Die Politikerinnen Mireille Ngosso und Faika El-Nagashi über ihren Weg in die Politik mit Migrationshintergrund.
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Faika El-Nagashi (Grüne) ist die einzige Nationalratsabgeordnete mit arabischen Wurzeln, Mireille Ngosso (SPÖ) die einzige afroösterreichische Gemeinderatsabgeordnete in Wien. Nun haben die beiden gemeinsam ein Buch über ihren Weg in die Politik geschrieben. Ein Gespräch über Rassismus, Anderssein und Political Correctness.
"Wiener Zeitung": "In die Politik zu gehen war für uns als Kinder von Migrant:innen kaum vorstellbar", schreiben Sie in Ihrem Buch. Was war durch Ihren sichtbaren Migrationshintergrund anders?
Faika El-Nagashi: Ein Unterschied liegt in den Erfahrungen, die wir in unserer Kindheit und Jugend gemacht haben. Sie haben uns vermittelt, anders zu sein. Da kommt die Frage auf: Wie kann ich Teil der österreichischen Politik sein, wenn ich nicht Teil der österreichischen Gesellschaft bin? Sich das vorstellen zu können, ohne sichtbare Vorbilder zu haben, war zunächst die größte Herausforderung.
Mireille Ngosso: Ein wichtiger Moment, der mich bewegt hat, in die Politik zu gehen, war das Jahr 2000, als die erste schwarz-blaue Bundesregierung angelobt wurde. Kurz davor gab es den Fall Omofuma. Damals habe ich gespürt, dass sich in der Bevölkerung etwas verändert. In der "Kronen Zeitung" stand praktisch jeden Tag, schwarze Männer sind Drogendealer, schwarze Frauen sind Prostituierte. Man hat richtig gemerkt, wie man auf der Straße plötzlich öfter angefeindet wurde. Da hatten einige wohl das Gefühl: Wenn Rassismus in der Politik salonfähig gemacht wird, dann dürfen wir auch. Viele aus den afrikanischen Communitys haben damals das Land verlassen. Es ist anders, als sichtbare Migrantin in die Politik zu gehen. Allein schon, weil es nicht viele gibt.
In welcher Form ist Ihnen in der Politik Rassismus begegnet?
El-Nagashi: Ich merke es am stärksten, wenn die Öffentlichkeit groß ist, wenn es Berichterstattung gibt, wo mein Name vorkommt. Der reicht oft schon aus. In den Kommentaren lese ich dann etliche Anfeindungen. Besonders unangenehm wird es, wenn auch noch ein Bild von mir abgedruckt wird. Dann kommen noch sexistische und homophobe Kommentare dazu. Wenn ich als Integrationssprecherin über Rassismus oder die Situation von Geflüchteten spreche, verstärken sich die Anfeindungen noch.
Ngosso: Überall gibt es Menschen, denen ihre Privilegien mehr, andere, denen sie weniger bewusst sind. Natürlich haben ich und andere uns zum Ziel gesetzt, auch innerhalb der Partei Veränderungen zu bewirken.
Gab es Rassismus auch in Ihrer Partei?
Ngosso: Rassismus und Sexismus sind in jeder Partei ein Thema. Davor ist niemand gefeit. Das gilt für alle Bevölkerungsschichten und auch für die Politik.
El-Nagashi: Eine Partei ist kein "Safe Space". Auch sie ist ein Spiegel der Gesellschaft. Diskriminierung, Rassismus und Sexismus finden sich in jeder Partei. Entscheidend ist dann, eine Auseinandersetzung und einen Umgang damit zu finden.
Gab es auch positive Reaktionen auf Ihren Migrationshintergrund? Etwa im Sinne von "Sie kann eine andere Perspektive einbringen als andere. Das können wir in der Partei brauchen."
