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Rausch in den Wipfeln

Von Kerstin Viering

Wissen
Auch eine Unterart der Allfarbloris - nämlich die Rotnackenloris in Australien - berauscht sich an Nektar-Drinks.
© Corbis/HotShotsWorldwide

Menschen sind offenbar nicht die einzigen Lebewesen mit einem Faible für Alkohol und andere Drogen.


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Berlin. Wie man ein zünftiges Trinkgelage veranstaltet, wissen die Schimpansen nahe dem Ort Bossou in Guinea ganz genau. Dazu sind sie freilich auf Hilfe ihrer menschlichen Nachbarn angewiesen. Die zapfen nämlich gerne Raffia-Palmen an und fangen deren Saft in Plastikkanistern auf. In der Tropenhitze vergärt diese zuckrige Flüssigkeit sehr rasch und erreicht einen Alkoholgehalt von etwa drei Prozent. Ist er auf einen Drink aus, muss der findige Menschenaffe also nur ein paar Blätter zusammenknüllen, sie in die schmale Öffnung des Behälters tunken und schon kann er mithilfe dieses Schwamms den vergorenen Saft ins Maul befördern. Das bleibt nicht ohne Folgen, hat Kimberley Hockings vom Anthropologischen Forschungszentrum in Lissabon mit ihren Kollegen beobachtet: Einige der Tiere scheinen betrunken zu werden - so mancher haarige Genießer muss sich nach der Palmenparty eine Weile hinlegen.

Rentiere und Fliegenpilze

Solche Beobachtungen sind für Wissenschafter hochinteressant. Denn sie könnten Hinweise darauf liefern, wie der Mensch zu seiner Schwäche für Alkohol und andere Rauschmittel gekommen ist. Hat dieses Faible biologische Wurzeln? Wie könnte es im Laufe der Evolutionsgeschichte entstanden sein? Von klaren Antworten auf diese Fragen sind Biologen noch weit entfernt. Zwar wurde längst im Labor getestet, wie sich verschiedene Substanzen von Alkohol bis zu Kokain auf einzelne Tierarten auswirken. Über freiwilligen Drogenkonsum wildlebender Arten aber gibt es mehr Gerüchte und Anekdoten als seriöse Studien.

Etliche solcher Fälle hat der Neurobiologe David Linden von der Johns Hopkins University in Baltimore für sein 2011 erschienenes Buch "The Compass of Pleasure" (deutscher Titel "High") zusammengetragen. Da sind zum Beispiel die Rentiere Sibiriens, die großes Interesse an halluzinogenen Fliegenpilzen haben. Wenn sie diese fressen, stolpern sie anschließend desorientiert durch die Gegend, machen seltsame Geräusche und halten sich oft stundenlang abseits ihrer Herde. Oft lecken Artgenossen deren Urin auf, der ebenfalls reichlich psychoaktive Substanzen enthält - für Linden ein deutliches Zeichen dafür, dass es den Tieren nicht um den Nährwert der Pilze geht. Sondern um ihre Rauschwirkung.

Die ist auch den zweibeinigen Nachbarn der Rentiere nicht verborgen geblieben. Bei einigen Völkern Sibiriens werden Fliegenpilze und auch der Urin von deren Konsumenten traditionell für schamanische Rituale oder auch als Genussmittel verwendet. Haben sie sich das womöglich sogar von den Rentieren abgeschaut? Experten halten es für möglich, dass Menschen die Wirkung bestimmter Drogen durch die Beobachtung von Tieren entdeckt haben.

In Gabun ist die Iboga-Pflanze bei Elefanten, Büffeln, Stachelschweinen und Gorillas ebenso beliebt wie bei etlichen Menschen. Zwar schmecken die Iboga-Wurzeln äußerst bitter, wirken in geringen Mengen aber anregend auf Mensch und Tier. Dass sich bei höheren Dosen Visionen einstellen, ist aber nur beim Menschen nachgewiesen. Manche Anthropologen glauben auch, dass einige Bewohner des südamerikanischen Regenwaldes ihre psychoaktiven Substanzen von den Jaguaren übernommen haben könnten. Die großen Katzen wurden dabei gefilmt, wie sie an der bitteren Rinde und den Wurzeln der Yage-Liane knabberten - und sich anschließend wie verspielte Kätzchen benahmen.

