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Tirana · Der Kosovo-Albaner Selami Elcami windet sich unter Schmerzen auf seinem Krankenhausbett in der albanischen Hauptstadt Tirana. Aber er muß die Geschichte von dem Massaker in seinem
Heimatdorf im südlichen Kosovo loswerden, durch das Erzählen die alptraumhaften Ereignisse bannen. "Ich bin der einzige Mann, der das Massaker von Krusa überlebt hat", stöhnt der 33jährige Bauer.
Sein Körper ist nur noch eine eitrige Wunde, sein Gesicht durch Verbrennungen dritten Grades verkohlt. Man könnte ihn für tot halten, wäre da nicht das Stöhnen und die blaugrünen Augen und die
Stimme, die Entsetzliches berichtet.
"Am 27. März sind die Serben um fünf Uhr früh in unser Dorf gekommen. Mit ihren Gewehrkolben stießen sie die Haustüren ein, trieben die Bewohner auf die Straße und trennten die Frauen von den
Männern. Etwa 15 Leute, Familienangehörige und Nachbarn, stellten sie auf dem Platz vor der Moschee auf. Dann schossen sie mit Maschinengewehren auf uns. Ich habe einen Schulterschuß abbekommen.
Andere, die am Kopf getroffen wurden, sind auf mich gefallen. Es gab Tote, Sterbende, alles durcheinander. Dann schrie ein serbischer Soldat ,Lebendig verbrennen! Ich hole Stroh und Benzin'. Später
goß der Offizier seinen Benzinkanister über den Menschenhaufen und brüllte: 'Ratten, ihr seid nichts als Ratten!'"
Elcami schöpft Atem und fährt nach einer Pause fort: "Als die Soldaten eine Stunde später abzogen, brannte das Feuer noch. Ich spürte meine Glieder nicht mehr, aber mein Herz fühlte ich schlagen. Ich
schob die auf mir liegenden Leichen von meinem Bruder und meinem Vater zur Seite und schleppte mich bis zum Fluß. Dort löschte ich meine immer noch brennende Kleidung. Dann muß ich in Ohnmacht
gefallen sein."
Andere Dorfbewohner, die vor den serbischen Einheiten flohen, luden Elcami in einen von einem Traktor gezogenen Wohnwagen und brachten ihn über die Grenze nach Albanien. Auf seinem Krankenlager
bricht er in Schluchzen aus, fragt nach Frau und Tochter. Dann bricht er zusammen und murmelt: "Es ist furchtbar. Dieser Geruch von brennenden Menschen." Die Krankenhausärzte wissen nicht, ob er
überleben wird.
Hatije Rusha, eine Bäuerin aus dem gleichen Dorf, bestätigt, daß serbische Soldaten Männer und Frauen voneinander trennten. "Vorher haben sie unsere Häuser unter Beschuß genommen. Außerdem führten
sie vier junge Mädchen ab. Niemand weiß, was aus ihnen geworden ist. Wahrscheinlich wurden sie vergewaltigt. Als erstes führten sie die Männer weg, und dann hörten wir jede Menge Schüsse. Dann sagten
uns die Soldaten, wir sollten auf unsere Traktoren steigen und abhauen. Als unser Traktor nicht ansprang, warfen sie eine Granate auf den Anhänger. Vier Frauen wurden getötet." Rusha ist selbst an
beiden Füßen verletzt. An der Straße nach Prizren lagen nach den Worten der jungen Frau viele Leichen. "Aber keiner hielt an, um sie aufzusammeln. Wir wollten leben."