Anlässlich der gestrigen Budgetrede von Finanzminister Karl-Heinz Grasser und des Bundesfinanzgesetzes 2000, das heute im Nationalrat debattiert wird, haben nicht nur Vertreter der | Oppositionsparteien, sondern auch Gewerkschafts- und Studentenvertreter sowie Sozialwissenschafter die Wirtschaftspolitik der neuen Regierung zerpflückt.
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Der Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen (BEIGEWUM) ortet im ÖVP-FPÖ-Programm zur Budgetkonsolidierung eine "Umverteilung nach oben", vom unteren zugunsten des
oberen Einkommensdrittels. Die notwendige Budgetkonsolidierung stehe, "im Gegensatz zur Rhetorik", nicht im Mittelpunkt; sonst wären umfangreiche Maßnahmen, die das Budgetdefizit im Ausmaß von
zumindest 25 Milliarden Schilling (bis zum Jahr 2003) · durch Senkung der Lohnnebenkosten, "Karenzgeld für alle" oder zusätzliche Bauernförderung · zusätzlich belasten, nicht möglich, argumentiert
der Ökonom Markus Marterbauer vom BEIGEWUM. Wenn vor allem indirekte Steuern (Tabak- und Stromsteuer, motorbezogene Versicherungssteuer, Autobahnvignette etc.) erhöht werden, gehe das, so
Mitterbauer, zu Lasten der sozial Schwächeren. Das gelte auch für einen möglichen Selbstbehalt im Gesundheitsbereich.
Die Regierung habe mit dem Budgetentwurf kein "Reformprojekt", sondern "ein gesellschaftspolitisches Werteprojekt" in Richtung "Re-Familiarisierung" vorgelegt, so der sozialwissenschaftliche Befund
von Emmerich Talós. "Dass wir das Pensionsantrittsalter anheben müssen, daran führt kein Weg vorbei." Talós vermisst allerdings Vorschläge der Regierung gegen die steigende Arbeitslosigkeit von
älteren Arbeitnehmern. Ein Karenzgeld für alle Mütter widerspreche der von der Regierung angestrebten "sozialen Treffsicherheit". Unter dem Schlagwort der "Budgetsanierung" werde "Sozialabbau"
betrieben, mit dem Argument von einem "Notbudget" wolle die Regierung eine Legitimation für Einschnitte schaffen, so Talós. Heftige Kritik übte der Sozialwissenschafter zudem an der Zuteilung der
Arbeitsagenden zum Wirtschaftsressort. Dass sich Neo-Arbeitsminister Bartenstein "als Erfüllungsgehilfe der Wirtschaft" erweisen könnte, befürchtet auch die Gewerkschaft Bau-Holz und droht mit
Kampfmaßnahmen.
Von den ausgabenseitigen Einsparungen seien auf Grund der sozioökonomischen Situation insbesondere Frauen betroffen, gibt die Politologin Siglinde Rosenberger zu bedenken. Frauen beziehen mehr
finanzielle Transferleistungen der öffentlichen Hand als Männer, die Sparmaßnahmen würde daher insbesondere Alleinerzieherinnen belasten.
Die Kritiker der Regierung sind überzeugt: "Druck lohnt sich." So sei ursprünglich von einem Selbstbehalt in einschneidender Höhe die Rede gewesen, um größere Umverteilungseffekte zu erzielen. "Soll
der Selbstbehalt etwas bringen, muss er höher sein als eine rein symbolische Maßnahme, dann schließt er aber Menschen aus", führt Silvio Lehmann, seines Zeichens Soziologe und Sprecher des
"Republikanischen Clubs", an. Die Ansätze der Regierung sind "kombiniert mit Sozialarchaik", erklärt Emmerich Talós auf Nachfrage gegenüber der "Wiener Zeitung".
Der Frage der Verteilungsgerechtigkeit müsse man sich offen stellen, appellierte der Chef der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA), Hans Sallmutter, in einer Aussendung. Die Regierung begünstige
die Interessen der Unternehmer, lautet die Kritik der Gewerkschaftsvertreter. Die Haushalte würden mit 10 Mrd. Schilling zur Kasse gebeten, während es für Unternehmer Steuererleichterungen um 20 Mrd.
Schilling gebe, argumentiert auch KPÖ-Chef Water Baier. Gegen drohende Studiengebühren macht der Verband Sozialistischer StudentInnen Österreichs weiter mobil. Für wenig ambitioniert hält der
Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, Klaus Liebscher, den Budget-Konsolidierungsplan.