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Ran an den Speck

Von Jan Michael Marchart

Politik

Am 25. Jänner wählen Niederösterreichs Gemeinden. Im Speckgürtel mit 400.000 Wählern wollen Neos und Grüne der ÖVP wehtun. Eine Wahlkampf-Schlagerparade zwischen billigem Wohnen und fahrerloser Straßenbahn.


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Perchtoldsdorf. Die Sonne scheint an diesem kühlen Jännertag in Perchtoldsdorf. In der Stadtmitte ragt der Wehrturm, der auch das Gemeindewappen ziert, in den blauen Himmel. Rund 14.800 Menschen leben hier. Von der Gemeinderatswahl, die am 25. Jänner in Niederösterreich stattfindet, ist noch wenig zu spüren. Vereinzelt hängen Plakate der Grünen, FPÖ, SPÖ und Neos im Ort. Für Bürgermeister Martin Schuster (47) und die Perchtoldsdorfer Volkspartei, eine ÖVP-nahe Liste, beginnt der Wahlkampf erst nach den Feiertagen.

Die schwarze Dominanz hat hier Tradition. Seit der Nachkriegszeit um 1945 ist Perchtoldsdorf eine durch und durch schwarze Gemeinde. Die Sozialdemokratie ist mit sechs Sitzen im Rat so unterrepräsentiert wie FPÖ und Grüne zusammen. In Bedrängnis wird der Bürgermeister (seit 2002 im Amt) und niederösterreichische Landtagsabgeordnete auch durch die neue Konkurrenz, die Neos, nicht kommen. Die ÖVP hält 24 der 37 Sitze im Gemeinderat und die absolute Mehrheit im Ort.

Der Wiener Speckgürtel

Perchtoldsdorf ist Teil des Wiener Speckgürtels. So wird das Umland bezeichnet, das Wien umschließt. Fast 639.000 Menschen leben dort. Bevölkerungsmäßig gibt es hier die höchste Wachstumsrate Österreichs. Laut dem Politexperten Peter Filzmaier gibt es im Speckgürtel etwa 400.000 Wähler. 1,52 Millionen sind in Niederösterreich gesamt wahlberechtigt.

Der stereotype Speckgürtler ist bürgerlich und Besserverdiener, Markenzeichen: SUV. In diesem Milieu rechnen sich FPÖ, Grüne und nun auch die Neos bessere Chancen aus, am schwarzen Speck zu knabbern, als etwa in bäuerlichen Weinbaugebieten des hohen Nordens. Aber auch die Speckgürtelregion verteidige die Volkspartei vehement, sagt Filzmaier. "Daran wird es auch bei dieser Wahl nichts zu rütteln geben."

Die Ausgangslage: Die ÖVP dominiert Niederösterreich. Sie lässt sich als einzige Partei auch 2015 in allen 570 Gemeinden aufstellen. Drei der vier Statutarstädte, St. Pölten, Krems und Waidhofen an der Ybbs, haben ihre Wahltage erst 2016 und 2017. Nur Wiener Neustadt wählt zum landesweiten Termin.

Die FPÖ und die Grünen wollen mehr Beteiligungen in den Gemeinden. Die SPÖ möchte den Verlust von 5,1 Prozentpunkten aus dem Jahr 2010 wieder aufholen. Und die Neos, die wollen in allen 43 Gemeinden, in denen sie antreten, auch in den Gemeinderat einziehen. Pinkes Hoffnungsgebiet: der Speckgürtel.

