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Rascher Wiederaufbau als zweiter Sieg der Hisbollah

Von Markus Bickel

Politik

Schiitenmiliz kümmert sich um Entschädigungen. | Ansehen in der Bevölkerung auf dem Zenit. | Tyrus. (apa) Im Büro von Mohammed Basi geht es geschäftig zu. Emsig füllen drei Männer auf dem niedrigen Wohnzimmertisch in der Mitte des karg eingerichteten Zimmers Formulare aus. Zwei Kollegen nehmen Anrufe entgegen, und auch der Direktor der Wiederaufbauorganisation der Hisbollah in der südlibanesischen Hafenstadt Tyrus wird durch ständige Telefonate unterbrochen.


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"Seitdem wir das Büro am Samstag eröffnet haben, haben sich schon ungefähr 120 Leute bei uns gemeldet", sagt Basi. "Jihad al-Bina" (Baukampf) heißt die Organisation, die die von Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah vor einer Woche versprochene Hilfe beim Wiederaufbau in die Hände nimmt. "Jeder, der Unterstützung braucht, kann sich bei uns melden - unabhängig davon, ob er Hisbollah-Mitglied, Schiit, Sunnit oder Christ ist."

Beginn der Hilfe im Süden Beiruts

In den schiitisch dominierten südlichen Beiruter Vorstädten fing die Austeilung von Geldern an Besitzer und Bewohner beschädigter oder zerstörter Wohnungen schon unmittelbar nach Beginn der Waffenruhe zwischen Israel und dem Libanon an. In den kommenden Tagen sollen die Entschädigungsleistungen auch in den südlibanesischen Gebieten, die neben Süd-Beirut am heftigsten von den israelischen Luftangriffen und Bodenattacken betroffen waren, an Schwung gewinnen. Das von Basi geleitete Team hat schon in den vergangenen Tagen eine erste Bestandsaufnahme der Schäden vorgenommen. "Es sind etwa 35 bis 40 Häuser zerstört worden", sagt der junge Mann. "Ungefähr achtzig Prozent der Leute, die von den Angriffen betroffen waren, haben sich bereits bei uns gemeldet." In der kommenden Woche würden Ingenieure und andere Fachleute die Schäden im Einzelnen begutachten, um die genaue Höhe der Entschädigungsleistungen festzulegen. Nicht nur in Tyrus, auch in den umliegenden Gemeinden sollen in den kommenden Tagen Büros der Wiederaufbauorganisation eröffnet werden.

Keine Konkurrenz zu staatlichen Behörden

"Wir stellen keine Konkurrenz zu den staatlichen Institutionen dar", weist Basi Vorwürfe zurück, die "Partei Gottes" versuche, Regierungsstellen auszubooten. Doch darauf warten, dass von der Regierung in Beirut bezahlte Beamte die riesigen Zerstörungen beheben, könne die Hisbollah nicht. "Wenn der Wiederaufbau schnell vonstatten geht, ist das für uns wie ein zweiter Sieg." Das Gefühl, sich nicht auf die Behörden verlassen zu können, teilen viele Bewohner im Süden.

Hassan Fayad ist einer von ihnen. Vor seinem schlichten Stammcafé mit Blick auf die Uferpromenade von Tyrus nippt der stämmige Schiit an einem kleinen Plastikbecher arabischen Kaffees. Im Fernsehen zeigt Al-Jazeera gerade ein Interview mit einem Hisbollah-Kämpfer, der beschreibt, wie sein Trupp ein israelisches Kommando in die Flucht schlug.

Plakate mit dem Bildnis Nasrallahs und des 1978 in Libyen verschwundenen schiitischen Imams Moussa al-Sadr schmücken die Rückwand des Cafes, an der Fensterscheibe hängt eine Todesanzeige. Sie ehrt Fayads Schwager, einen Polizisten, der nur Stunden nach Beginn der Waffenruhe beim Versuch, in ein zerstörtes Haus einzudringen, von Bauschutt erdrückt wurde.

Daran, dass die Hisbollah der einzige Garant für einen raschen Wiederaufbau ist, lässt Fayad keinen Zweifel. "Würden wir auf die Regierung warten, würde hier gar nichts passieren", sagt der Geschäftsmann. "In manchen Teilen von Tyrus können Sie Häuser sehen, die seit der israelischen Invasion 1982 nicht in Stand gesetzt wurden. Die Regierung hat uns immer vergessen."

Dass die großzügigen Hilfsangebote Nasrallahs - die Erstattung der Jahresmiete für Bewohner zerstörter Wohnungen; bis zu 12.000 US-Dollar (9.366 Euro) haben Besitzer beschädigter Wohneinheiten in Süd-Beirut schon vergangene Woche erhalten - den Rückhalt der Hisbollah in der Bevölkerung weiter festigen, lässt sich nicht bestreiten.

Finanzieller Segen durch Wiederaufbau

Neben der sozialen Bindung, die die Schiitenpartei auf diese Weise mit den Hilfsempfängern schafft, dürfte der Wiederaufbau vielen im Bau- und Immobiliengewerbe tätigen Hisbollah-Angehörigen und -Sympathisanten einen finanziellen Segen bescheren. Fayad etwa will eine seiner beiden Wohnungen an obdachlos Gewordene vermieten und seine Kontakte nutzen, um weitere Unterkünfte an Wohnungssuchende zu vermitteln.

Schon seit dem Ende der Kampfhandlungen sind Traktoren, Bagger und anderes Baugerät an den zerbombten Häusern und Tankstellen von Tyrus zu sehen. Auch bei der großen Kreuzung an der südlichen Ausfahrtsstraße haben sich Mitglieder eines kleinen Bautrupps an die Arbeit gemacht. Von den ghanesischen UNIFIL-Angehörigen, die Mitte vergangener Woche hier standen, ist nichts zu sehen.