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Rätsel um Chemiewaffen-Angriff

Von Michael Schmölzer

Politik

Tabubruch oder Propaganda-Trick.|Für Moskau sind Rebellen die Schuldigen.


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Damaskus. Chlorgestank in der Luft, Menschen mit Atemproblemen in den Spitälern, Erstickende auf den Straßen und in den Häusern: Syriens Regime und seine Todfeinde, die Rebellen, waren sich am Dienstag einig, dass eine mit chemischen Waffen bestückte Rakete in Khan al-Assal niedergegangen ist; einem Ort, der rund acht Kilometer südwestlich der heftig umkämpften Stadt Aleppo liegt. Allein: Beide Seiten beschuldigen die jeweils andere, für den Angriff verantwortlich zu sein. Eine unabhängige Bestätigung des Vorfalls liegt nicht vor.

Ein Rebellen-Kämpfer in Kahn al-Assal berichtet von einer heftigen Detonation und pink-farbigem Rauch, der kurz darauf aufgestiegen sei. Ein anderer, der rund zwei Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt war, erzählt von einem wuchtigen Einschlag in einem umkämpften Areal, das derzeit von der syrischen Armee gehalten wird. Dann sei eine rosa Rauchwolke aufgestiegen, er haben sich in einem Haus verschanzt, sagt Ahmed al-Ahmed. Die Armee habe schlecht gezielt, so der Kämpfer, die Opposition stehe keinesfalls hinter dem Angriff. Das behauptet auch das Oberkommando der Rebellen.

Es gibt zumindest Indizien dafür, dass es einen Chemiewaffen-Angriff gegeben hat. Ein Fotograf der Nachrichtenagentur Reuters berichtet, die Opfer des Angriffs seien in vier verschiedene Spitäler in Aleppo gebracht worden, die von der Armee kontrolliert werden. Er habe dort Menschen gesehen, die mit Atemproblemen kämpften. Dabei habe es sich in erster Linie um Frauen und Kinder gehandelt. Diese hätten von Menschen erzählt, die auf der Straße und in ihren Häuser erstickt seien. In der ganzen Gegend habe es intensiv nach Chlor gestunken.

Laut dem Sender Al-Jazeera könnte es sich um einen Angriff mit Pestiziden gehandelt haben. "Einige Opfer sprachen von einem stechenden Geruch. Chemiewaffen sind üblicherweise geruchlos", zitiert der Sender den Mediziner Siad Haddad aus Aleppo.

"Türkei und Katar schuld"

Für Syriens Informationsminister Omran al-Zoabi stehen die Rebellen hinter dem Angriff. Diese hätten die Waffe abgeschossen und damit 16 Menschen getötet und 86 verwundet. Das staatliche TV spricht sogar von 25 Toten. Die syrische Armee würde niemals international geächtete Waffen verwenden, versichert der Minister. "Hätten wir sie, würden wir sie aus moralischen, humanitären und politischen Gründen niemals zum Einsatz bringen." Schuld an dem Angriff seien auch Katar und die Türkei, zwei Länder, die die syrischen Rebellen unterstützen, so der Informationsminister.

Ob es sich um einen vom Regime inszenierten Propagandatrick handelt, um die Rebellen in Misskredit zu bringen, ist unklar. Tatsache ist, dass in Syrien rund 1000 Tonnen Giftgas lagern, darunter Sarin, Senfgas und VX. Und Tatsache ist, dass das Regime die Chemiewaffenkonvention 1992, die Herstellung, Lagerung und Einsatz von Chemiewaffen untersagt, nicht unterzeichnet hat.

Die Berichte über den Chemiewaffen-Schlag sind für das syrische Regime, das militärisch in Bedrängnis ist, höchst heikel. US-Präsident Barack Obama hat zwar bisher alle Forderungen, die USA müssten im Syrien-Konflikt intervenieren, abgewehrt. Gleichzeitig warnte er Machthaber Bashar al-Assad aber, dass dieser mit einem Einsatz chemischer Waffen eine "rote Linie" übertreten würde. Die Warnung wurde am Dienstag vom Weißen Haus wiederholt. Gleichzeitig wurde betont, man werde die Berichte genau prüfen.

Die britische Regierung, die darüber nachdenkt, die Rebellen mit Waffen zu unterstützen, hat ebenfalls sofort reagiert. Sollte das syrische Regime derartige Waffen einsetzen, müsse das "ernsthafte Konsequenzen" seitens der internationalen Gemeinschaft zur Folge haben, hieß es in London. Man werde dann die Haltung zu Syrien überdenken. Der britische UN-Botschafter Mark Lyall Grant räumte am Dienstag aber ein, die Berichte über einen Einsatz von Chemiewaffen seien "noch nicht voll bestätigt". Auch der Chef der Organisation für das Verbot chemischer Waffen, Ahmet Uzumcu, erklärte am Dienstag in Wien, er habe keine unabhängige Bestätigung für den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien. Die Berichte würden derzeit überprüft.

Nur die russische Regierung, die Assad eisern unterstützt, hat keine Zweifel: Sie beschuldigt die syrischen Rebellen. "In den frühen Stunden des 19. April ist in der Provinz Aleppo der Einsatz von Chemiewaffen durch die bewaffnete Opposition registriert worden", lautete die amtlich formulierte Stellungnahme aus Moskau. Russland sei sehr besorgt darüber, dass sich Massenvernichtungswaffen in den Händen der Rebellen befänden. Der Vorfall bringe den Konflikt "auf eine neue Ebene".

In der Tat ist es das erklärte Ziel der Rebellen, die bereits erhebliche Teile des Landes kontrollieren, auch das syrische Chemiewaffenarsenal unter Kontrolle zu bekommen. Die Angst des Westens besteht darin, dass die gefährlichen Waffen in die Hände islamistischer Extremisten geraten könnten. Man werde dafür Sorge tragen, dass dies nicht geschehe, versucht die syrische Opposition zu beruhigen.