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Raus aufs Land

Von Daniel Dettling

Gastkommentare
Daniel Dettling ist Politikwissenschafter und Zukunftsforscher und leitet das von ihm gegründete Institut für Zukunftspolitik (www.zukunftspolitik.de). Sein aktuelles Buch heißt: "Zukunftsintelligenz. Der Corona-Effekt auf unser Leben" (LangenMüller).
© Edgar Rodtmann

Großstädte als "Superspreader" vs. "virenfreie" Luft in ländlichen Regionen - von der Zeit nach Corona könnten beide profitieren.


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Paris, Oslo, Madrid, Warschau, Berlin, Wien: Überall in den Großstädten steigen die Corina-Infektionen. Gut ein halbes Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie machen Europas Städte wieder dicht und fahren ihren Betrieb herunter. Sperrstunden und Ausgangseinschränkungen sind die Folge. Zu den Forderungen gehört inzwischen sogar die Abriegelung von Corona-Hotspots. Wird die Pandemie nur in den Metropolen entschieden? Nein! Damit die Lage nicht weiter eskaliert und um weitere Lockdowns zu vermeiden, braucht es den ländlichen Raum: Städter, raus aufs Land!

Die Corona-Pandemie wird zur Krise der großen Städte und Ballungsgebiete. Diese sind aufgrund ihrer Bevölkerungsdichte anfälliger für die Verbreitung von Viren. Virologen sprechen von "Superspreadern": Orte, an denen Menschen überdurchschnittlich viele Mitmenschen anstecken. Megacitys wie New York, Singapur und London waren bereits mit der ersten Corona-Welle schnell überfordert. Private Partys und Feiern gehören zu den zentralen Infektionsherden und sind in den großen Städten kaum einzuhegen. Das Nachverfolgen von Infektionsketten gelingt auf dem Land und in kleinen und mittleren Städten wesentlich besser, weil die soziale Kontrolle dort besser funktioniert. Größere Partys und Zusammenkünfte fallen sofort auf.

Eine neue Stadtflucht

Corona beschleunigt den Trend zu einer neuen Stadtflucht. Vor allem junge Familien zieht es ins entferntere Umland. Seit dem Ausbruch der Pandemie vor gut einem halben Jahr beobachten Immobilienunternehmen eine deutlich höhere Nachfrage nach Häusern auf dem Land. Auch die Nachfrage nach Immobilien für einen zweiten Wohnsitz im Umland der Ballungsräume ist sprunghaft gestiegen. Der ländliche Raum gilt für viele Bewohner als sicherer und "virenfreier" als die großen Städte. So sind laut einer ZDF-Umfrage mehr als drei Viertel (78 Prozent) davon überzeugt, dass es für ihre Kinder besser sei, auf dem Land aufzuwachsen. Nur 10 Prozent sehen die Zukunft ihrer Kinder in der Großstadt.

Vor allem die Altersgruppe 40plus zieht es zunehmend raus aufs Land. Corona wird den Trend zu Lokalität, Natur und Heimat beschleunigen. Besonders beliebt sind Klein- und Mittelstädte. Jenseits der Metropolen ist das soziale Abstandhalten leichter als in der Großstadt. Nachbarschaftliche Solidarität, die sich in großen Städten über technische Infrastrukturen erst bilden muss, ist auf dem Land gelebter Alltag. Platz und Ruhe und ein geringeres Infektionsrisiko - plötzlich ist das Land in und die Großstadt out. Fällt die Partyszene weg, wird die Provinz wieder attraktiv.

Klimaschutz durch Homeoffice

Der Trend zur Stadtflucht wird durch den Wandel der Arbeitswelt in Richtung Homeoffice zusätzlich verstärkt. Homeoffice bedeutet weniger Pendelverkehr und mehr Klimaschutz. Im Sommer sorgte eine Greenpeace-Studie in Deutschland für Aufsehen: Wenn 40 Prozent der Arbeitnehmer an zwei Tagen pro Woche daheim arbeiten, verringert sich der CO2-Verbrauch durch weniger Pendeln um rund 20 Prozent. Neben dem Klima werden so auch die Straßen entlastet und Staus vermieden. Neue Arbeitsräume und Orte wie Co-Working haben der Pandemie überwiegend getrotzt und werden nach Corona stärker wachsen und den ländlichen Raum aufwerten. Für viele Unternehmen und Arbeitnehmer wird Co-Working zur attraktiven Alternative zu Homeoffice und alter Bürowelt.

Eine echte Revolution im Verhältnis von Stadt und Land würde eine neue Forderung der Klimabewegung Fridays for Future bedeuten. Vom deutschen Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie hat die Bewegung jüngst untersuchen lassen, welche Veränderungen notwendig sind, um das 1,5 Grad-Klimaziel bis 2035 zu erreichen. Neben bekannten Vorschlägen wie einem Tempolimit geht es künftig den Bewohnern in den Großstädten an den Kragen.

Wie viel Wohnfläche ist genug?

Im Studienkapitel "Gebäude" gehen die Forscher der Frage nach, wie viel Wohnfläche genug ist. Kleinere Wohnungen verbrauchen deutlich weniger CO2. Zuletzt verfügte jeder Österreicher über 45 Quadratmeter Wohnfläche, ein Anstieg von mehr als 20 Quadratmetern in den vergangenen 30 Jahren. Gestiegen ist die Wohnfläche vor allem durch den starken Zuwachs von Ein-Personen-Haushalten.

Auch der demografische Wandel führt zu mehr Wohnfläche. Nach dem Auszug ihrer Kinder wollen nur die wenigsten in eine kleinere Wohnung umziehen. Die Forderung nach weniger Quadratmetern würde daher die stark wachsenden Gruppen der Singles und Senioren treffen. Sollten diese tatsächlich gezwungen werden, in kleinere Wohnungen zu ziehen, hätte dies Folgen für Österreichs Geografie: Ländliche Regionen, Klein- und Mittelstädte würden wachsen und die Großstädte schrumpfen. Von der neuen Welt nach Corona hätten dann beide etwas: Die großen Städte würden grüner und kleiner, der ländliche Raum bunter und voller.