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Nach einem ergebnislosen Videogipfel drängen einige EU-Staaten auf einen Finanzkompromiss bis Juli.
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Charles Michel an einem grauen Tisch hinter einer bunten Tür im Brüsseler Ratsgebäude. Angela Merkel vor einer deutschen Flagge im Berliner Kanzleramt. Mette Frederiksen an einem Stehtisch in Marienborg bei Kopenhagen. Und sie alle, der Ratspräsident, die Bundeskanzlerin und die Premierministerin, schauen auf einen Bildschirm, auf dem sie gut zwei Dutzend weitere EU-Spitzenpolitiker sehen. Es ist nicht das erste Gipfeltreffen, das wegen der Corona-Pandemie nur virtuell stattfindet. Aber es könnte eines der letzten sein. Geht es nach Michel, der die Beratungen leitet, soll die nächste Zusammenkunft persönlich sein. Mitte Juli könnten die Staats- und Regierungschefs zu diesem Zweck alle wieder nach Brüssel reisen. Dann wären wieder intensivere Verhandlungen, aber auch informelle Gespräche in unterschiedlichen Gruppen möglich.
Dass die Videokonferenz am Freitag nach wenigen Stunden ohne Einigung zu Ende ging, hat aber nicht nur mit dem digitalen Format zu tun. Vielmehr hängt es mit dem Thema zusammen: Ob virtuell oder analog - Verhandlungen ums Budget gehören zu den mühsamsten. Daran ändert auch die Corona-Krise wenig und auch nicht der Ruf nach mehr und rascher Solidarität, um die Auswirkungen der Pandemie abzufedern.
Umstrittene Zuschüsse
Diese Solidarität stellen sich die Länder noch dazu unterschiedlich vor. Daher wird das Vorhaben der EU-Kommission auch in den kommenden Wochen für Zwist sorgen. Die Brüsseler Behörde schlägt vor, den Unionshaushalt für die Jahre 2021 bis 2027 mit einem Wiederaufbaufonds aufzustocken. Zu den Ausgaben im Umfang von 1,1 Billionen Euro würden so 750 Milliarden Euro an Zuschüssen sowie Krediten kommen. Ginge es nach den Wünschen von Deutschland, Frankreich und der Kommission, würde der nicht rückzahlbare Teil davon 500 Milliarden Euro betragen. Doch genau dieses Verhältnis ist neben dem Volumen einer der größten Streitpunkte. Während Italien und Spanien auf mehr Zuschüsse pochen, warnt Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz immer wieder vor einer "Schuldenunion durch die Hintertür".
Gerungen wird ebenso um die Kriterien für die Zuteilung der Hilfszahlungen. Dass dafür die Arbeitslosenzahlen - und nicht etwa der Rückgang der Wirtschaftsleistung - herangezogen werden, stört etwa die Niederlande und Tschechien.
Immerhin, betonte Merkel, wäre das Prinzip, dass die Kommission Anleihen aufnehmen und das Geld an die Mitgliedstaaten weiterreichen soll, nicht in Frage gestellt worden. Das ist auch ein Novum für die EU, doch unterstreicht die Kommission, dass EU-Förderungen ebenfalls eine Form von Zuschüssen sind.
Ihre Präsidentin, Ursula von der Leyen, zeigte sich nach dem Treffen trotz dessen Ergebnislosigkeit zufrieden. Die Spitzenpolitiker seien zumindest einer Meinung, dass es auf "die ernste Situation" eine "ehrgeizige, gemeinsame Antwort" geben müsse. Noch dazu solle sie schnell erfolgen.
Warten auf Zahlungen
Die Zeit drängt tatsächlich. Der aktuelle Finanzplan läuft bis Jahresende; eine Einigung auf den Ausgabenrahmen für die kommenden sieben Jahre wäre jetzt schon notwendig, um längere Projekte abzusichern. Der Wiederaufbaufonds ist mit dem Budgetentwurf eng verbunden. Die Corona-Krise hat die gesamte Planung durcheinander gewirbelt, und das volle Ausmaß ihrer Folgen ist noch nicht absehbar. Noch dazu können davon schwer getroffene Länder kaum damit rechnen, dass Zahlungen vorgezogen werden.
Daher drängen sie besonders auf eine rasche Entscheidung zum Finanzplan. Die Vereinbarung müsse bis Ende Juli geschlossen werden, forderte etwa der italienische Premier Giuseppe Conte. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron mahnt ebenfalls zur Eile. An Michel soll es seinen Angaben zu Folge nicht scheitern: Der Ratspräsident spricht sich für eine Beschleunigung der Gespräche aus und will bis zum Juli-Treffen neue Details vorlegen.
Dennoch: "Die Brücken, die wir noch zu bauen haben, sind groß", befand Merkel. Ihr Amtskollege Kurz ortet "noch viel Diskussionsbedarf". Die Videositzung sei erst "der Startpunkt für lange Verhandlungen" gewesen. Die nächste Zusammenkunft wird so wohl länger als nur ein paar Stunden dauern.