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"Realität hat linke Rhetorik überrannt"

Von Walter Hämmerle

Politik

Andreas Rudas: "Linke hat Problem mit Marktwirtschaft." | Kernwähler der SPÖ wurden zu Kleinbürgern. | Wirtschaft koppelt sich ab von Politik. | "Wiener Zeitung": Wir leben in einer Zeit steigender Unsicherheit - Arbeitslosigkeit, soziale Bindungen ohne Gewähr, gar nicht zu reden von Themen wie Klimawandel, Gentechnik etc. Solche Zeiten waren seit stets gute Zeiten für linke Volksparteien. Ausgerechnet die befinden sich jedoch europaweit in einer tiefen Krise. Warum?


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Andreas Rudas: Für mich hängt das mit mehreren Faktoren zusammen: Einer der wichtigsten ist die vollkommen ungeklärte Haltung von Parteien links der Mitte zu Wirtschaft und Unternehmern. So lange sie hier nicht mit sich selbst im Reinen sind, werden sie von den Ereignissen überrollt.

Woher kommt diese ambivalente Haltung?

Aus einer noch immer tief verwurzelten Grundhaltung des Klassenkampfes, die Kapitalisten in erster Linie als Ausbeuter betrachtet. Sozialdemokraten haben in Europa schon lange vor dem Dritten Weg in den 90er Jahren einen anderen dritten Weg versucht. Der bestand in dem Versuch, als Antwort auf den Kommunismus eine Mischform von großen verstaatlichen Betrieben zu gründen, wo es einen starken Gewerkschaftseinfluss gibt. So wurde versucht, die negativen Erscheinungsformen von Wirtschaft hintanzustellen. Doch diese Alternative ist gescheitert.

Ist Liebäugeln mit Klassenkampf wirklich noch ernst gemeint und nicht nur ein symbolisches Signal an die innersten Kernschichten?

Das sehe ich nicht so. Die klassenkämpferische Haltung ist nach wie vor tief verankert bei vielen Sozialdemokraten. Die linken Volksparteien müssen endlich erkennen, dass sich die Marktwirtschaft durchgesetzt hat. Und zwar aus zwei Gründen: Weil es die Realität ist und weil es die Menschen erkennen. Die Sozialdemokratie hat den Menschen lange Zeit die Illusion geben wollen, sie könne sie vor den Fährnissen der Wirtschaft beschützen. Nur konnte sie dieses Versprechen nicht einlösen, die Realität hat die linke Rhetorik vollkommen überrannt. Dadurch kam es zu einer breiten Verunsicherung, die Menschen haben den Versprechungen einfach nicht mehr geglaubt.

Ein zweiter Grund für die Krise linker Volksparteien liegt in der grundsätzlichen Veränderung des Wahlvolks. Die klassische Wählerschicht der Sozialdemokratie, die Arbeiter, gibt es nur mehr in Liedern. Gleichzeitig sind die eigenen Wähler durch die eigenen Leistungen zu Kleinbürgern geworden - mit allen politischen Aspekten: Auto, kleines Häuschen, gegen Ausländer, gegen gesellschaftliche Minderheiten. Und die neuen urbanen Mittelschichten wurden politisch vernachlässigt: junge, offene, leistungsorientierte Menschen, Unternehmer, Manager.

Ihr Lösungsvorschlag?

Die Herausforderungen der Gegenwart kann man nur bewältigen, wenn man im Voraus eine Vision hat. Linke Volksparteien sind aber heute wie Flipperkugeln: Auf der einen Seite werden sie von den Realerfordernissen des Regierens mit beschränkten Budgets getrieben, auf der anderen Seite stehen die Emotionalitäten der eigenen Funktionäre. Das betrifft aber zusehends alle Volksparteien.

Vielleicht sind die Versprechungen der Politik einfach nicht mehr umsetzbar?

Das glaube ich nicht, nur muss man vorher wissen, was man will.

Erklären Sie mir das bitte am Versprechen "mehr Fairness, mehr Gerechtigkeit".

Da gibt es sehr klare Festlegungen: Erstens, die Marktwirtschaft hat sich durchgesetzt .. .

. . . ist die auch gerecht?

Nein, aber sie hat sich als das System durchgesetzt, das sich als bestes zur Verteilung und Schaffung von Gütern und materiellen Werten eignet. In sich ist Marktwirtschaft aber nicht gerecht. Ließe man sie agieren, käme es zur Zerstörung der Umwelt, zu einer noch ungleicheren Verteilung von Reichtum, zur Ausbeutung des Menschen. Aber Leistung und Gerechtigkeit liegen als Werte sehr nahe beieinander. Viele arbeitende Menschen empfinden es als ungerecht, wie mit Menschen umgegangen wird, die nichts leisten. Das wird zunehmend zu einem der größten politischen Probleme, das wiederum vor allem die ehemaligen Kernwähler der Sozialdemokratie betrifft.

Wer ist verantwortlich dafür, dass Politik ihre Bindung zu den Menschen verloren hat?

