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Es war keine leichte Aufgabe für die Historikerkommission den Themenbereich rund um die "Arisierung" und Rückstellung von Wohnungen in Wien abzudecken. Daher konnte Vorsitzender Clemens Jabloner zufrieden sein, als er am Dienstag zwei Berichte präsentierte. Der eine befasst sich mit der Vertreibung jüdischer MieterInnen aus ihren Wohnungen und dem verhinderten Wohnungsrückstellungsgesetz, der andere beleuchtet aus einer rechtshistorischen Perspektive den Entzug von Mietrechten sowie die Entwicklung nach 1945. Beide zeichnen das Unrecht nach, das jüdischen EinwohnerInnen von Wien nicht nur in der NS-Zeit zugefügt, sondern auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht behoben wurde.
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In holprigem Deutsch und anonym verfasst war der Brief, der am 8. Juli 1938 bei der Magistratsabteilung 21 einlangte. "In XII. Bezirk Akazienhof 18/9 wohnt ein getaufter Jude Alexander Szuran. Auf unseren Stiegen wollen wir keinen Juden. Er ist nicht gekündigt. Die Parteien."
Denunziantentum war in dieser Zeit weit verbreitet, eine wahre Briefflut erreichte damals die städtische Wohnhäuserverwaltung. Der Beitrag nichtjüdischer EinwohnerInnen von Wien zur "Arisierung" von Mietwohnungen war kein geringer. Es waren nicht nur offizielle Parteistellen der NSDAP, die ihren Parteigenossen auf diese Art teils zu mehr Wohnraum verhelfen wollten. Der Raubzug reichte bis hin zu Bereicherungsaktionen einzelner Privatpersonen.
Jüdische MieterInnen mussten dann mitansehen, wie Uniformierte oder Zivilisten in ihre Wohnungen eindrangen und ihre Möbel mitnahmen. Innerhalb weniger Wochen, oft Tage hatten sie die Wohnung zu räumen.
Anhand dieser Beispiele, wiedergegeben im Bericht "Arisierung und Rückstellung von Wohnungen in Wien", wollte Mitverfasserin Susanne Kowarc vor Augen führen, welche menschlichen Schicksale hinter den Zahlen stecken, die die Historikerkommission bei ihrer Pressekonferenz präsentierte. "Was hier passiert ist, ist unter den Augen der Bevölkerung und mit Kollaboration der Bevölkerung passiert."
"Wilde Arisierungen"
Im März 1938 lebten in Wien rund 190.300 Juden und Jüdinnen in rund 63.000 Wohnungen. 60.000 davon waren Mietwohnungen. Dann kam die Zeit der "wilden Arisierungen". Zwischen März 1938 und Mai 1939 waren in Wien bereits rund 44.000 Wohnungen "arisiert" worden, und zwar ohne jede rechtliche Grundlage.
Erst im Mai 1939 wurde die Kündigung jüdischer MieterInnen durch "arische" Vermieter-Innen per Verordnung zur Einführung des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden in der Ostmark gesetzlich. Doch auch danach war kein Vermieter gezwungen, jüdischen MieterInnen zu kündigen. Bis April 1945 waren trotzdem über 59.000 Mietwohnungen in Wien "arisiert".
Mieterfreundliches Recht
Dass die "Arisierungen" jeglicher rechtlicher Basis entbehrten, betonte auch Georg Graf. Der Autor des Berichts "Der Entzug von Mietrechten" erläuterte dies anhand des Mietrechts. Seit den 20-er-Jahren wäre die österreichische Regierung sehr mieterfreundlich. Zinsfestlegung und Kündigung unterlagen strengen Kriterien, der Mieter sei beinahe mit dem Eigentümer gleichgestellt gewesen. So konnte er sich gegen Übergriffe Dritter wehren wie der Besitzer der Wohnung. All das galt Mitte 1939 nicht mehr für jüdische MieterInnen. Ihr Kündigungsschutz war beseitigt, aus dem Mietergesetz waren sie ausgeschlossen.
Die auch aus politischer Sicht nicht unwichtige Frage, ob den derart Gekündigten Schaden entstanden ist, beantwortete Graf mit einem klaren Ja. Denn die Delogierten hatten sich - falls sie nicht in Sammelwohnungen oder Barackenlagern hausen mussten - auf dem "freien" Markt eine meist teurere Wohnung zu suchen. Überdies war das Mietverhältnis meist befristet, in den früheren Wohnungen hingegen hätten die MieterInnen unter anderen Umständen bis an ihr Lebensende bleiben können. Nahe Verwandte hätten danach in den Vertrag einsteigen können, waren also ebenfalls Geschädigte, gab Graf zu bedenken.
Rückstellung nicht erfolgt
Die Entwicklung nach 1945 erscheint ebenso in düsteren Farben. Gekennzeichnet war sie vom Untätig-Sein des Gesetzgebers, erklärte Graf. Andererseits habe es eine gewisse Aktivität der Gerichte gegeben: Auf Grundlage des ABGB wurden Rückstellungen zumindest angeordnet.
"Eine de-facto-Rückstellung gab es überhaupt nicht", stellte die Historikerin Brigitte Bailer-Galanda klar. Im Jahr 1945 - die Israelitische Kultusgemeinde zählte damals 3.955 Mitglieder - standen die jüdischen BürgerInnen vor dem Nichts, staatliche Unterstützung setzte erst im Februar 1946 ein. Fürsprecher hatten die Überlebenden außer der Israelitischen Kultusgemeinde in Österreich keine, ihre Ausgrenzung ging weiter, führte Bailer-Galanda aus. Wohnungen wurden kaum rückgestellt, mit dem Argument, die restliche Bevölkerung nicht zu "beunruhigen" vermieden es die verantwortlichen Stellen entsprechende Schritte zu setzen. Wirtschaftskreise lehnten ein Rückstellungsgesetz für Mietrechte schlichtweg ab.
Doch auch den Parteien war dieses kein Anliegen, galt es doch Wählerstimmen abzuwägen: Die Gruppe der RückkehrerInnen war verschwindend gering im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen - nicht zuletzt zu der Gruppe der ehemaligen Nationalsozialisten -, die nicht "verärgert" werden durften. So wurde nach 1945 in Österreich kein Rückstellungsgesetz zum Zwecke der Restitution entzogener Bestandrechte erlassen.
Jabloner: Politik am Zug
Nach der Lösung für die Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter müsse es nun auch beim Themenkomplex Mietwohnungen zu einer Entschädigungslösung kommen, meinte Clemens Jabloner. Der Vorsitzende der Historikerkommission verdeutlichte noch einmal: Die "Arisierung" von Wohnungen sei nicht nur als Entzug von Rechten zu sehen, sondern auch als "erster Schritt einer nationalsozialistischen Politik, die darauf gerichtet war, Menschen zu erniedrigen, sie physisch und psychisch krank zu machen".
Die Erkenntnis, dass durch den Entzug von Mietrechten Schaden für die Betroffenen erstanden ist, bezeichnete Jabloner als wichtiges Ergebnis der Studien. Summen könne er keine nennen, es komme ohnehin nur ein pauschaliertes Entschädigungsmodell in Betracht. Die Historikerkommission liefere jedenfalls genug Material für eine politische Behandlung des Bereiches. Nun kämen die PolitikerInnen zum Zug.