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Rebellen-Stoßtrupps jagen Gaddafi

Von Michael Schmölzer

Politik

Nato-Bomben verfehlten den Diktator - jetzt greifen Oppositionelle an.| Gaddafi mobilisiert seine Anhänger.


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Tripolis. Seit fünf Monaten tobt in Libyen ein Bürgerkrieg und die militärische Lage wird mit jedem Tag unübersichtlicher. Die Fronten verlaufen mittlerweile kreuz und quer durch das gesamte Land. Jetzt ist es den Aufständischen gelungen, bewaffnete Einsatzkommandos in die Hauptstadt Tripolos einzuschleusen. Es seien "kleine Gruppen, gute Kämpfer, ausgebildet in Bengasi" erklärt Rebellen-Befehlshaber Fawzi Bukatif in der Hochburg der Aufständischen.

Staatsführung im Visier

Bei den Spezialeinheiten soll es sich um Killer-Trupps handeln, die den Auftrag haben, Angehörige Gaddafis und Mitglieder der Führungsclique zu ermorden. Klar ist, dass sie auch Gaddafi selbst im Visier haben. Eine Liquidierung Gaddafis ist nach Ansicht der Rebellen die einzige Möglichkeit, den verhassten Machthaber loszuwerden. Gespräche mit der Opposition will er nicht führen, er ist zudem nicht bereit, auch nur einen Millimeter von seinem Machtanspruch abzuweichen.

Die Rebellen wenden jetzt eine Taktik an, die sie von Gaddafis Leuten gelernt haben. Spezialkräfte des libyschen Diktators operierten in der Vergangenheit mitten in der Rebellen-Hochburg Bengasi, sie entführten dort Rekruten, die sich zum Dienst an der Front melden wollten. Erst am vergangenen Donnerstag haben Rebellen eine "geheime Zelle" von 130 bewaffneten Saboteuren in Bengasi ausgehoben. Auch in der lange Zeit eingekesselten Hafenstadt Misrata tauchten immer wieder bewaffnete Gaddafi-Stoßtrupps im Rücken der Verteidiger auf.

Unterstützt von den Luftschlägen der Nato sind die libyschen Rebellen derzeit überall im Vormarsch, der entscheidende Durchbruch ist noch nicht gelungen. Immerhin konnte der Belagerungsring, den Gaddafi-Truppen um die große Hafenstadt Misrata gezogen hatten, gesprengt werden. Die Rebellen bewegen sich mittlerweile auf die westlich gelegenen Stadt Zlitan zu. Der Vormarsch erfolgt langsam, weil Gaddafis Soldaten ihre Stellungen nicht kampflos räumen - und weil das Gelände hochgradig vermint ist. Dabei handelt es sich um Anti-Personenminen und große Tellerminen, die selbst Panzer in die Luft jagen können. Weiter östlich ist die wichtige libysche Ölstadt Brega zuletzt wieder in die Hände der Rebellen gefallen. Auch hier kämpfen die Gaddafi-Gegner in schwer vermintem Gelände.

Der libysche Machthaber ist unterdessen immer noch in der Lage, regelmäßig seine Anhänger auf die Straße zu bringen. In der Nacht auf Freitag versammelten sich tausende Menschen in Sirte, um eine Rede Gaddafis zu verfolgen. Der Revolutions-Oberst erläuterte seinen Anhängern, dass es keine Gespräche mit den Aufständischen geben werde und dass die Schlacht bereits zu seinen Gunsten entschieden sei. Wiederholt kündigt der Diktator an, die Nato werde besiegt und der Krieg nach Europa gebracht werden. Eine Kapitulation, so Gaddafi, kommt nicht in Frage.

Unterdessen versuchen Diplomaten aus aller Welt, den libyschen Machthaber zu einem Rücktritt zu bewegen. Über die Inhalte dieser Gespräche sickert nur sehr wenig nach außen. In Frankreich denkt man offenbar darüber nach, Gaddafi im Land zu belassen - dieser müsste sich nur aller politischer Ambitionen entschlagen. Es soll im Westen auch Überlegungen geben, Gaddafi Straffreiheit zu gewähren.

Siegesgewiss

Die Verhandlungen sind alle im Sand verlaufen. Der Grund liegt darin, dass Gaddafi tatsächlich bis zu seiner eigenen physischen Vernichtung kämpfen will. An einer Kompromisslösung, die ihm einen angenehmen Lebensabend in Libyen oder im Ausland sichern würde, ist er nicht interessiert. UN-Pläne, die die Schaffung einer Regierung der nationalen Einheit - freilich ohne Beteiligung Gaddafis - vorsehen, kommen ebenfalls nicht in Frage. Gaddafi geht davon aus, dass er den Bürgerkrieg und die Nato-Intervention aussitzen kann und letztendlich als Sieger aus dem Krieg hervorgeht. Der Ex-Oberst ist bemüht, die einzelnen Stämme gegeneinander auszuspielen und so das Lager seiner Gegner zu schwächen. Außenpolitisch hält er an der Hoffnung fest, dass sich die internationale Allianz in naher Zukunft einfach zerbricht, weil sie sich über die weitere Taktik nicht einig wird. Die Möglichkeit, dass der Feldzug dem finanziell ohnehin geschwächten Westen zu teuer wird, hat Gaddafi ebenfalls im Auge.