Ngosso: Ja. Ich werde oft gefragt: "Mireille, wie siehst du das?" Bei Treffen mit Parteimitgliedern bekommt man oft sehr offenes und rührendes Feedback. Dort spüre ich die positiven Veränderungen in der Gesellschaft.
El-Nagashi: Ich habe das vor allem am Anfang erlebt, als noch nicht so bekannt war, wofür ich inhaltlich stehe. Es kam dann schon vor, dass ich bei Gruppenfotos gebeten wurde, nach vorne in die erste Reihe zu kommen.
Sie sind die einzige Nationalratsabgeordnete mit arabischen Wurzeln bzw. die einzige schwarze Gemeinderatsabgeordnete in der Millionenstadt Wien. Sehr divers ist die heimische Politik also nicht. Ändert sich das gerade langsam?
Ngosso: Im Wiener Gemeinderat sind wir in der SPÖ vier Personen mit Migrationsbiografie - von insgesamt 44 roten Abgeordneten. Das ist ein guter Anfang. Aber auch nur ein Anfang, wenn man bedenkt, dass jede dritte Person in Wien eine Migrationsbiografie hat. Einmal hat mein Sohn in einem Supermarkt eine Schokoladenpackung gesehen, auf der ein Schwarzes Kind abgebildet war. Seine Reaktion war: "Mama, schau, der schaut aus wie ich." Repräsentation ist wichtig - sich selbst sehen zu können. Hätte ich in meiner Jugend schwarze Menschen als Politikerinnen oder Unternehmenschefs gesehen, hätte mich das bestärkt. Ich hatte in Österreich aber kaum Vorbilder, die ausgesehen haben wie ich.
El-Nagashi: Bei den Grünen hat sich schon einiges getan. Fünf von 26 grünen Nationalratsabgeordneten haben eine Migrationsbiografie. Wichtig ist aber nicht nur die Repräsentation, sondern die Themen auch inhaltlich aufs Tapet zu bringen.
Was raten Sie Ihren Parteien in Bezug auf Diversität und Durchlässigkeit?
Ngosso: Es ist wichtig, die Türen zu öffnen. Dafür braucht es das volle Engagement der Politik für Diversität, gegen Diskriminierung und Rassismus. Und es braucht Vorbilder.
El-Nagashi: Ich glaube, die Durchlässigkeit ist bei den Grünen schon ganz gut. Die inhaltlichen Auseinandersetzungen werden aber oft nur von den Betroffenen selbst geführt. Es ist uns wichtig, über Rassismus zu sprechen, um etwas zu bewegen und zu verändern. Aber wir möchten es nicht als Einzige tun müssen.
Frau Ngosso, im Buch beschreiben Sie, wie Sie mit 17 Jörg Haider bei einem Wahlkampfauftritt ausbuhten. Er rief von der Bühne: "Die Dame in Schwarz braucht gar nicht ,Buh‘ schreien! Sie soll lieber froh sein, dass sie in Österreich ist." In einem Gespräch danach war er kaum freundlicher. War das eine Art politische Initialzündung für Sie?
Ngosso: Es war ein prägendes Erlebnis, ein Schock. Ich war danach wie eingefroren. Die Begegnung hat mir das Gefühl gegeben, ich habe in diesem Land nichts verloren. Und das hat mich bestärkt in meinem Wissen, dass sich etwas ändern muss.
Wie definieren Sie den oft verwendeten Begriff "struktureller Rassismus"?
Ngosso: Menschen mit sichtbarer Migrationsbiografie haben es in der Arbeitswelt und auf ihrem Bildungsweg schwerer und erhalten nicht die gleichen Chancen wie Angehörige der weißen Mehrheitsgesellschaft. Auch von der Polizei werden schwarze Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe deutlich öfter aufgehalten und kontrolliert. So manifestiert sich struktureller Rassismus im Alltag.
