Der deutsche Populismusforscher Florian Hartleb über die Freiheitlichen.
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Wien/München. Die ökonomischen und sozialen Umbrüche der letzten Jahre haben nicht zuletzt auch unter den politischen Parteien zu Krisengewinnern und -verlieren geführt. Während insbesondere die traditionellen Volksparteien links und rechts der Mitte unter erheblichen Legitimationsdruck gerieten, befinden sich rechtspopulistische Parteien quer durch den europäischen Kontinent auf dem Vormarsch. Anlässlich der kommenden Nationalratswahl widmet die "Wiener Zeitung" dieser Entwicklung eine Interviewserie mit renommierten Experten. Nach dem britischen Soziologen Colin Crouch zur Krise der europäischen Sozialdemokratie ("Wiener Zeitung" vom 3./4. August) und dem Tory-Vordenker Philip Blond zu den Fehlern der Konservativen (10./11. August) geht es im Folgenden um die Lage der rechtspopulistischen Parteien.
"Wiener Zeitung": Frankreich, Italien, Ungarn, Schweiz, England, Niederlande, Dänemark - und natürlich Österreich: Rechtspopulistische Parteien haben sich quer durch Europa etabliert. Worauf beruhen diese politischen Erfolge?Florian Hartleb: In den vergangenen zwanzig Jahren wurde Rechtspopulismus zu einem Dauerbrenner in Europa. Sieht man von Ausnahmen ab - etwa Italien mit der Lega Nord oder die FPÖ unter Schwarz-Blau -, handelt es sich dabei zumeist um Oppositionsparteien. Die Strategie ist dabei aber stets die gleiche: Es geht gegen "die da oben", die Eliten, was sich gerade in traditionellen Konsensdemokratien besonders stark zeigt, wo gegen die etablierte Formen der Kompromisssuche polemisiert wird. Und es geht gegen "die da draußen", also gegen Migranten im Allgemeinen und - seit den Terroranschlägen von 9/11 - den Islam im Besonderen.
Die meisten dieser Parteien setzen auf eine Mischung aus Ressentiments gegen Fremde und Eliten. Welche Rolle spielen dabei klassisch linke Themen?
Mit Kategorien wie rechts und links kommt man hier nicht weiter, weil sie das größere Ganze nicht erfassen. Es geht um Vereinfachung komplexer Themen, prägnante Slogans. Das Wettern gegen Reiche etwa hat es der FPÖ ermöglicht, sich auch unter der Arbeiterschaft Rückhalt zu verschaffen. Gleichzeitig sind solche Parteien nicht nur für Modernisierungsverlierer attraktiv, auch die abstiegsbedrohte Mittelschicht gehört zunehmend zur Stammklientel der Rechtspopulisten, wie man in Schweden oder Südfrankreich beobachten kann. Der Erfolg beruht auf einem komplexen politischen Mix. Deshalb hat sich auch die Wissenschaft in den letzten zwanzig Jahren verstärkt mit diesen Parteien beschäftigt.
Warum gelingt es etablierten Parteien nicht, eine wirksame politische Antwort zu formulieren?
Weil durch die Etablierung einer europäischen Handlungsebene politische Lösungen noch komplexer geworden sind. Hinzu kommt, dass das Gros der politischen Elite aus Berufspolitikern besteht, die einen technokratischen, oft farblosen Zugang haben; demgegenüber bieten populistische Parteien charismatischen Führungspersonen eine Plattform. Auch dass seit Jahrzehnten die gesellschaftliche Integrationskraft der traditionellen Parteien abnimmt, spielt eine Rolle: Das schafft Raum für neue politische Akteure.
Diese Politik blüht unter Oppositionsbedingungen auf, kann sie auch in der Regierung funktionieren? Die FPÖ hat es zerrissen . . .
Ich wäre mit Verallgemeinerungen vorsichtig. Die FPÖ hatte massive Probleme als Juniorpartner der ÖVP, noch dazu hat Jörg Haider von Kärnten aus gegen die eigene Mannschaft opponiert; die Lega Nord schafft diesen Spagat dagegen seit Jahren.
Welche Rolle spielt der Einsatz von Ressentiments?
Eine eminent wichtige: Alle Populisten hantieren mit diffusen Neidgefühlen. In einer individualisierten Gesellschaft, wo jeder mit jedem konkurriert und der gesellschaftliche Kitt bröckelt, stoßen diese auf starke Resonanz.
Die Gegner brandmarken die Rechtspopulisten als Rechtsextremisten, Faschisten und Demokratiegegner: Ist diese moralische Aufladung sinnvoll?