Die Funktionäre, sie sind sich selbst genug. Politiker sind zu einer monopolisierten Kaste mutiert. Mit gravierenden Folgen: Paul Lendvai hat vor kurzem die These aufgestellt, dass es keine großen politischen Führer mehr gibt. Die großen Köpfe sind heute in der Wissenschaft und Wirtschaft, nicht in der Politik.

Vielleicht auch deshalb, weil Politik zunehmend als unberechenbar empfunden wird. Mitunter fällt es ja tatsächlich schwer, das Urteil der Wähler nachzuvollziehen.

Wähler entscheiden nie nach Bilanzen, sondern grundsätzlich immer in die Zukunft. Die Leistungen der Vergangenheit sind in Wirklichkeit nur der Beweis, ob die Versprechungen auch etwas zählen.

Zurück zum Problem der verlorenen Authentizität: Politik ist zu einem hochkomplexen, anspruchsvollen Beruf geworden. Die Verbindung zu den Bürgern wird da fast zwangsläufig gekappt.

Wer nur von Tag zu Tag denkt und nicht weiß, wo er in fünf, in zehn Jahren stehen will, kann nicht reüssieren. Das gilt für die Wirtschaft genauso wie für die Politik. Bill Clinton hat das im Wahlkampf auf den Punkt gebracht: "This guy will win, who wants more than just the job." In ganz Europa werden Politiker verlieren, denen man nachsagt, dass sie nur die Position haben wollen, aber keine Vision haben. Mein zweiter Punkt ist, dass es zu einer stärkeren Durchlässigkeit zwischen Wirtschaft und Politik kommen muss. Bei uns ist jemand, der einmal in der Politik ist, sein Leben lang damit verbunden - ohne Chance auf Ausstieg.

Und schließlich die Frage des Mehrheitswahlrechts: Für mich geht es dabei nicht darum, ob anschließend die Regierungsbildung erleichtert wird oder nicht. Für mich ist das Mehrheitswahlrecht die gerechteste und beste Form eines politischen Ausleseverfahrens.

Politik mutiert immer mehr zu einer Glaubensfrage: Daten und Fakten werden in den Hintergrund gedrängt, wenn nicht gar verdrängt.

Ich glaube, um mit Ingeborg Bachmann zu sprechen, dass auch in der Politik die Wahrheit den Menschen zumutbar ist. Und wenn man ihnen diese erklärt, ist das kein Thema. Nur haben viele Politiker Angst, die Wahrheiten auszusprechen und zu erklären und deshalb werden notwendige Maßnahmen nicht gesetzt. Viktor Klima war am populärsten, als er die erste Pensionsreform durchgesetzt hatte. Alle großen politischen Köpfe, von Kreisky, Thatcher, Clinton bis zu Blair wurden als Reformer gewählt.

Was ist die politische Kernbotschaft unserer Zeit?

Die zentrale Botschaft heißt heute Gerechtigkeit.

Heißt das, den Menschen mehr zu geben oder ihnen etwas wegzunehmen?

Auch wegzunehmen, die Leute sind bereit, den Gürtel enger zu schnallen. Aber das große Thema ist sicher, dass einige wenige viel zu viel haben.

Wie können sich Volksparteien aus der Geiselhaft mächtiger Klientels befreien?

Zum einen durch ein Mehrheitswahlrecht, zum anderen durch programmatische Arbeit, um sich klar zu werden, was sie überhaupt wollen. Und durch große Strukturreformen innerhalb der Parteien selbst. Diese Form von Massenparteien ist heute einfach nicht mehr zeitgemäß. Geschieht das nicht, droht die Abkoppelung des wirtschaftlichen vom politischen Prozess. Bei uns ist das bereits der Fall: Unser Wohlstand beruht heute darauf, dass sich die Unternehmen entgegen der Politik massiv nach Osteuropa orientiert haben. Wohlstandssicherung ist kein Verdienst des politischen Systems mehr.

Welche Rolle spielt das Mediensystem?

Ich weigere mich zuzugestehen, dass die Schuld am Zustand der Politik bei den Medien liegt. So lange der Schwanz mit dem Hund wedelt, wird es Probleme geben. Jeder Politiker mit klaren Überzeugungen wird sich gegen Angriffe der Medien durchsetzen. Entweder ist es richtig, was er sagt, oder es ist falsch. Zeitungen sind nur Transporteure von Botschaften, egal wie wichtig sie sich selbst nehmen. Jörg Haider wurde von allen Medien niedergeschrieben. Aber in jedem vernichtenden Kommentar wurden seine Botschaften kommuniziert. Die einzige wirkliche Macht von Medien besteht darin, einen Politiker gar nicht vorkommen zu lassen.

Zur Person: Andreas Rudas, geboren 1953, ist Geschäftsführer der Ostholding des deutschen Medienkonzerns WAZ. Davor war er Konzernkommunikationschef bei Magna. Ende der 90er Jahre war Rudas Bundesgeschäftsführer und Mastermind der SPÖ unter Viktor Klima. Mit ihm hielt der Begriff des Spin Doctoring in Österreich Einzug.