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Raubgüterdepot im Pinzgau

Von Rudolf Leo

Wissen

Einst ein Ort für historische Mythen und Legenden, war das Schloss Fischhorn in der NS-Zeit ein SS-Quartier, das am 8. Mai 1945 von den Amerikanern übernommen wurde.


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Am 30. April 1945, um 15.30 Uhr, begeht Adolf Hitler in Berlin Selbstmord. Generalfeldmarschall Hermann Göring versucht sich und seine Familie mit einem Konvoi von seiner Burg im Salzburger Mauterndorf abzusetzen. Er wird am 8. Mai 1945 von der US-Armee festgenommen. Die amerikanischen Soldaten bringen ihn in das Schloss Fischhorn im Pinzgau, wo er eine Nacht festgehalten wird.

Im Gefolge von Hermann Göring befindet sich auch das Ehepaar Philipp und Josephine Bouhler. Der in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte SS-Obergruppenführer Bouhler ist Beauftragter des "NS-Euthanasieprogrammes T4"; benannt nach dem Sitz der Zentrale in der Berliner Tiergartenstraße 4. Bouhler, 1899 in München geboren, tritt bereits 1922 der NSDAP und 1933 der SS bei. Er gilt als Bürokrat und ehrgeiziger Parteigenosse. In den Jahren 1941 und 1942 werden im "T4-Programm" rund 70.000 geistig und körperlich behinderte Menschen ermordet. Auch das Ehepaar Bouhler wird in Fischhorn angehalten.

Bewegte Geschichte

Fischhorn ist und bleibt ein Ort zahlreicher Spekulationen. Um das Schloss ranken sich zahlreiche Legenden, Mythen und Gerüchte. Vor allem die Suche nach dem weltberühmten Bernsteinzimmer des ersten Preußenkönigs Friedrich I. beschäftigt Schatzsucher, Kunsthistoriker und Journalisten seit Jahren. Noch immer gibt es in der Gegend Menschen, die die Bernsteinwandverkleidungen im Schlossareal vermuten. Wissenschaftlich ist dies nach ausführlichem Studium der vorhandenen Akten nicht zu belegen. Faktum ist, dass das Schloss historisch durchaus interessant ist und eine bewegte Geschichte hinter sich hat.

Schloss Fischhorn liegt im Gemeindegebiet von Bruck an der Großglocknerstraße, im Salzburger Pinzgau. Zell am See ist nur wenige Kilometer entfernt. In der Nacht des 21. September 1920 bricht im Schloss ein verheerender Brand aus, der das "Märchenschloss", wie es in Bruck genannt wird, bis auf die unteren Stockwerke zerstört. Das Feuer vernichtet alle wertvollen Möbel sowie die Bibliothek des Schlosses.

Henrique (Heinrich) E. Gildemeister erwirbt das völlig zerstörte Gebäude ein Jahr später, 1921. Gildemeister, geboren 1880, ein wohlhabender peruanischer Staatsbürger, ist Botschafter Perus in Deutschland. Er verfügt über Besitzungen in Chile und Peru, sein Vermögen erwirtschaftet er aus dem Handel mit Salpeter, Reis und Baumwolle. Er erwirbt im selben Jahr auch das Schloss Kaprun. Den Bezug zum Pinzgau erhält der Unternehmer über den Handel mit Pinzgauer Rindern, die er bereits in den frühen 1920er Jahren nach Peru exportiert.

Das Schloss bleibt auch nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 bis 1942 im Besitz Gildemeisters. Laut dem Brucker Lokalhistoriker, Bezirkshauptmann a.D. Max Effenberger, sind die abgebrochenen diplomatischen Beziehungen zwischen Peru und Deutschland im Jahr 1942 die Ursache für die Rückkehr Gildemeisters nach Peru. Gildemeister übersiedelt mit seiner Familie nach Lima.

Nach dem Krieg im Jahr 1945 wird das Schloss wieder an die Familie Gildemeister rückerstattet. Er beauftragt einen Architekten aus Bremen, der das Schloss in der ursprünglichen Form renoviert. Das Anwesen und der Gutsbetrieb werden von seinen beiden Töchtern weitergeführt. Gildemeister stirbt 1964 im Alter von 84 Jahren in Lima.

Am 1. Mai 1943 wird die Liegenschaft Fischhorn vom Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, für die SS-Pferdezucht beschlagnahmt. Vom September 1944 bis zur Befreiung im Mai 1945 dient das Schloss als Nebenlager des Konzentrationslagers Dachau. 150 politische Häftlinge werden zur Schlossrenovierung, zum Bau der Pferdeställe und zur landwirtschaftlichen Arbeit gezwungen.

Das Schloss untersteht dem Kommando von SS-Gruppenführer Otto Hermann Fegelein. Er ist Generalleutnant der Waffen-SS, Verbindungsoffizier direkt zum Führerhauptquartier und Schwager von Eva Braun. Seine Aufgabe während des Polenfeldzuges ist der Kampf gegen "Banden" und "Partisanen" in Polen. Unter Fegeleins Kommando werden mehr als 40.000 Menschen getötet. Die Eltern Fegeleins sowie führende SS-Funktionäre wohnen ab 1943 im Schloss. Während des Warschauer Aufstandes 1944 plündern SS-Soldaten im Beisein von SS-Gruppenführer Hermann Fegelein polnische Museen, Paläste und Häuser. Insgesamt werden 16 Eisenbahnwaggons, voll beladen mit Beutekunst, nach Fischhorn gebracht.