Da bin ich skeptisch. Zunächst einmal arbeiten auch die Populisten stark mit moralischen Argumenten, indem sie sich etwa als Anwalt der Anständigen und Fleißigen inszenieren. Und dann kommt hinzu, dass ein Wesensmerkmal dieser Parteien ihr Pragmatismus ist. Sie können politische Standpunkte fast nach Belieben adaptieren, auf neue Themen setzen. Das macht es schwierig, sie festzunageln. Mit Dämonisierung kommt man aber auch nicht weiter.
Die Wurzeln der FPÖ liegen im deutschnationalen Lager, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand. Ist dieses Erbe noch wirkmächtig?
Die FPÖ vereinigt verschiedene Strömungen in sich: das deutschnationale Gedankengut, gewisse liberale und anti-klerikale Elemente und mittlerweile auch anti-kapitalistische Ideen. Unter Haider hat sich dann die FPÖ zur nationalistischen Österreich-Partei gehäutet, mit Heinz-Christian Strache hat das Deutschnationale wieder zugenommen, auch das Christliche als Gegenposition zum Islam.
Wie beurteilen Sie die Möglichkeit, einer europäischen Bewegung der Rechtspopulisten?
Die Parteien versuchen seit Jahren, sich auf EU-Ebene zusammenzuschließen, allerdings sind die Unterschiede zum Teil erheblich. Der Anti-Islam-Diskurs etwa spielt in Osteuropa fast keine Rolle, manche wiederum wollen nationale Minderheiten assimilieren, was für wieder andere nicht akzeptabel ist. Die Unterschiede sind also größer, als viele vermuten. Wenn jedoch die Euro-Krise noch lange anhält, dann könnten die Chancen auf eine europäische Einigung steigen, denn die Kritik an der Europäischen Union ist der größte gemeinsame Nenner. Für die EU-Wahlen 2014 könnte es deshalb durchaus eine gemeinsame Anti-EU-Kampagne geben.
Wie stabil sind die Wählerkoalitionen der Rechtspopulisten? Frank Stronach etwa gelingt es aus dem Stand, der FPÖ fast ein Drittel ihrer Wähler abspenstig zu machen.
Stronach ist aus meiner Sicht ein postmoderner Populist: ideologisch kaum zuordenbar, wenig konkrete Inhalte und volle Konzentration auf die Führungspersönlichkeit und deren schillernde Erfolgsgeschichte. Arnold Schwarzenegger, Silvio Berlusconi oder jetzt auch der Linkspopulist Beppe Grillo in Italien wären weitere Beispiele für so einen postmodernen Populismus. Für die klassischen Populisten liegt darin natürlich eine gewisse Gefahr, weil er all jene anzieht, die etwa mit Fremdenfeindlichkeit nichts am Hut haben. Das könnte durchaus ein zukunftsfähiges Konzept sein, zumal sie weitgehend ohne die traditionellen Medien auskommen. Die digitale Kommunikationsrevolution bleibt auch für die Politik nicht ohne Folgen.
Warum gelingt es der Linken nicht, einen ähnlich erfolgreichen Populismus hervorzubringen? Grillo in Italien ist ein Versuch, Syriza in Griechenland ein weiterer, aber erfahrungsgemäß zerfallen diese Protestbewegungen rasch wieder. Sind ethnische Ressentiments stärker in unseren Genen verankert als ökonomische Klassengegensätze?
Das ist ein interessanter Gedanke. Tatsächlich scheint der Rechtspopulismus deutlich attraktiver zu sein als ein linkspopulistisches Pendant - außer der Frust über das politische System ist so extrem wie derzeit in Italien, wo Grillo die Proteststimmen einsammeln konnte.
Gemeinhin werden Parteien daran gemessen, was sie umsetzen. Das Streben in eine Regierung entspricht also ihrer politischen Logik. Gilt dieser Erfolgsdruck auch für Rechtspopulisten, oder reicht hier schon das Aufgreifen von Themen?
Die Entwicklung geht klar in Richtung Entpolitisierung, das zeigt sich auch am sinkenden Stellenwert politischer Programme. Wenn es die Chance gibt, streben auch Rechtspopulisten in eine Regierung. Generell liegt die stärkste Wirkung dieser Parteien aber in einer grundsätzlichen Veränderung des Diskurses, also welche Themen wie thematisiert werden. Hierin liegt für mich der eigentliche Erfolg der Populisten: die stärkere Betonung von Ressentiments in der Politik.
Zur Person
Florian Hartleb, geb. 1979, Politologe mit Schwerpunkt Populismus. In Kürze erscheint sein Buch "Internationaler Populismus. Ein Phänomen zwischen Kommunikationsstil und fester Ideologie" (Nomos-Verlag, Baden-Baden). Hartleb lehrt an der Universität Bonn, der Katholischen Universität Eichstätt sowie an der Hochschule Politik in München.