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Raus aus den Sechzigern

Von Alexander Maurer

Politik

Was das Bildungssystem angeht, könne sich Wien viel von London abschauen, sagt Expertin Heidi Schrodt.


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Wien. "Obwohl Österreich längst ein Migrationsland ist, ist unser Schulsystem in den Grundstrukturen irgendwo in den Sechzigern steckengeblieben." So fällt die ernüchternde Wertung von Heidi Schrodt, ehemalige AHS-Direktorin und Vorsitzende der Organisation "Bildunggrenzenlos", aus. Das wirkt sich vor allem auf Wien dramatisch aus, warnt sie.

Wien sei eine internationale Stadt wie Berlin oder London, das Schulsystem aber immer noch auf eine einsprachige, homogene Schülerschaft ausgerichtet. Dabei betrug allein 2014 der Anteil der Volksschüler mit einer anderen Muttersprache als Deutsch in Wien 56 Prozent, in Margareten sogar 90 Prozent. "So ist es, ob man das will oder nicht. Ich finde das im Zuge der Urbanisierung ganz normal", meint die Expertin.

Heidi Schrodt ist eine von 37 Autoren des Sammelbandes "Zukunft Stadt. Wirtschaftspolitische Visionen für die urbanen Zentren von morgen", der vom österreichischen Städtebund anlässlich seines 100-jährigen Bestehens gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft für wissenschaftliche Wirtschaftspolitik und dem Urban Forum herausgegeben wurde.

In Ihrem Beitrag "Integration durch Bildung" schreibt sie die schlechten Ergebnisse der Wiener Volksschulen dem System und nicht den Migranten zu. Sozial schwächere Schüler würden benachteiligt und die Übergänge zwischen den einzelnen Schulformen, vor allem zwischen Volksschule und Gymnasium, seien zu hart. Außerdem sieht Schrodt noch große Defizite in der Kindergärtnerausbildung, wobei sie hier die Vorreiterrolle Wiens lobt, ebenso bei der Gratisnachhilfe.

Wien soll autonom handeln

"Wien ist auf einem guten Weg, aber wenn die Stadt ihr Schul- und Bildungssystem grundlegend verbessern will, muss sie sich von der Bundespolitik emanzipieren", ist Schrodt überzeugt. Die Herausforderungen an die Donaumetropole seien derart groß, dass die Stadt handeln müsse, ohne auf Bewegungen und Entscheidungen der Bundespolitik warten zu müssen. Schrodt wünscht sich ein Wiener Schulkonzept nach dem Vorbild Londons, das es geschafft hat, sein schlecht abschneidendes Schulsystem zum britischen Spitzenreiter zu verbessern.

Bürgermeister und Städtebundchef Michael Häupl erteilt Wiener Alleingängen gegenüber der "Wiener Zeitung" jedoch eine Absage. "Wir bewegen uns auf einem gesamtstaatlichen Rechtsrahmen. Der Vergleich mit London ist aufgrund der unterschiedlichen Rechtslagen irreführend. Wir müssen uns an die Gesetze halten und können beispielsweise eine gemeinsame Schule der zehn- bis 14-Jährigen nicht im Alleingang einführen", erklärt er. Wien müsse sich in eine gesamtösterreichische Lösung einbringen. Die autonomen Möglichkeiten der Stadt beschränken sich vor allem auf den Schulbau und die Einstellung zusätzlicher Lehrer auf Gemeindekosten, betont Häupl.

Heidi Schrodt ist trotzdem der Ansicht, dass einige Konzepte aus London nach Wien importiert werden können, vor allem die Vernetzung zwischen den Schulen. "Sogenannte ,failing schools‘, die nach ein paar Jahren geschlossen werden, wenn sie nicht bestimmte Leistungen vorweisen können, werden mit erfolgreicheren Schulen zusammengebracht, die aber ähnliche Rahmenbedingungen aufweisen, beispielsweise die Bevölkerungsstruktur der Schüler. Die besseren Schulen begleiten und unterstützen dann die schlechteren", erklärt sie.

Das System habe sich mittlerweile fix in London etabliert. "Die Schulen haben sich verbessert, aber die Schülerschaft ist gleich geblieben."

Verständnis für Multilingualität

"Es gibt also nicht weniger sozial schwächere Kinder an den Schulen, um den Durchschnitt zu heben, sondern man kümmert sich allgemein besser um die Schüler", betont sie. Augenmerk liege auf der Förderung der individuellen Stärken der Schüler, ähnlich dem viel gepriesenen skandinavischen Modell.

Einig sind sich Häupl und Schrodt darin, dass die neue Mittelschule gefördert werden müsse. "Wir müssen ganz stark in Sprachförderung, Förderlehre, Sozialarbeit und die Lehrerausbildung investieren", so Schrodt. Sie kritisiert, dass der Umgang mit Mehrsprachigkeit noch immer kein Pflichtmodul der neuen Lehrerausbildung sei. Dabei geht es ihr vor allem um linguistische Grundlagen und das Verständnis um den Spracherwerb bei mehrsprachigen Kindern. Dabei sei es nicht zwingend nötig, dass ein Lehrer alle Erstsprachen beherrscht. "Das ist bei 225 Muttersprachen in Wien auch gar nicht möglich", so Schrodt.

Häupl, Michael; Horvath, Patrick; Müller, Bernhard; Weninger, Thomas (Hrsg.) Zukunft Stadt Wirtschaftspolitische Visionen für die urbanen Zentren von morgen, New Academic Press 22.50