Was will der Speckgürtler überhaupt? Um zwei Punkte kommen die Kommunalpolitiker nicht herum. Allen voran steht das große Thema Mobilität. In der Früh stauen sich Pendler nach Wien. Der Bus fährt meist halbstündlich, wenn nicht sogar stündlich. Stoßzeiten ausgenommen. In der Nacht ist man aufs Taxi angewiesen, an Wochenenden fährt der Bus unregelmäßig. Außerdem ist die Busfahrt nach Wien für die Speckgürtler nicht billig: "Vom Hauptplatz im Ort fährt man zwei, drei Stationen nach Wien-Liesing. Zahlen muss ich zwei Zonen, wenn ich in die Innenstadt möchte. Also 4,40 in eine Richtung. Total realitätsfern", sagt der Spitzenkandidat der Perchtoldsdorfer Grünen, Christian Apl (50), mit einem grünen Jutebeutel auf der Schulter. Die Länder Wien, Niederösterreich und die Gemeinden müssten ihre Grenzen öffnen. Mit dem Verkehrsbund Ost-Region hat sich diesbezüglich einiges getan. Schüler und Lehrlinge können mit dem Jugendticket um 60 Euro in Wien, Niederösterreich und Burgenland ein Jahr lang fahren. Für Erwachsene kostet die Jahreskarte einer Zone außerhalb Wiens rund 400 Euro. Hinzu kommt jene für Wien. Noch einmal 365 Euro. "Die Region muss endlich als ein Lebensraum verstanden werden", sagt Apl.

Bim auf Knopfdruck

Ein neuer Lebensraum entsteht gerade in Rodaun, zwischen den Gemeinden Kaltenleutgeben und Perchtoldsdorf. 450 Wohneinheiten werden 2016 erbaut sein, so der Plan. Nach Wien-Liesing führt aber nur eine Straße, die schon jetzt stark frequentiert ist. Staus in der Früh sind keine Seltenheit.

Apl arbeitet an einer Lösung. Die "Bim auf Knopfdruck". Ein elektrisch betriebener, waagrechter Lift mit leichten, fahrerlosen Kabinen, soll den Verkehr zwischen Rodaun, Perchtoldsdorf und Mödling auf der Trasse der im Jahr 2012 aufgelassenen Kaltenleutgebner Bahn entlasten. Die Kabinen sollen dann kommen, wenn man sie braucht, für sechs, 24 oder 48 Personen. In fünf Minuten Intervallen. Das wäre eine ordentliche Verbesserung gegenüber dem derzeitigen Busfahrplan. Finanziert werden soll sie über EU, Bund, Land und Gemeinden sowie über Crowdfunding. Im Sommer 2016 seien erste Tests möglich.

Junges Wohnen

Die schlechte öffentliche Verbindung ist ein Grund dafür, dass junge Menschen in die Hauptstadt ziehen. "Gegenwärtig ist es schwierig", sagt Apl. "Nach der Schule gehen sie nach Wien studieren. Später kommen sie vielleicht mit Familie zurück." Sicher kann man da aber nicht sein.

In Perchtoldsdorf wurden zwischen Weingärten und Heurigen über Jahre Designervillen und Einfamilienhäuser hochgezogen. Der Grundstückspreis pro Quadratmeter lag hier 2012 zwischen 430 und 560 Euro. Perchtoldsdorf gehört zu den teuren Flecken Niederösterreichs, steht preislich auf einer Ebene mit Baden und Mödling. Ein bürgerliches Terrain. Die Kaufkraft pro Kopf und Jahr beträgt um 5000 Euro mehr als in Gesamt-Österreich.

Das Wohnen soll auch für junge Menschen im Wiener Umland erschwinglich werden, die weniger im Börserl haben. So der Plan in Niederösterreich. In Perchtoldsdorf kostet die Miete einer 75-Quadratmeter-Wohnung in guter Lage um die 900 Euro. Plus hohe Betriebskosten (Heiz- und Stromkosten). "Preislich ist es ein Wahnsinn. Auch für gut verdienende Eltern ist es schwer, für ihre Kinder hier eine Wohnung zu zahlen", sagt Schuster.

Der Wohnungsmarkt ist im Ort ausgelastet und gebaut wird nicht mehr. Vor zehn Jahren hat Perchtoldsdorf beschlossen, nicht mehr zu wachsen. "Was komisch klingt, während der Speckgürtel immer größer wird", erzählt Schuster. Für junge Menschen sollen in Perchtoldsdorf nun 84 Wohnungen für den Ortsnachwuchs ab 16 Jahren in Zukunft zur Verfügung stehen. Zeitlich beschränkt, um Fluktuation zu erzeugen.

