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Rampenlicht und Alltagsszenen

Von Anton Holzer

Reflexionen

Otto Skall war der bekannteste Wiener Theaterfotograf der Zwischenkriegszeit und zugleich ein Meister berührender Reportagen. Archivfunde werfen nun ein neues Licht auf den großen Fotografen und sein Leben.


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Otto Skall mit Contax, Selbstporträt, Wien 1935 (Privatbesitz).

Eines der wenigen erhalten Porträts - es entstand im Februar 1935 - zeigt Otto Skall mit seiner kleinformatigen Contax (siehe Foto). Er war damals 51 Jahre alt und auf dem Höhepunkt seiner beruflichen Karriere. Zu diesem Zeitpunkt konnte er noch nicht ahnen, dass drei Jahre später schon alles vorbei sein würde. Er und seine Frau Gusti gerieten, wie so viele andere Österreicher jüdischer Herkunft, 1938 in die nationalsozialistische Verfolgungsmaschinerie, der sie nicht mehr entkommen sollten.

Wer war Otto Skall? Er gilt als einer der ganz großen österreichischen Fotografen der Zwischenkriegszeit. Mit seinen Schauspieler- und Musikerporträts, aber auch mit seinen vielen Alltags- und Reisereportagen sorgte er zu seiner Zeit für Furore. Und dennoch: sein Leben blieb bis heute weitgehend im Dunkeln. Ein Teil seines Nachlasses mit bisher unbekannten Fotos und Briefen hat sich in Italien erhalten, wo Skalls Sohn den Holocaust überlebte. Es ist den beiden Enkeltöchtern Elena und Anna Skall sowie dem italienischen Biografen der Familie, Roberto Lughezzani, und seinem kürzlich erschienenen Buch "La lunga strada sconosciuta. Una famiglia ebrea nella morsa nazifascista" (2013) zu danken, dass das Leben und Werk des Fotografen und seiner Familie nun genauer rekonstruiert werden kann.

Erfolg in Wien

Als Otto Skall 1925 die Fotografie zu seinem Beruf machte, war er bereits knapp über 40. Sein Geld hatte er zuvor als Buchhalter verdient. Vermutlich hat ihn die bekannte Wiener Atelierfotografin Trude Fleischmann, mit der er eng befreundet war, ermuntert, seinen Brotberuf aufzugeben und seiner fotografischen Leidenschaft nachzugeben. Skall, 1884 in Prag geboren, war in der tschechischen Hauptstadt aufgewachsen und mit 30 nach Lemberg gezogen. Dort hatte er eine Büroarbeit in einem Industriebetrieb angenommen. Der Grund: Er hatte Hela (Helene) Schein, eine junge Frau aus Ostgalizien, kennengelernt. Wenige Monate vor Beginn des Ersten Weltkriegs heirateten die beiden.

Zum Zeitpunkt der Kriegserklärung war Hela Schein seit drei Monaten schwanger. Alsdann überschlugen sich die Ereignisse. Anfang September fiel Lemberg an die russischen Truppen, Tausende Zivilisten flohen Richtung Westen. Unter ihnen war auch das junge Ehepaar Skall, das sich nach Wien retten konnte. Ihre Ehe ging nach wenigen Jahren auseinander. Im Sommer 1918 kam es zur Scheidung, wenig später heiratete Skall die zehn Jahre jüngere Wienerin Augustine (Gusti) Mandler, auch sie war jüdischer Herkunft. Die beiden wohnten in der Döblinger Vegagasse.

Otto Skall: Straßenszene in Wien, 1930er Jahre (Privatbesitz).

Als Fotograf hatte Otto Skall auf Anhieb großen Erfolg. Ende der 1920er Jahre entstanden seine ersten Theateraufnahmen, u.a. in dem damals von Max Reinhardt geführten Theater in der Josefstadt. Er fotografierte in den folgenden Jahren zahllose Schauspielstars, Tänzerinnen und Musiker (u.a. Lotte Lehmann, Arturo Toscanini, Alban Berg). Regelmäßig berichtete er in den 1930er Jahren von den Salzburger Festspielen und vom Wiener Opernball. Innerhalb weniger Jahre stieg Skall zum bekanntesten österreichischen Theaterfotografen auf. Anders als die traditionellen Atelierfotografen seiner Zeit, die die Bühnenstars im Studio ablichteten, arbeitete Skall meist mit kleinformatigen, lichtstarken Kameras direkt vor Ort, etwa der Contax, die er in den 1930er Jahren verwendete.

Bald erweiterte Skall sein thematisches Repertoire. Als Skalls Sohn Heinz 1933 zum Studium nach Italien zog, besuchten ihn Otto und Gusti Skall oft und bereisten ganz Italien. Zahlreiche seiner Italienbilder wurden in Zeitungen und Magazinen veröffentlicht. Er reiste in den 1930er Jahren viel. 1935 lieferte er etwa die Fotos zu einer Reportageserie mit dem Titel "Zu zweit an die Grenzen Europas", in der entlegene Gegenden des Kontinents in Texten und Bildern vorgestellt wurden.

