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Realitätssinn trifft Wunschdenken

Von Walter Hämmerle

Europaarchiv

Die Österreicher sind in Sachen Sicherheitspolitik sehr viel pragmatischer, als die politischen Parteien bisher angenommen haben. Darauf lassen zumindest die Ergebnisse einer am Donnerstag präsentierten Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) zur Einstellung der Österreicher zu einer gemeinsamen Europäischen Armee schließen: Nicht nur, dass sich 73 Prozent für eine Europa-Armee einer EU der 25 Mitgliedsstaaten aussprechen, befürworten auch noch beachtliche 63 Prozent eine aktive Teilnahme Österreichs. Ein spezifisch österreichischer Pragmatismus zeigt sich allerdings darin, dass dies 69 Prozent nicht davon abhält, sich weiterhin für die Beibehaltung der Neutralität auszusprechen.


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Es ist die Kombination von drei "Ja" der Österreicher, die bei dieser telefonischen Umfrage unter 1.000 Personen ab 16 Jahren vom vergangenen Oktober überrascht: Während sich das "Ja" zu einer gemeinsamen Europäischen Armee (73 Prozent) noch relativ schlüssig in das "Ja" zu einer aktiven Teilnahme Österreichs an einem solchen europäischen Projekt (63 Prozent) einfügt, stellt das Votum für die Beibehaltung der österreichischen Neutralität (69 Prozent) in diesem Zusammenhang doch einen Bruch mit den herkömmlichen Regeln der Logik dar.

Entsprechend flüchtet sich Heinz Kienzl, Vizepräsident der auftraggebenden ÖGfE und Obmann der auftragnehmenden Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft (SWS), in die Sozialpsychologie, wenn er das Verhältnis der Österreicher zur Neutralität mit der Liebe zu einem lieb gewonnenen aber leider unbrauchbar gewordenen Automobil anschaulich vergleicht: Man wisse ohnehin, dass es seinen Daseinszweck nicht länger erfülle, trotzdem wolle man den eigentlich als notwendig erkannten Abschied so lange wie nur irgend möglich hinauszögern.

Ausgeprägter Wunsch nach österreichischem Beitrag

Umso beeindruckender stellt sich angesichts dieser emotionalen Bindung an die Neutralität die Bandbreite der Beteiligungswilligkeit der Österreicher an einer allfälligen Europäischen Armee dar. Dabei überrascht hier weniger ein fast einmütiger Konsens in den Bereichen Sanitäts- (96) und Zivilschutzeinheiten (90) als österreichischer Beitrag, sondern vielmehr die Bereitschaft auch Gebirgs- (69) und Pioniertruppen (66), Luftraumüberwachung (56), Luft- und Landtransporte (51) und insbesondere Bodentruppen (46) zur Verfügung zu stellen. Diese doch ausgeprägte Bereitschaft zu europäischer Solidarität spiegelt sich auch darin wieder, dass lediglich 16 Prozent den österreichischen Beitrag auf einen finanziellen beschränkt sehen wollen.

Während die Zustimmung der Österreicher zu einer Europäischen Armee offensichtlich auf Effizienzüberlegungen angesichts der baldigen Möglichkeit von 25 nationalen Armeen der Mitgliedsländern aufbaut, zeigen sich die Befragten in der Frage der Notwendigkeit militärischer Stärke für die Durchsetzung der Interessen der EU gespalten. 47 Prozent bejahen dies, ein eben so hoher Prozentsatz sieht keine Notwendigkeit militärischer Stärke für die EU.

Abkoppelung von NATO und USA

Skeptisch wird eine allfällige Kooperation einer solchen Europäischen Armee mit den USA im Rahmen der NATO gesehen: Nur rund ein Drittel der Befragten befürwortet eine solche Fortschreibung der transatlantischen Partnerschaft, während sich annähernd 60 Prozent für ein völlig selbständiges Handeln Europas ausspricht.

In dieses Meinungsbild passt auch, dass 77 Prozent der Befragten wollen, dass sich eine künftige Europäische Armee auf so genannte "friedensbewahrende" Maßnahmen beschränkt; nur 17 Prozent ihr auch eine "friedenserzwingende" Aufgabenstellung zu.

Reiter: Vertrauen in Europas Verteidigungspolitik

Der Leiter des Sicherheitsbüros im Verteidigungsministerium, Reich Reiter, interpretiert die Ergebnisse der Umfrage, als Vertrauensvorschuss der Österreicher für eine zukünftige europäische Verteidigungspolitik. Allerdings sei auch der Umkehrschluss zulässig, der auf ein ausgeprägtes Misstrauen in die eigene Verteidigungspolitik hinauslaufe. Reiter führt dies auf die "mangelnde Ernsthaftigkeit" der eigenen Bemühungen um eine glaubwürdige Verteidigungspolitik in der Vergangenheit zurück.

Angesichts des "gewaltigen Aufholbedarfs Europas im Vergleich mit den USA" hat für Reiter zunächst einmal die Kooperation im strategischen Bereich Priorität.