Für 45 und 55 Quadratmeter beziehungsweise je zwei Zimmer beträgt die Miete inklusive Betriebskosten rund 490 Euro. Die Kaution liegt bei sechs Monatsmieten, rund 3000 Euro. Auch nicht wenig. Durch Landesförderungen reduziert sich die Miete aber immerhin auf 250 Euro. "Für Perchtoldsdorfer Verhältnisse günstig", erklärt der Bürgermeister.

Transparenz im Ort

Bundespolitische Werte bringen die Neos in die Gemeinden. Die werden in den Perchtoldsdorfer Gemeinderat vermutlich einziehen. Deren Listenerster Günther Jörg, Jahrgang 1957 und Marktforscher, möchte Transparenz in die Gemeinde bringen und für mehr Bürgerbeteiligung, etwa in der Frage, wofür und wie das Gemeindebudget ausgegeben wird, sorgen. "Die Leute sollen wissen, wofür ihr Geld ausgegeben wird und wie Beschlüsse zustande kommen", sagt er. "Sie sollen stärker in die Prozesse miteinbezogen werden."

Klassischer Politiker wollte Jörg nie werden. "Es gibt bessere Politiker als mich. Denen wollte ich den Vortritt lassen." Dass er nun Listenerster ist, ist seiner Ansicht nach einfach passiert. Zu wenig passiert ist in der mit 20.000 Einwohnern wichtigen Speckgürtel-Stadt Mödling. Hier konnten die Neos die Teamstärke nicht erreichen und treten nicht an. Haben die Neos eine Chance, dort wo sie antreten? "Vielleicht, vielleicht auch nicht", sagt Jörg für Perchtoldsdorf.

Neos-Landessprecher Nikolaus Scherak ist überzeugt davon, Gemeinderatssitze zu ergattern. Und das werde das Gesicht der Neos verändern. "Die Überschuldung in Niederösterreich ist enorm. Die Leute wissen gar nicht, wie hoch die Schulden sind." Bei größeren Infrastrukturprojekten sollte es Volksbefragungen und Volksabstimmungen geben. Gemeinderatsprotokolle gehören im Internet veröffentlicht.

"Sicher darf man nie sein"

"Sicher darf man sich nie sein", sagt Schuster im Restaurant "alexander" auf die Frage nach der pinken Konkurrenz. In einer Gemeinde gehe es aber mehr um die Person, weniger um die Partei, setzt er auf seine Persönlichkeitswerte. Ein Konkurrent mit Charisma könne im Machtgefüge natürlich immer etwas verschieben.

Bei der letzten Nationalrats- und Europawahl erreichte die ÖVP im selben Ort Platz eins, allerdings mit nur knapp mehr als 30 Prozent. "Durch die Zu- und Abwanderung sind es zudem nicht die gleichen Wähler wie vor fünf Jahren." 886 Zuzügen standen 2013 726 Wegzüge gegenüber.

Keine Grabenkämpfe

"Vom Wahlkampf abgesehen, in unserer Gemeinde gab es in den letzten fünf Jahren keine Grabenkämpfe", sagt Schuster und lehnt sich zurück. "Das ist auch der Unterschied zur Bundes- und Landespolitik. In den Gemeinden gibt es keine Inkompetenzvermutung gegenüber anderen Parteien und Ideologien. Ich hoffe, wir können das in Perchtoldsdorf so beibehalten." Apl pflichtet bei: "Streitereien kosten nur Kraft und Zeit."

In der Gemeindepolitik gehe es um die unmittelbare Gestaltung des Lebensraumes. Die Anliegen der Leute werden angehört und "rasch darauf reagiert", sagt der Grüne. "Ich finde es gut, dass die Parteien im Grunde die gleichen Themen haben - dann werden sie schneller umgesetzt."