Schloss-Plünderung

Als die Amerikaner am 8. Mai 1945 das Schloss übernehmen, sind lediglich zwölf Eisenbahnwaggons vorzufinden, die nach Warschau rücküberstellt werden. Der Rest wird durch die SS gestohlen oder von der einheimischen Bevölkerung geplündert. 481 Gemälde, 2124 Grafiken, 81 Gobelins, 376 Kunstobjekte ohne nähere Bezeichnung, 46 Skulpturen, 313 Porzellangegenstände, 164 Möbelstücke, 17.000 Bücher, 2584 Archivmappen und zahlreiche Orientteppiche werden von den amerikanischen Soldaten im Schloss und in den angrenzenden Baracken vorgefunden. Die Chronik der Gendarmerie in Bruck vom 5. Mai 1945 dokumentiert die Plünderungen dieser Tage: "Auf dem Gute Fischhorn (. . .) beginnt die Ausgabe von in vielen Baracken aufgespeicherten und aus vielen Ländern zusammengerafften Lebensmittel, Alkohol, Immobilien, Autos, Möbel etc. und artet dieser Vorgang später zu Plündereien aus. Zu diesem Zwecke treffen Leute mit Fahrzeugen aus dem ganzen Pinzgau ein."

Eine 16-jährige Zeitzeugin aus der Region, die Bauerstochter Susanne Pinn, erinnert sich an die Plünderungen des Schlosses: "Die letzten Tage waren ein richtiges Chaos. Ich kann mich noch gut erinnern, dass der Melker Wastl Katsch im Auftrag von Fegelein mit zwei Rössern bei uns auf den Hof gekommen ist und die Sachen bei uns versteckt hat. Das waren alles Dinge aus dem Schloss: Likör, Schnaps, Fischdosen und Stoffe. Lauter feine Sachen. Ich habe mir aus dem Stoff, wie viele andere in der Gegend, ein Kleid nähen lassen. (. . .) Alle in der Region haben sie damals Sachen genommen. (. . .) Am Schluss ist dann noch ein SSler mit einem Rucksack gekommen und hat uns gefragt, ob er ihn bei uns verstecken kann . . ."

Die Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner verlaufen auf Schloss Fischhorn hektisch. Die SS-Funktionäre sind bestrebt, belastende Spuren zu vernichten. SS-Uniformen, Akten, persönliche Briefe Eva Brauns an Adolf Hitler und anderes Material werden oder sollen verbrannt werden. Aus den Vernehmungen führender SS-Funktionäre durch amerikanische Soldaten geht hervor, dass jedoch nicht alles, was zur Verbrennung bestimmt ist, auch wirklich vernichtet wird.

SS-Hauptsturmführer Franz Konrad, Verwaltungsführer in Fischhorn, gibt im Zuge einer dreitägigen Vernehmung im Jänner 1946 in Zell am See zu, Wertsachen, die zur Verbrennung bestimmt sind, "an einen sicheren Ort" nach Schladming zu seiner Mutter gebracht zu haben. Ob es sich dabei um mehrere LKW-Transporte handelt, wie seine Kollegen aussagen, oder bloß um ein paar Koffer, wie er selbst angibt, bleibt ungeklärt.

Zahlreiche unbekannte Kunstschätze tauchen noch Jahre später auf. Es ist davon auszugehen, dass nach wie vor kostbare Bilder und Kunstschätze in der Region sind und deren Besitzer keine Ahnung von deren Ursprung haben. Die amerikanischen Vernehmungsbeamten erfahren etwa auch von einem LKW mit Ölgemälden, der von Berchtesgaden nach Fischhorn gebracht worden ist.

Die letzten Funde

Am 8. September 1945 wird ein gestohlenes Bild des Malers Arnold Böcklin, eine von drei Versionen des "Kentaurenkampfes" im Wert von (damals) zwei Millionen Mark, in Bruck nahe dem Schloss Fischhorn gefunden. Das Bild stammt aus dem Jahr 1878. Wo sich das Bild derzeit befindet, ist unbekannt.

Im August 2007 wird - als bisher letzter Fund - ein kostbares, rund 800 Jahre altes Limoges-Kreuz entdeckt. Eine Frau findet das vergoldete Kupferkreuz im Zuge einer Wohnungsauflösung in einem Sperrmüllcontainer in Zell am See. Das Kreuz stammt aus dem Beutegut der Nationalsozialisten. Es befand sich bis 1941 im Besitz der polnischen Adeligen Izabella Elzbieta von Czartoryski-Dzalinska. Neben anderen Kunstschätzen wurde das Kreuz nach dem Warschauer Aufstand nach Österreich ins Schloss Fischhorn gebracht. Im Mai 2008 wird es der polnischen Adelsfamilie zurückgegeben.

Hermann Fegelein wird am 29. April 1945 auf Befehl Hitlers, der ihn als "treulosen Verräter" bezeichnet, im Garten des Auswärtigen Amtes in Berlin von einem Kommando der Waffen-SS hingerichtet. Am 19. Mai 1945 begeht Philipp Bouhler beim Transport in das Internierungslager Dachau mit einer Zyankalikapsel Selbstmord. Josephine Bouhler wählt Wochen später den Freitod im Schloss Fischhorn: Sie stürzt sich aus dem Fenster. Generalfeldmarschall Hermann Göring wird in Nürnberg angeklagt. Er wird in allen Punkten für schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Am 15. Oktober 1945 begeht auch er Selbstmord mit einer Zyankali-Giftkapsel.

Rudolf Leo, geboren 1962, lebt als Historiker und Lehrbeauftrager der Universität Linz in Wien und Linz. Zuletzt ist von ihm der Band "Bruck unterm Hakenkreuz. Bruck an der Glocknerstraße 1930 bis 1945" im Otto Müller Verlag erschienen.