Papageien-Gelage mit Folgen

Welches Tier den Weg zum Alkoholkonsum geebnet haben könnte, ist dagegen schwer zu sagen. Denn es gibt viele Arten, die vergorene Früchte und Nektar-Drinks zu sich nehmen - von Fruchtfliegen über Fledermäuse bis hin zu Vögeln. So wird die australische Stadt Darwin regelmäßig zum Schauplatz von regelrechten Papageien-Gelagen. Jedes Jahr werden dort dutzende Rotnackenloris aufgegriffen, die elend und flugunfähig am Boden hocken und kaum noch geradeaus laufen können.

Bei anderen Vögeln führt der Alkoholrausch sogar immer wieder zu Todesfällen. In den USA sind schon zahlreiche Finken, Stare und Seidenschwänze nach dem Genuss von fermentierten Beeren mit Hindernissen kollidiert und gestorben. Und auch in Wien brachen sich im Januar 2006 insgesamt vierzig betrunkene Seidenschwänze das Genick an Glasscheiben.

Nach Einschätzung von Ornithologen geht es Vögeln in solchen Fällen eher nicht darum, sich einen Rausch anzufressen. Sie haben wohl einfach nicht genug alkoholfreie Alternativen, um ihren Energiebedarf zu decken. Schließlich zeigten bereits etliche Studien, dass Alkohol abschreckend wirken kann. Etwa auf die Gelbsteißbülbüls in der Türkei und im Nahen Osten. Diese Singvögel fraßen in Experimenten deutlich lieber alkoholfreie Bananen als solche mit drei Prozent Alkohol. Und auch Nilflughunde meiden alkoholhaltige Kost, wenn sie nicht gerade unter Nahrungsmangel leiden.

Etliche Säugetiere, die auf vier Beinen am Boden unterwegs sind, scheinen weniger Bedenken zu haben. In Indien zum Beispiel berauschen sich Lippenbären genau wie Menschen am vergorenen Nektar von Madhuca-Blüten. Im Regenwald von Malaysia gibt es natürliche Trinkhallen in Form von Bertam-Palmen, deren vergorener Nektar mit 3,8 Prozent Alkohol beinahe an Bier aus menschlicher Produktion heranreicht. Ein Team um Frank Wiens von der Universität Bayreuth hat sieben Säugetierarten identifiziert, die diesem Getränk regelmäßig zusprechen. Dazu gehört auch eine Primaten-Art, der Sunda-Plumplori.

Vom Affen geerbte Vorliebe?

Offenbar ist der Mensch nicht der einzige Vertreter seiner Verwandtschaft, der einen Drink zu schätzen weiß. Der Biologe Robert Dudley von der University of California vermutet sogar, dass Primaten mit einer solchen Vorliebe in der Evolution einen Vorteil hatten. Sei es, weil Alkohol reichlich Kalorien liefert oder weil sein Geruch den Weg zu reifen Früchten wies. Könnte der Mensch dieses Faible von seinen Ahnen geerbt haben? Gibt es Belege für die Hypothese vom betrunkenen Affen?

Katherine Milton von der University of California in Berkeley hat eine Umfrage unter Wissenschaftern durchgeführt, die das Verhalten von freilebenden Affen untersuchen. Demnach scheinen Primaten nur selten überreife Früchte zu fressen, kaum ein Forscher konnte über betrunkene Affen in freier Wildbahn berichten. Milton sieht daher noch keine Beweise dafür, dass sein biologisches Erbe den Menschen zum Alkoholtrinken verführt.