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Raubkunst: Legistischer Schlußstrich unter ein Nachkriegskapitel

Von Berndt Ender

Politik

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Das Ende einer langen Unrechtsgeschichte: Im November passierte das Gesetz zum Thema "NS-Beutekunst" den National- und den Bundesrat. Das bedeutet nun Grünes Licht für den Beginn von umfangreichen

Rückgabeverfahren für Kunstwerke · quasi ein legistischer Schlußstrich unter ein moralisch und rechtlich sehr komplexes Nachkriegskapitel.

Die Materie, die eine fast 60 Jahre alte Geschichte hinter sich hat, trägt den legistischen Titel "Bundesgesetz über die Rückgabe von Kunstgegenständen aus den Österreichischen Bundesmuseen und

Sammlungen" · in der Kurzfassung: "Beutekunst-Restitutionsgesetz".

Kulturgut namens "Beutekunst"

Das Gesetz definiert drei Kategorien von Kunstgegenständen:

Õ Objekte, die nach 1945 zwar an die Besitzer zurückgegeben wurden, im Gegenzug für die Erteilung von Ausfuhrbewilligungen aber teilweise als "Schenkungen" oder "Widmungen" wieder in den Besitz von

Museen landeten.

Õ Kunstgegenstände, die nach dem Krieg von den Museen in gutem Glauben erworben wurden, zuvor aber unrechtmäßig den Besitzer gewechselt hatten.

Õ Kunstwerke, die trotz Rückstellungen nicht an die ursprünglichen Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger zurückgegeben werden konnten und dann als "herrenloses Gut" in das Eigentum des Bundes

übergingen.

Rückgabe "ein entscheidendes Symbol"

Nach Angaben der zuständigen Ministerin Elisabeth Gehrer wurden nach 1945 etwa 500 Kunstobjekte im Zuge von Ausfuhrgenehmigungen als "Schenkungen" oder "Widmungen" von den Museen zurückbehalten.

Darunter Werke von den Meistern Hals und Bellini. Die Anzahl der Fälle von Kunstwerken bedenklicher Herkunft und der Umfang der "herrenlosen" Objekte sind noch gänzlich nicht ermittelt worden. Die

Herkunftsforschung läuft derzeit noch. Grundsätzlich waren sich in der politischen Debatte alle fünf Fraktionen einig in der Einschätzung der Rückgabe als "ein entscheidendes Symbol".

Gestützt vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes und vom Rechts- und Legislativdienst des Parlaments, stellten sich alle Fraktionen hinter den politischen Willensakt, das unrühmliche Thema

"Beute-und Raubkunst" rechtlich und moralisch zu bereinigen.

Standpunkte der Parteien

Für die Volkspartei meinte deren Klubobmann Andreas Khol in der Nationalratsdebatte am 5. November, mit der Rückgabe der Kunstgegenstände werde die Republik "nicht ärmer, sondern reicher".

Überdies erwarte er, Khol, positive internationale Reaktionen von dieser Gesetzesinitiative. Josef Cap, Kultursprecher der SPÖ, glaubte ebenfalls, daß mit den Rückgaben ein wichtiger Schritt über die

Grenzen hinaus gesetzt würde. Auch Heide Schmidt vom Liberalen Forum nannte die Restitution als einen Beitrag zur Aufarbeitung "eines blinden Fleckes in der Geschichte". Die Sprecherin der Grünen,

Terezija Stoisits, rief in Erinnerung, es sei kein Zufall gewesen, daß mit der Provenienzforschung in Österreich erst kurz nach der Beschlagnahme der Schiele-Bilder in New York begonnen worden sei.

Die inhaltliche Debatte war sowohl im National- wie auch im Bundesrat ein Versuch, das geschehene Unrecht geschichtlich und psychologisch zu begreifen. Die Grundfrage: Warum wird erst über 50 Jahre

nach dem Ende des Krieges das im Nationalsozialismus begangene Unrecht aufgearbeitet? Der FPÖ-Kultursprecher Michael Krüger meinte in diesem Kontext, man dürfe die Geschichte der Koalitionsparteien

nach 1945 nicht unabhängig von den damals gemachten Fehlern sehen.

Für seine polemische Bemerkung, SPÖ und ÖVP hätten sich nach dem Krieg "arisiertes Vermögen in ihre Parteikassen einverleibt", handelte sich Michael Krüger den Vorwurf der "politischen Verleumdung

der "Sonderklasse" ein.