El-Nagashi: Es sind Hürden zur Gleichberechtigung, die tief verankert sind und sehr weitreichende Auswirkungen haben. Sie betreffen zum Beispiel im Bildungsbereich schon Kinder und Jugendliche und schreiben sich in deren Biografien ein. Das wirkt sich stark auf spätere Arbeitsmöglichkeiten und das gesellschaftliche Fortkommen aus.
In den USA gibt es hochemotionale Diskussionen über korrekte Ausdrucksweisen, die nach Europa überschwappen. So wurde der Begriff PoC (People of Color) auf BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) erweitert. Abseits einschlägiger Kreise geht das weitgehend an den Menschen vorbei, selbst Interessierte verlieren oft die Übersicht. Sind die Debatten zu detailliert, für die "Mehrheitsgesellschaft" vielleicht sogar kontraproduktiv, weil sie aussteigt?
El-Nagashi: Ja. Ich möchte Diskussionen führen, an denen sich viele Menschen beteiligen können. Wenn man wieder neue Ausschlüsse erschafft, weil es ein sehr akademischer oder aktivistischer Diskurs ist, fehlen wichtige Teile der Gesellschaft. Die Frage ist: Möchte ich ständig in meiner eigenen Blase das Rechthaben reproduzieren oder etwas verändern können? Mein Zugang ist eher der zweitere: weniger dogmatisch, dafür zugänglicher zu sein. Und so auch mehr Resonanz zu bekommen.
Ngosso: Sprache inklusiv und intersektional zu gestalten, ist für mich absolut notwendig. Rassismus-Debatten sind aber oft zu kompliziert, finden nur in sehr kleinen und privilegierten bürgerlichen Blasen statt. Sie erreichen die breite Bevölkerung nicht. Ich halte das für einen großen Fehler. Wir müssen es schaffen, Dinge so zu benennen, dass sie alle Menschen mit ins Boot holen können.
Glauben Sie, dass es für junge Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund heute leichter ist, in Österreich aufzuwachsen, als einst für Sie?
Ngosso: Es hat sich einiges getan. In Wiener Schulklassen sehe ich heute oft zwei oder drei schwarze Personen. Ich war damals immer allein in der ganzen Schule. Und bei den "Black Lives Matter"-Demos, die ich organisiert habe, hat man unglaublich viele junge weiße Menschen gesehen, die gesagt haben: Ich will nicht, dass meinen Schwarzen Freunden diese Dinge passieren. Auch die sozialen Medien tragen viel bei. Einerseits zum Bewusstsein, andererseits zur Vernetzung.
El-Nagashi: Social Media hat schon viel verändert. Als ich in einem kleinen niederösterreichischen Dorf aufgewachsen bin, ist der letzte Zug aus Wien um 20 Uhr gefahren. Danach war Sendepause. Heute bist du rund um die Uhr vernetzt mit anderen. Das ist positiv, auch wenn es auf anderen Ebenen mehr Druck macht. Die "Black Lives Matter"-Demos oder das "Black Voices"-Volksbegehren zeigen aber, dass sich in Österreich schon viel verändert hat.
Was empfehlen Sie Angehörigen der "Mehrheitsgesellschaft", die Ihre Perspektive besser verstehen wollen?
Ngosso: Weiterbilden hilft. Es gibt tolle Bücher, von Tupoka Ogette bis Alice Hasters. Und es ist wichtig, persönlich miteinander zu sprechen. Das nimmt Barrieren.
El-Nagashi: Man kann natürlich auch unser Buch lesen (lacht). Am allerbesten funktioniert Integration und alles drum herum meiner Erfahrung nach aber über das persönliche Kennenlernen. Wer das tut und etwas miteinander macht, wird schnell merken: Ob man sich gut versteht oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab. Aber selten von der Hautfarbe, Herkunft oder Religionszugehörigkeit.
Faika El-Nagashi und Mireille Ngosso:
Für alle, die hier sind
Kremayr & Scheriau, 208 Seiten, 22,00 Euro.