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Raus aus dem Krisenmodus

Von Martyna Czarnowska

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Die Europäische Union will wieder zur Alltagsarbeit zurückkehren.


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Weniger werden die Klagen. Die Stimmung in der Europäischen Union scheint sich zu drehen. Raus aus dem Krisenmodus, zurück zur Routinearbeit. So sehr waren die Debatten der vergangenen Jahre von Problemen und Alarmismus geprägt, dass ein Wort in Mode kam, mit dem die Misere gleich in ihrer Vielfalt beschrieben wurde: Poly-Krise, die Anhäufung der Schwierigkeiten verbunden mit finanziellen Nöten, Migration, Sorgen um die Einheit der Gemeinschaft.

Doch um die Gefühlslage dürfte es derzeit gar nicht so schlecht stehen. Die Austrittswünsche Großbritanniens, die Unsicherheiten bei der Kooperation mit den USA, die außenpolitischen Herausforderungen scheinen die Europäer nämlich eher zu einem Zusammenrücken zu bewegen. In etlichen Mitgliedstaaten steigt die Zustimmung der Menschen zur EU; Politiker können mit einem deklariert EU-freundlichen Programm Urnengänge gewinnen, wie die Präsidentschaftswahl in Frankreich gezeigt hat.

Dieser Stimmungswandel macht sich auch bei internationalen Konferenzen bemerkbar, wie zuletzt beim Prager Europa-Gipfel. Als die von mehreren Denkfabriken organisierte Veranstaltung 2015 erstmals über die Bühne ging, standen eben die Krisenthemen im Vordergrund. Diese Woche aber ging es mehr um Aufbrüche, die Zukunft der Gemeinschaft und wie sich diese reformieren und als ernst zu nehmender Partner global behaupten könnte.

Die Zeit für solche Überlegungen scheint günstig. "Die EU hat ihren besten Moment seit 2005, als die Franzosen und Niederländer in Referenden die EU-Verfassung abgelehnt hatten", meint etwa Pawel Swieboda, der früher den polnischen Präsidenten beraten sowie eine Denkfabrik geleitet hat und seine EU-Expertise nun in der EU-Kommission einbringt. Danach, nach 2005, löste eine Krise die andere ab: Auf die institutionelle folgte eine ökonomische, später kamen die Flüchtlingsströme. Seit einigen Monaten aber ringe die Union nicht mehr nur um kurzfristige Problemlösungen, sondern konzentriere sich wieder auf längerfristige Herausforderungen, findet Swieboda. Auch er ortet eine positive Mobilisierung sowohl in der Gesellschaft als auch in der Politik: Die Entwicklungen in Großbritannien und den USA hätten das Bewusstsein dafür geschärft, wozu Desintegration führen könne. Und diese Option gefalle wenig. Gleichzeitig weist Swieboda darauf hin, dass diese Chance erst einmal genutzt werden müsse. Automatisch nämlich würden die Menschen keineswegs in glühender Liebe zur EU entflammen.

Die Politiker stehen daher vor der nächsten Aufgabe, sagt Barbara Lippert. Die Forschungsdirektorin der in Berlin ansässigen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) fordert die Regierungen dazu auf, wieder das Vertrauen untereinander und in die EU-Institutionen zu stärken. Das gelte vor allem für Berlin und Paris, den Motor, von dem sich viele nach der Wahl in Deutschland neuen Antrieb für die EU erhoffen. Diese zwei Staaten hätten nun einmal "eine fundamentale Bedeutung für das, was in der EU geschieht - oder nicht", erklärt Lippert. Doch auch die zwei bräuchten Partner, die stark und selbstbewusst seien.