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Raufhandel statt Terrorismus

Von Alexander Dworzak und Simon Rosner

Politik

Auf EU-Ebene regt sich zusehends Unmut gegen die Vorratsdatenspeicherung - auch die SPÖ schwenkt um.


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Wien. Für Albert Steinhauser ist genau das eingetreten, wovor er und seine Fraktion, die Grünen, gewarnt hatten, als die Regierung vor zwei Jahren die EU-Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten in nationales Gesetz goss. "Es wird nicht für Delikte genutzt, die von der Regierung genannt wurden, wie Terror, sondern für Straftaten wie Diebstahl oder Stalking." Nachsatz des grünen Justizsprechers: "Es führt auch nicht zu den Erfolgen wie erhofft."

Steinhauser hatte Anfang Mai eine Anfrage an Justizministerin Beatrix Karl sowie an zwei weitere Ministerien und das Bundeskanzleramt in Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung gestellt. Nun erhielt er die Antwort der Justizministerin mit einer genauen Aufschlüsselung, bei welchen Delikten wie oft auf gespeicherte Daten bei den Ermittlungen zurückgegriffen wurde. Seit April 2012 ist das Gesetz in Österreich in Kraft.

"Wir haben damals schon Kritik geübt, dass das Gesetz sehr niederschwellig angesetzt ist, obwohl in der Richtlinie von schweren Straftaten zu lesen ist", sagt Steinhauser. Während Deutschland den EU-Erlass bisher noch nicht umsetzte, erlaubte die österreichische Regierung den Ermittlern den Zugriff auf Telefon-, Internet- und E-Mail-Daten, wenn es um Straftaten geht, die mit mehr als einem Jahr Haft geahndet werden. In gewissen Fällen sogar bei Straftaten, die mit sechs Monaten Haft bedroht sind.

Eine Abfrage wegen Terror

Darunter fällt dann eben schon recht viel, wie auch die Aufgliederung nach Delikten zeigt. Von April 2012 bis Ende März 2013 haben Ermittler in 438 Fällen von diesen präventiv gespeicherten Daten Gebrauch gemacht. Darunter finden sich auch Delikte wie Raufhandel, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sozialbetrug, Verleumdung und falsche Beweisaussage. Mit Abstand am häufigsten wurden in Österreich Daten bei der Ermittlung von Diebstahls- und Suchgiftdelikten abgefragt. Bei Ermittlungen zu Terrorismus hingegen lediglich ein einziges Mal, und dies auch nur auf Basis eines Ersuchen eines anderen EU-Mitgliedslandes.

Wie die Vorratsdatenspeicherung in Österreich angewandt wird, war am Dienstag auch Thema am Europäischen Gerichtshof (EuGH). In Luxemburg fand die erste Verhandlung von vier Klagen gegen die EU-Richtlinie statt. "Wenn Sie zum Beispiel die Anschläge von Madrid ansehen, dann dürfen wir den Strafverfolgungsbehörden nicht die Instrumente ihrer Arbeit wegnehmen", verteidigte ein Vertreter der EU-Kommission die Vorratsdatenspeicherung. 191 Personen starben im März 2004 bei mehreren Bombenattentaten auf Vorortszüge in der spanischen Hauptstadt.

Dass terroristische Vereinigungen eben nicht im Zentrum der heimischen Ermittler standen, wenn diese auf die Vorratsdatenspeicherung zurückgriffen, räumte dann aber der Österreich vertretende Mitarbeiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt ein.

Kein Quantensprung

Die Erfolgsquote dieser neuen Ermittlungsmethode ist laut Statistik des Justizministeriums eher bescheiden. Bis März dieses Jahres konnten 161 Verdachtsfälle erledigt werden, in 71 davon leistete der Zugriff auf diverse Daten nach Ansicht der Ermittler einen Beitrag zur Aufklärung, bei 58 nicht. Bei 24 Fällen fehlen dazu Daten. "Ein Quantensprung ist das nicht", sagt Steinhauser. "Diese Zahlen besagen ja auch nicht, dass diese 71 Fälle ansonsten gar nicht aufgeklärt worden wären."

Dass innerhalb eines Jahres bei ungefähr einer halben Million Delikten, die bei den Staatsanwaltschaften angefallen sind, nur in 438 Fällen auch Gebrauch von gespeicherten Daten gemacht worden ist, beweise zwar, meint Steinhauser, dass "die Staatsanwälte damit nicht fahrlässig umgehen", aber es sei und bleibe eben eine präventive Überwachung aller Daten.

Auch bei den Verhandlungen in Straßburg stellte sich am Dienstag die Frage nach der Verhältnismäßigkeit dieses Gesetzes. SPÖ und ÖVP konnten sich bis heute nicht auf eine klare gemeinsame Linie und ein öffentlich zugängliches Dokument einigen. "Es ist nicht das Problem des fehlenden Mutes Österreichs, sich hierzu zu äußern, sondern dass es innerhalb der Regierung keine klare Meinung zu diesem Thema gibt", sagte der Mitarbeiter des Bundeskanzleramts vor dem EuGH.

"Wer herrscht über die Freiheit: wir oder der Staat?", fasste Andreas Krisch die Argumentationslinie vor dem EuGH zusammen. Der IT-Consultant ist Obmann des "Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung", der mehr als 11.000 Mitkläger vertritt, und will die EU-Richtlinie zu Fall bringen. Unterstützung erhalten die Datenschützer dabei aus Deutschland von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP: "Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung der EU gehört in die Geschichtsbücher und nicht in die nationalen Gesetze", sagte sie gegenüber der Zeitung "Die Welt". Mit Blick auf die jüngst enttarnten Ausspähaktivitäten des US-Geheimdienstes NSA sagte Leutheusser-Schnarrenberger, auch, das EU-Vorhaben stelle "jeden EU-Bürger pauschal unter Generalverdacht".

SPÖ will Beseitigung

Selbst in der EU-Kommission ist man mittlerweile bereit, Fehler bei der Vorratsdatenspeicherung einzugestehen. "Man muss die Richtlinie vor dem Hintergrund ihres Inkrafttretens 2006 verstehen (nach den Terroranschlägen in New York, Madrid und London, Anm.). In einer Revision der Richtlinie würden wir es sicherlich besser machen", erklärte deren Vertreter bei der Verhandlung beim EuGH.

Die SPÖ, die das nationale Gesetz einst mitbeschlossen hatte, hat auf ihrem Parteitag im Oktober eine Resolution verabschiedet, sich auf EU-Ebene für die Beseitigung dieser Richtlinie einzusetzen. "Bis heute gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis, dass die Vorratsdatenspeicherung irgendetwas bringt", sagt der SPÖ-Abgeordnete Johann Maier, der auch Vorsitzender des österreichischen Datenschutzrates ist. Er verweist darauf, dass die EU das damals säumige Österreich mit Pönalen bedroht hatte, die Richtlinie umzusetzen, für die sich einst die schwarz-orange Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel eingesetzt hatte. "Es war dann nicht mehr möglich, das Gesetz zu beeinspruchen", sagt Maier.

Er hofft, dass in einer neuen Regierung das nationale Gesetz "evaluiert und hinterfragt" wird, persönlich sei er immer gegen die Vorratsdatenspeicherung gewesen, erklärt er. Als der Nationalrat vor zwei Jahren die Novelle beschloss, verließ Maier den Sitzungssaal.