Anwalt: Behörden wollten den Vorfall vertuschen | Widersprüchliche Meldungen sind über den inhaftierten ehemalige russische Ölunternehmer Michail Chodorkowski in Umlauf. Während sein Anwalt erklärte, Chodorkowski sei in seiner Gefängniszelle schwer verletzt worden, sprach die Gefängnisverwaltung von einem harmlosen Streit in der Zelle.
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Ein Mithäftling habe Chodorkowski nachts mit einem Messer angegriffen und sein Gesicht entstellt, erklärte Chodorkowskis Pressedienst am Samstag in Moskau. "Michail Chodorkowski ist nachts mit blutendem Gesicht wach geworden", hieß es in der Erklärung. "Der Angreifer hat ihm das Gesicht mit einem Schustermesser zerschnitten."
Die Wunde sei genäht worden, der 42-Jährige werde nun in der Klinik des Gefangenenlagers im sibirischen Krasnokamensk behandelt.
Die russische Gefängnisverwaltung hat diese Berichte zurückgewiesen. "Nichts dergleichen ist geschehen", sagte Behördenchef Juri Kalinin am Samstag der russischen Nachrichtenagentur Itar-TASS. In Wirklichkeit sei in den frühen Morgenstunden ein Streit zwischen Chodorkowski und "seinem jungen Freund" ausgebrochen, dieser habe ihm einen Fausthieb auf die Nase gegeben. Chodorkowski habe lediglich eine Schramme, aber keine "offenen Wunden" davongetragen.
Chodorkowskis Anwalt Juri Schmidt warf den Behörden am Samstag vor, den Zwischenfall vertuschen zu wollen. Laut einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur Interfax habe Chodorkowski beim Streit mit einem Mithäftling Kratzer an der Nase davongetragen.
Bei einer später vorgenommenen Durchsuchung der Zelle, so Chodorkowskis Pressedienst, seien ein weiteres Messer und eine Rasierklinge gefunden worden. Es handle sich um "Objekte, die im Gefängnis verboten sind".
Politischer Prozess
Chodorkowski, der frühere Chef des Ölkonzerns Yukos, war im Oktober 2003 verhaftet und 2005 wegen Steuerhinterziehung und Betrugs zu die acht Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt worden.
Westliche Politiker sprachen in der Folge von einem politischen Prozess, weil Chodorkowski Oppositionsparteien sowie Bürger- und Menschenrechtsgruppen finanziell unterstützt und sich offen gegen Präsident Wladimir Putin gestellt hatte.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommentierte das Urteil so: "Der Kreml, das wurde immer deutlicher, wollte mit dem Kampf gegen Chodorkowski einen politisch besonders gefährlich erscheinenden Gegner neutralisieren, dabei ein Exempel statuieren, um die übrigen Oligarchen, die einst Jelzin unterstützt hatten, von politischer Tätigkeit abzuschrecken. Zugleich ging es darum, sich die Ressourcen für eine eigenständige Politik im Inneren und nach außen verschaffen."
Gegen seine Inhaftierung hat Chodorkowski eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingereicht.
(Quellen: APA, Archiv, Wikipedia)