuletzt im April dieses Jahres ist der Erfolg am Mittwoch ein triumphaler Durchbruch für die Bemühungen von Diktator Kim Jong-un, die Welt einzuschüchtern und ein Angriffs- und Abschreckungspotenzial zu entwickeln.
"Gnadenlose Schläge"
Das nach stalinistischen Prinzipien regierte Nordkorea hat den USA mehr als einmal mit Vernichtung gedroht. Südkorea, das einen fragilen Waffenstillstand mit dem Norden geschlossen hat, sieht sich regelmäßig mit radikalen Phrasen konfrontiert. Erst vor wenigen Wochen stellte der Norden "gnadenlose Militärschläge" in Aussicht, weil der Süden regierungsfeindliche Flugblätter verteilen wollte. Der Angriff werde "ohne Vorwarnung" erfolgen und "unerbittlich" sein, so Pjöngjang. Der Süden reagierte und stationierte Cruise missiles, die mit einer Reichweite von 1000 Kilometern jedes Ziel in Nordkorea erreichen können, taktische Raketen mit einer Reichweite von 300 Kilometern und Drohnen.
"Kein Scherz"
In den USA ist man um eine realistische Einschätzung der neuen Situation bemüht. "Es bedeutet keinen Weltuntergang, wie manche annehmen", beschwichtigt Philip Yun, Ex-Berater der US-Regierung, "aber gleichzeitig kann man nicht behaupten, dass es sich hier um einen Scherz handelt". Nordkorea sei noch nicht in der Lage, Langstreckenraketen effektiv mit Atomsprengköpfen zu bestücken und über große Strecken ins Ziel zu bringen, so Yun, da habe man noch "einige Arbeit" vor sich. "Der Erfolg des Tests bringt Nordkorea aber einen Schritt näher an dieses Ziel", so Benjamin Habib, Politologe an der La Tropbe-Universität.
Von der internationalen Gemeinschaft wird der Raketenstart als unerhörte Provokation wahrgenommen. Weltweit hagelte es Kritik, der UN-Sicherheitsrat sollte sich noch am Mittwoch mit der Sache befassen. Die USA verurteilten den Start als "hochprovokanten Akt", der gegen UN-Resolutionen verstoße. Die Sicherheitsratsresolution 1874 untersagt Nordkorea klipp und klar, ballistische Raketentechnologie, auch für zivile Raumfahrtzwecke einzusetzen. Das Weiße Haus kündigte Sanktionen an, auch die Nato verurteilte den Start und äußerte Befürchtungen, dass die gesamte Region destabilisiert werde. Auch Russland äußerte sich kritisch. Die Entscheidung rufe "tiefe Besorgnis" hervor, hieß es aus Moskau. Japan, das sich von Nordkorea unmittelbar bedroht fühlt, gab bekannt, dass der Start "nicht tolerierbar" sei. Die Rakete habe japanisches Hoheitsgebiet überflogen, die Regierung in Tokio kam zu einer Krisensitzung zusammen, eine Abfangrakete wurde aber nicht abgefeuert.
China ist der einzige wahre Verbündete Nordkoreas, hier fiel die Kritik erwartungsgemäß am mildesten aus. Pjöngjang habe zwar das Recht auf Weltraumforschung, trotzdem sei das Land verpflichtet, die UN-Beschlüsse einzuhalten. Die Europäische Union prüft neue Sanktionen gegen das Land: Der Raketenstart sei ein klarer Verstoß gegen internationales Recht. Die EU hat bereits Einreiseverbote gegen Führungsmitglieder des nordkoreanischen Regimes sowie eine Reihe von Ausfuhrbeschränkungen erlassen. Österreichs Außenminister Michael Spindelegger zeigte sich von Nordkorea "enttäuscht". Mit dem Raketentest stelle sich das Regime "noch weiter ins Abseits" und gefährde "die Stabilität in Asien". Deutschland zitierte den nordkoreanischen Botschafter ins Außenamt.
Innenpolitisches Kalkül

Aus der Sicht Nordkoreas gebe es gute Gründe für den Raketenstart zum jetzigen Zeitpunkt, erklärt der australische Politologe Benjamin Habib gegenüber CNN. Zunächst einmal sei der Erfolg propagandistisch perfekt ausschlachtbar. Der junge Machthaber Kim Jong-un baue derzeit seine Machtbefugnisse aus und wolle durch den technischen Erfolg seine Stellung innenpolitisch weiter festigen. Es ist außerdem kein Zufall, dass der Raketentest zeitlich mit den Feierlichkeiten zum ersten Todestag von Kim Jong-il, - dem Vater des Machthabers - am 17. Dezember zusammenfällt.
Das bitterarme Land, das regelmäßig von Hungersnöten heimgesucht wird, buhle, so Habib, mit seinem Muskelspiel um internationale Aufmerksamkeit. Es handle sich um die bewusste Herbeiführung einer Krise, um von der internationalen Gemeinschaft Hilfe im Austausch für Deeskalation zu erpressen, so der Politologe. Nordkoreas Planwirtschaft ist nicht in der Lage, Lücken in der Nahrungsmittel- und Energieversorgung zu schließen, ausländische Hilfe ist eine existenzielle Frage. "Nordkoreas Strategie ist auf das eigene Überleben im 21. Jahrhundert ausgerichtet", pflichtet der Politologe Lee Sung-yoon von der Fletcher School Habib bei.
Gleichzeitig geht es Nordkorea mit der Provokation darum, die Reaktionen der unmittelbaren Nachbarn China und Japan abzutesten. In Japan stehen Wahlen und ein Regierungswechsel unmittelbar bevor, es ist davon auszugehen, dass die neue Regierung, die wohl von der LPD gestellt wird, in Sachen Nordkorea einen kompromissloseren Kurs einschlägt.
China hat beim Parteitag im November einen Generationswechsel an der Staatsspitze vorgenommen, der neue starke Mann heißt jetzt Xi Jinping. In Südkorea wird am 19. Dezember ein neuer Präsident gewählt: Angesichts dieser Umwälzungen will Nordkorea nicht in Vergessenheit geraten und meldet sich mit einem Paukenschlag zurück. Mit dem Erfolg habe Pjöngjang seine Verhandlungsposition gegenüber den Nachbarn und den USA in jedem Fall gestärkt, so Habib.