Der Fotograf lieferte nun auch faszinierende Sozial- und Alltagsreportagen aus Wien und Umgebung - sehr oft mit gut geschriebenen Texten seiner Frau Gusti Skall. In seinen Aufnahmen hielt er eine Fronleichnamsprozession in Döbling ebenso fest wie den Wiener Naschmarkt, Gasthausszenen in Niederösterreich oder die Armut auf den Straßen in Wien (siehe Foto). 1937 illustrierte er mit seinen Bildern ein großes Interview mit Thomas Mann, den er in dessen Exil in der tschechischen Stadt Proseč fotografierte.

Otto Skall: "Fridolins erste Liebe", ein Stück der Schweizer Ausdruckstänzerin Trudi Schoop, Wien 1935.
© Archiv Anton Holzer

Skall war in seiner Fotoästhetik ein Vertreter der Moderne, aber kein Anhänger der radikalen Avantgarde. Oft rückte er mit seiner Kamera nahe an seine Protagonisten heran um, ausgehend von einem ausdrucksstarken Eröffnungsbild, eine Geschichte zu erzählen. Ein Beispiel dafür ist eine schöne Fotoreportage über das Tanzstück "Fridolins erste Liebe" der Schweizer Ausdruckstänzerin Trudi Schoop im Jahr 1935 (siehe Foto). Skall hielt die Tänzerinnen in einem Augenblick inniger Umarmung fest.

Flucht nach Prag

Am 12. März 1938 brach für Otto und Gusti Skall eine Welt zusammen. Der Einmarsch von Hitlers Truppen in Österreich zwang sie zur Flucht und zerstörte ihre privaten wie beruflichen Perspektiven. Zerrissen wurde auch der Freundeskreis, in dem sie sich in Wien bewegten. Die Skalls hatten Kontakt unter anderen mit den Fotografinnen Trudi Fleischmann (zu deren Fotoreportagen Gusti Skall immer wieder die Texte schrieb) und Dora Horovitz, mit den Schriftstellern Elias und Veza Canetti, der Pädagogin Eugenie Schwarzwald, dem Journalisten Hans Oplatka und dem Zeichner Bil Spira.


Am 13. März 1938 flüchteten Otto und Gusti Skall nach Prag, da Skall nach wie vor die tschechische Staatsbürgerschaft besaß. Aber es war schwer für die beiden, in der Stadt Fuß zu fassen. Gusti konnte kein Tschechisch, und daher ihre journalistischen und literarischen Arbeiten nicht fortsetzen (u.a. hatte sie in Wien Filmrezensionen und 1937 einen Fortsetzungsroman veröffentlicht). Skall versuchte einen Neustart, zunächst zusammen mit dem Prager Fotografen Miroslav Hàk. Nach der tschechischen Unterwerfung durch NS-Deutschland 1939 konnte er sich nur mehr illegal über Wasser halten, mit Porträtaufträgen und Fotounterricht.

Verzweifelt versuchten die beiden, eine Ausreise in die USA (wo zwei Brüder Gustis lebten) zu organisieren oder einen Transfer nach Shanghai zu ergattern. Vergebens. Das Paar lebte auf engstem Raum in einem kleinen Zimmer. Trotz zweier Affidavits und eines Garantiebetrags in einer amerikanischen Bank von 1500 Dollar sanken ihre Hoffnungen auf Rettung. "Alles zu wenig, man wird bestenfalls ausgelacht. Es ist so empörend, dass man kotzen möchte", schrieb Otto Skall am 20. September 1940 an seinen Sohn nach Italien.

Tragisches Ende

Er berichtete auch von der Resignation, die seine Frau erfasst hat. "Ich möchte sie ein wenig mit meiner Energie und meinem Lebenswillen anstecken." Und schließlich im Mai 1941: "Von hier kann man nun nicht mehr weg". Und er ergänzte: "Und so wartet man eben . . ." Die Lage war aussichtslos geworden. "Der Schlaf", heißt es in einem weiteren Brief, "ist für uns wie ein Kleid voller Löcher geworden, die man mit einer Reihe von Medikamenten stopfen muß."

Nur wenige Tage später, kurz vor der bevorstehenden Deportation in das Konzentrationslager, setzten Otto und Gusti Skall ihrem Leben ein Ende. Am 23. Jänner 1942 nahm sich Gusti mit einer Überdosis Schlafmittel das Leben, am Tag danach erschoss sich Otto mit einer Pistole.

Ihr Sohn Heinz Skall war ab 1938 in Italien ebenfalls in die Mühlen der antisemitischen Verfolgung geraten und musste lange Zeit in einem süditalienischen Internierungslager zubringen. Doch Heinz Skall überlebte den Holocaust. Er war es auch, der einen Teil der Bilder und Dokumente seines Vaters und von dessen Frau in die Nachkriegszeit gerettet hat.

Anton Holzer, geboren 1964, lebt als Fotohistoriker, Publizist und Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte" in Wien.
Ende September erscheint im Primus Verlag sein neues Buch: "Rasende Reporter. Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus". Es wird am 30. Oktober um 19 Uhr in der Wiener Galerie Westlicht vorgestellt.
Website Anton Holzer