Schlußdebatte in der Länderkammer

Im Bundesrat wiederholten sich schließlich am 19. November in den Grundzügen die Kommentare. Der SPÖ-Sprecher Herbert Thumpser zeigte sich erfreut darüber, daß die Museen sich nicht länger mit

geraubten Kunstgegenständen schmücken können. "Das Unrecht könne nicht durch Zeitablauf zum Recht werden", fügte Wolfram Vindl von der ÖVP hinzu. Der FPÖ-Bundesrat Peter Böhm stimmte namens seiner

Fraktion dem politischen Ziel der Restitution zu, für rechtlich nicht überzeugend hielt Böhm indessen die Umsetzung, da von dem Gesetz auch jene Kunstobjekte betroffen sind, die von den

Museumsdirektoren nach dem Krieg in gutem Glauben erworben worden sind. Dies komme einer rückwirkenden Aufhebung des Eigentumsrechts gleich, meinte der Rechtsprofessor Böhm.

Ein neues Österreich-Bild

Die oberste Museumschefin Elisabeth Gehrer bezeichnete das Rückgabegesetz als einen sehr wichtigen Schritt am Ende dieses geschichtlich belasteten Jahrhunderts. Der Anlaßfall war erinnerlich die

Zurückhaltung der Schiele-Bilder aus der Sammlung Leopold Anfang 1998 in New York. Die Sammlung Leopold entstand weitgehend · nach Meinung der Fachwelt · durch das Ausfuhrverbot von Kunstwerken. Der

Sammler kaufte so die Schielebilder systematisch auf.

Die Ministerin hielt sich nach der Restitutionsdebatte in New York auf und hielt bei den protokollarischen Treffen fest, das Rückgabegesetz sei keine Wiedergutmachung, vielmehr ein Stück mehr

Gerechtigkeit, wodurch Österreich für sich selbst und über die Grenzen hinaus ein Signal zu einem neuen Bewußtsein in der Aufarbeitung eines unrühmlichen Teils seiner Geschichte setze. Im Rahmen

ihres US-Aufenthalts bedauerten Museumsexperten, daß man die Österreich-Initiative nicht für die Schaffung einer internationalen Raubkunst-Konvention genutzt habe.

Legistische Fragezeichen

Unisono wird in der Politik und unter Museums-Experten das Gesetz für die Rückgabe von Kunstgegenständen als richtungsweisend eingestuft.

Die Übertragung des Eigentums an den im Gesetz beschriebenen Personenkreis enthalte indes einige legistische Fragezeichen, zumal in der Restitutionsdebatte nur die Rückgabe von Kunstgegenständen,

nicht aber deren Ausfuhr erfaßt sei. Es müßte dazu eigentlich das Ausfuhrverbotsgesetz novelliert werden, doch die Regelung dieser Vorgänge obliegt dem Bundesdenkmalschutzgesetz aus der Ersten

Republik, das damals den Kulturausverkauf des jungen Staates verhinderte.

Für die Gegenwart resultiere die Frage, sagen österreichische Museums-Spezialisten, was man nun mit Kunstwerken mache, die Jahrzehnte in den Museen hängen und im Sinne des Denkmalschutzgesetzes ein

Kulturerbe darstellen. Sollen sie letztlich als Widmung in den Museen verbleiben? Die nächsten Monate werden zum politischen Prüfstein für die Vollziehung des Gesetzes, zumal · so will es der

parlamentarische Willensakt · noch in diesem Jahr bereits die ersten Rückgabeverfahren beginnen sollen.

Lesezeichen "Der Fall Thorsch"

Im Nationalrat wie auch im Bundesrat kam anläßlich der Restitutionsdebatte ein Buch des Autoren Hubertus Czernin zur Sprache. Es befaßt sich unter dem Titel "Die Auslöschung · Der Fall Thorsch"

mit der exemplarischen Verweigerung der Restitution des ehemaligen Wiener Bankhauses "Thorsch & Söhne". Im Nationalrat wurde das Buch während der Plenumsdebatte verteilt und in der Länderkammer

diente die Dokumentation "Fall Thorsch" als Zitatvorrat für eine schon symbolische Schlußbemerkung in der politischen Debatte:

"... und wenn Behörden und Politik kein anderes Mittel mehr einfiel, um berechtigte Ansprüche abzulehnen, begann man die Dinge in die Länge zu ziehen, in der Hoffnung, daß sich das drohende Problem

sozusagen von selbst lösen würde." Der Bundesrat schenkte sich nach der Absegnung des Restitutionsgesetzes dann eine Lesung aus dem Buch "Die Auslöschung · Der Fall Thorsch" · am 15. Dezember im

Parlament, quasi als Licht ins geschichtliche Dunkel.Õ

Berndt Ender ist Mitarbeiter der ORF-Parlamentsredaktion

DEZEMBER 1998