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Rätselraten um Brüsseler Spitzen

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv
Klar ist: Javier Solana wird EU-Außenminister.

Polens Ex-Premier Jerzy Buzek könnte EU-Parlamentspräsident werden. | Ungeklärt ist, wer Amt des Ratspräsidenten übernimmt. | Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel hat Außenseiterchancen. | Brüssel. Die Spitzenjobs der EU sollen demnächst neu besetzt werden. Schon ab 1. Jänner 2009 soll es erstmals einen fixen Ratspräsidenten und einen EU-Außenminister geben. Dafür müssen aber die Iren im Juni den Reformvertrag absegnen. Denn dieser schafft diese beiden neuen Ämter erst. Nach den Europawahlen im Frühjahr nächsten Jahres werden auch die Posten als Kommissions- und Parlamentspräsident vakant. Diese Fülle von neuen Machtpositionen facht naturgemäß die Spekulationen über die möglichen Kandidaten an.


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Plausibel ist bisher aber lediglich, dass sich die beiden größten Fraktionen im EU-Parlament informell bereits auf den gemäßigt-konservativen polnischen Ex-Premier Jerzy Buzek als Nachfolger des derzeitigen Parlamentspräsidenten Hans-Gert Pöttering von der CDU geeinigt haben. Das Ausmaß der Dementis aus SPE und EVP nach einem entsprechenden Artikel des "Handelsblatts" kann beinahe als Bestätigung gewertet werden. Schneidet die SPE bei den Wahlen stark ab, könnte sich ihr motivierter Fraktionsführer Martin Schulz den Chefposten immer noch für die zweiten zweieinhalb Jahre der Laufzeit ausverhandeln. So eine Aufteilung zwischen den beiden politischen Familien gibt es schon in dieser Legislaturperiode. Dass Schulz Pöttering direkt folgt, gilt ohnehin als unmöglich, weil beide Deutsche sind.

Viele Fragezeichen

Völlig offen ist dagegen, wer erster Ratspräsident werden soll und was dessen Aufgaben sein werden. Sitzt er nur den Treffen der Staats- und Regierungschefs formal vor oder darf er tatsächlich politisch mitmischen? Die meist genannten Kandidaten sind jedenfalls der britische Ex-Premier Tony Blair und der amtierende Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker. Der Logik britischer Leitmedien wie "Financial Times" und "Economist" folgend, kann nur ein weltpolitisches Schwergewicht das neue EU-Spitzenamt ausfüllen. Und das sei eben nicht Juncker, schreiben die Ideologen von der Insel.

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hatte Blair zwar wiederholt als geeigneten Kandidaten genannt. Zuletzt soll er aber Vorbehalte gegen einen EU-Ratspräsidenten geäußert haben, der aus einem Land kommt, das sich nicht in allen EU-Bereichen voll engagiere. Und Großbritannien ist berüchtigt für seine zahlreichen Ausnahmeregelungen, etwa im Justiz- und Innenbereich. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sei dagegen gar nicht so entschieden gegen Blair wie bisher stets kolportiert, hieß es zuletzt.

Die Meinungen von Merkel und Sarkozy könnten vor allem zählen, weil Berlin, Paris und London angeblich eine informelle Vereinbarung getroffen haben. Demnach wird keiner Ratspräsident, gegen den eine der drei Hauptstädte ist. Gibt es dieses Bündnis wirklich, verringert das die Chancen des Luxemburgers. Denn Experten halten eine Zustimmung der Briten zu Juncker zumindest für sehr unwahrscheinlich. Und der hatte zwar bereits mehrfach erklärt, grundsätzlich bereit für die EU-Spitze zu sein, aber nicht als "Frühstücksdirektor". Er wartet wohl noch nähere Details über die Kompetenzen des neuen Ratspräsidenten.

Der immer wieder als Kandidat genannte irische Premierminister Bertie Ahern dürfte sich dagegen selbst aus dem Spiel genommen haben. Nach langwierigen Untersuchungen unklarer privater Geldflüsse in der Höhe von mehr als 100 Millionen Euro hat er seinen Rücktritt erklärt. Das wird sein Ansehen und seine Chancen auf die EU-Spitze nicht unbedingt erhöht haben. Auch der frühere österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel, der dänische Regierungschef Anders Fogh Rasmussen und der polnische Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski kursieren immer wieder als Anwärter mit gewissen Außenseiterchancen.

Zumindest für den Polen wäre die Einigung auf Buzek an der Spitze des Parlaments allerdings das Aus. Die angestrebte Paketlösung als Ausgleich zwischen den politischen Großfamilien in Europa bleibt wegen der unterschiedlichen Antrittsdaten der vier EU-Spitzen ohnehin ein Kunststück für sich.

Solana ist fix dabei

Klar ist dagegen, dass der bisherige EU-Chefdiplomat Javier Solana Anfang 2009 der erste EU-Außenminister und damit gleichzeitig Vizepräsident der EU-Kommission wird, wenn der Reformvertrag wie geplant in Kraft tritt. Das kostet Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner einen Großteil ihrer Kompetenzen, Wirtschaftskommissar Joaquin Almunia - Spanier wie Solana - müsste ausscheiden. Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso, der das gerne fünf weitere Jahre wäre, ist aber noch mit der aktuellen Umbildung seiner Behörde beschäftigt. Nachdem der mächtige Justiz- und Innenkommissar Franco Frattini in der italienischen Regierung von Silvio Berlusconi Außenminister werden soll, hat Barroso den bisherigen Verkehrkommissar Jacques Barrot als dessen Nachfolger angekündigt.

Das war geschickt, denn der als Frattini-Nachfolger gehandelte Berlusconi-Vertraute und derzeitige EU-Abgeordnete Antonio Tajani war umgehend auf Kritik bei vielen Kollegen gestoßen. Dass das Parlament einen Kommissar im Verkehrsressort ablehnt, scheint nicht ganz so wahrscheinlich. Und schon Berlusconis Justiz-Kandidat Rocco Buttiglione war 2004 wegen seltsamer Ansichten über Schwule und Frauen abgelehnt worden. Zudem bringt Barroso die Rochade Sarkozys Sympathie. Der kann als EU-Vorsitzender ab Juli seinen Justiz- und Innenschwerpunkt mit seinem Landsmann Barrot abhandeln.