Im albanischen Lazarat wurden pro Jahr 500 Tonnen des Rauschmittels produziert, fast das ganze Dorf lebte davon. | Gegen die anrückende Polizei wurde die Ernte sogar mit Maschinengewehren und Panzerfäusten verteidigt.
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Lazarat. Rauch steigt auf von brennenden Feldern, auch fünf Tage nach Beginn der Belagerung durch die Polizei herrschen im kleinen albanischen Dorf Lazarat noch immer kriegsähnliche Zustände. Überall liegt der scharfe Geruch von Cannabis in der Luft, hunderte Polizisten, die mit gepanzerten Fahrzeugen angerückt waren, durchkämmen das Dorf, immer auf der Suche nach noch unentdeckten Pflanzungen.
Für die albanische Polizei ist die Razzia, bei der größere Teile des Dorfes eingenommen werden konnten, zumindest ein Teilerfolg. Lazarat galt jahrzehntelang als "Cannabis-Hauptstadt" Europas. Die meisten der 5000 Bewohner des 240 Kilometer südlich der Hauptstadt Tirana gelegenen Ortes leben vorwiegend von Erträgen des Marihuana-Geschäfts. Luftaufnahmen zeigen, dass an die 60 Hektar Land mit etwa 300.000 Stauden bepflanzt worden waren. Das entspricht einem Ertrag von 500 Tonnen Cannabis - der Hälfte der albanischen Gesamtproduktion.
Ein gesetzloses Dorf
Laut der italienischen Polizei hat die jährlich in Lazarat hergestellte Menge einen Marktwert von schätzungsweise 4,5 Milliarden Euro. Dies entspricht beinahe der Hälfte des albanischen Bruttoinlandsproduktes. Die Rauschmittel wurden nach Deutschland, Griechenland und Italien verkauft. Ein Netz aus Händlern und korrupten Politikern und Polizisten hatte jahrelang sichergestellt, dass die Drogenproduzenten unbehelligt blieben. Das Dorf war somit so gut wie gesetzlos.
Und auch das Unrechtsbewusstsein der Dorfbewohner war offenbar nur gering ausgeprägt. "Was habe ich denn falsch gemacht? Ich wollte nur ein paar Pflanzen anbauen, wie jeder andere hier. Ich muss für meine Kinder sorgen", sagte die 42-jährige Witwe Lumturi Koli zur Nachrichtenagentur Reuters, als die Polizisten ihre beträchtliche Ernte zerstörten.
Die Razzia war Teil einer landesweiten Aktion gegen illegale Hanf-Plantagen. Doch die Verteidigungsbereitschaft der Menschen in Lazarat dürfte dann wohl selbst die Polizisten überrascht haben. Bei den Gefechten vor dem Einmarsch in das Dorf sahen sich die Einsatzkräfte auf einmal mit Maschinengewehren, Panzerfäusten und Granaten konfrontiert.
Momentan hofft Albanien, EU-Kandidatenstatus zu erlangen. Am 23. Juni wird der Ministerrat darüber entscheiden. Österreich unterstützt den albanischen Antrag, "Ich bin sehr zuversichtlich, dass es im Juni einen positiven Beschluss geben wird", hatte Bundespräsident Heinz Fischer bei einem Albanienbesuch im Mai verlauten lassen.
Die Razzia in Lazarat dürfte damit in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Denn die Drogen-Hochburg ist den albanischen Politikern schon lange ein Dorn im Auge, steht sie doch dem Versuch im Wege, das Image Albaniens von einem chaotischen Balkanstaat hin zum würdigen EU-Kandidaten zu wandeln.
Proteste gegen Premier
Doch nicht nur der Druck der EU macht Ministerpräsident Edi Rama zu schaffen. Im Mai forderten die oppositionellen Demokraten (PD) bei Demonstrationen vor dem Parlament den Rücktritt des Premiers. Der organisierte Drogenhandel mittels Flugzeugen war dabei ein zentrales Anliegen des Protests. PD-Chef Lulzim Basha warf Rama vor, hier versagt zu haben. Auch dass die Armee in den Drogenschmuggel verwickelt sei, wurde behauptet.
Die florierenden illegalen Geschäfte sind allerdings nicht Ramas einziges Problem. Mit Verspätung hat die Wirtschaftskrise auch Albanien erreicht. Rama hat die Steuern auf Unternehmensgewinne und die Einkommensteuer erhöht. Außerdem schloss er im Februar einen Kreditvertrag mit dem Internationalen Währungsfonds über mehr als 300 Millionen Euro. Die Staatsschulden erreichten 2013 rund 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.