Die "Proletenpassion" im "Theater am Arsch der Welt".
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Während in Frankfurt "Blockupy" die Einweihung des neuen Turms der Europäischen Zentralbank mit Massenprotesten und brennenden Autos zelebriert. Während die griechische Siryza als Vorreiter der europäischen Rebellion bejubelt oder dämonisiert wird. Während Yanis Varoufakis Stinkefinger gegen Deutschland vielleicht doch ein fake ist. Inmitten all dieser Bewegungen erlebt die "Proletenpassion" etwas, was ihr entspricht, aber dennoch nicht erwartet wurde - ihre Auferstehung. Und das nicht irgendwo, sondern im Werk X, dem "Theater am Arsch der Welt".
Die ursprüngliche "Proletenpassion" (PP1) stammte von den "Schmetterlingen" - 1976 uraufgeführt, genoss sie bis in die 1980er Jahre Kultstatus. Eine politische Revue, die mit vehementem Aufklärungsgestus und viel Musik Nachhilfe in Sachen Klassenkampf gab. Dazu spannte sie einen Bogen, der historische Revolten gegen Herrschaft und Unterdrückung als fortlaufende Geschichte erzählt. Man wollte sich als Politrockgruppe, als Szene, als Nach-68er der eigenen linken Tradition versichern. Man wollte die historischen, kritischen Bestände sichern - um sich selbst in diese Geschichte einzureihen. Die Jugendbewegung der Zeit war vielleicht keine Massenbewegung, aber sie formte sehr nachdrücklich den damaligen Zeitgeist. Und dieser Zeitgeist sollte in die ganz große Geschichte - von Thomas Münzer bis zur Russischen Revolution - eingeschrieben werden.
Wie ist das nun mit der PP2, der "Proletenpassion 2015"? Die Revue wurde ergänzt um Erzählungen von eben jenem Zeitgeist der 1970er Jahre, von den Studentenunruhen bis zur RAF. Damit wird die PP1 mit ihrer Geschichte (die Leute blieben nach der Aufführung einfach da zur legendären Arenabesetzung) selbst noch einmal in die Heldensagen der Linken eingeschrieben. PP1 wird selbst zum Teil dieser Erzählung.
Nur liegt zwischen damals und heute das "Ende der großen Erzählungen". Diese Erzählungen lassen sich nicht so ohne weiteres wiederaufnehmen. Höchstens als nostalgisches Unternehmen. Dazu muss man aber sagen: Nostalgisch war PP1 auch schon. Nostalgie ist nicht einfach ein sehnsüchtiger Blick zurück. Nostalgie ist vielmehr der Wunsch, die Welt mit den Augen früherer Bewohner zu sehen. Es ist der Wunsch, dieses frühere Subjekt in seiner Zeit zu sein. In diesem Sinne war schon die Pariser Commune nostalgisch, mit ihren - so Marx - entlehnten Kostümen und ihrer erborgten Sprache.
Es ist nicht so, dass die Theaterleute nicht um die Nostalgie Bescheid wüssten. Deshalb lautet ihre Frage auch: Gibt es wieder einen rebellischen Zeitgeist, an den PP2 andocken kann? Schlecht genug wären die Zeiten ja. Aber wie heißt es so schön im Stück: keine Revolution ist in Sicht, nur Emotionen - Wut, Empörung. Das Label für Rebellion, das die Revue vorgibt, wird heute nicht mehr ausgefüllt. Der Resonanzraum von früher fehlt. PP2 dockt an einem Phantomschmerz an. Ein solcher ist wie ein Trick, um sich zu "versichern", dass da noch etwas ist. Es tut noch weh - aber der Schmerz ist das Einzige, was geblieben ist.
Aber auch ein Phantomschmerz kann bewegend sein (in jeder Hinsicht). Der PP1 sind die Leute direkt gefolgt: sie sind geblieben. Heute kommen sie ständig. Die PP2 ist permanent ausverkauft. Und das am "Arsch der Welt"!