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Rascher Brexit als historische Chance

Von Florian Hartleb

Gastkommentare
Florian Hartleb ist Politikberater, Mitarbeiter der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft und lehrt auch an mehreren Universitäten.

Die Trittbrettfahrerei nach britischem Vorbild könnte nun aufhören - zum Vorteil aller. Aber die Scheidung von der EU ist schnell zu vollziehen.


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Steht der Brexit wirklich für das Ende Europas? Die Alarmglocken schrillen lauter als je zuvor. Doch lässt sich der britische Weg wirklich auf andere Länder übertragen? Folgt nun eine Kettenreaktion, wie Europas Rechtspopulisten vollmundig behaupten? Nein, Großbritannien hat sich nie wirklich als Teil der europäischen Gemeinschaft gesehen. Nicht umsonst ist dort schon in den 1980ern das Wort "Euroskeptizismus" entstanden. Immer wieder hat Großbritannien Sonderregelungen verlangt und Entscheidungen blockiert. Bis heute gehört es nicht zur Eurozone. Die Trittbrettfahrerei könnte nach einem Brexit aufhören - zum Vorteil aller.

Es ist gar nicht klar, was die Briten eigentlich wollen. Viele bedauern den Brexit, werden sich erst jetzt über die Konsequenzen des Referendums bewusst. Solche Stimmungen werden täglich zunehmen. Das ganze Konstrukt des Vereinten Königreichs steht auf dem Spiel. Schottland kann nun einen erneuten Versuch der Loslösung unternehmen. Massive politische Erosionsprozesse setzen bereits in England ein. Wer mit der EU verhandeln wird, steht in den Sternen.

Die EU ist in einer weitaus besseren Situation. Wenn sich Angela Merkel & Co allerdings erneut wie einst vom griechischen Linkspopulisten Alexis Tsipras vorführen und vertrösten lassen, ist das Projekt "Europa" gescheitert. Die Scheidung ist schnell zu vollziehen. Andernfalls könnte das schlechte britische Referendum-Beispiel auch anderswo schnell Schule machen. Würde sich jeder EU-Staat demnächst per Volksabstimmung Sonderrechte und Ausstiegsklauseln sichern, wäre die EU endgültig erledigt. Der jetzige Höhepunkt an europäischer Desintegration könnte nun eine historische Chance sein, viel mehr noch als lediglich ein Weckruf für die Funktionseliten. Die Tatsache, dass tatsächlich jemand geht, bedeutet, dass man seine Karten überreizen kann und irgendwann mit aller Konsequenz aus dem Klub scheidet.

Wenn nun Großbritanniens Wirtschaft darunter leidet, wie sich jetzt schon abzeichnet, wird selbst für Euroskeptiker klar, dass Europa Wohlstand bringt.

Eine bescheidenere, weniger kleinteilig-technokratische EU könnte an Attraktivität zurückgewinnen. Vielleicht schafft es ausgerechnet die Abkehr eines großen Mitglieds, mehr europäische Emotionen zu wecken. Europas Kernstaaten Frankreich und Deutschland müssen Antworten liefern. Was spricht gegen ein pragmatisches Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten? Allein die gebetsmühlenartige Warnung, die EU vermeide Krieg, wird die Bürger nicht überzeugen. Die EU muss vor allem das Verhältnis zwischen Nationalstaat und Bündnis klären. Der Mangel an Nicht-Europa, wie er durch die Staatsschuldenkrise und noch mehr durch die Flüchtlingsproblematik für Millionen EU-Bürger spürbar wurde, muss beseitigt werden.

Der Brexit hat zudem bewusst gemacht, dass noch einmal grundsätzlich über die Ziele der EU debattiert werden muss. Eines steht fest: Die EU ist kein sich ständig erweiternder Wohlfühlklub, sondern sie braucht klare Regeln. Wer diese nicht will, soll sich alleine verwirklichen. Auch das gehört zur europäischen Freiheit.