)
Wien. "Männlicher Held fordert das Establishment heraus, während die Frauen als 'Bräute der Revolution' ein Schattendasein fristen": Auf diese Formel bringt Ingrid Bauer das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern im Revolutionsjahr 1968.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Am Freitag hat die Historikerin in Wien eine viel besuchte Vorlesung zum Thema "1968 und die sex & gender revolution" gehalten. Dabei wies die Uni-Professorin auf die "langen 50er-Jahre" als Vorbedingung für die frauenpolitischen Veränderungen der 60er und 70er-Jahre hin. "Eine verheiratete Frau hat damals, wenn sie ein Bankkonto eröffnen wollte, die schriftliche Einwilligung des Ehemanns vorlegen müssen", erklärt Bauer den staunenden Studenten.
Immer wieder hob Bauer in ihrem Vortrag hervor, dass Frauen auch innerhalb der hierarchiekritischen 68er-Bewegung diskriminiert worden seien. So zitiert sie den US-Aktivisten Tom Hayden, der meinte, nur "Männern mit übersteigertem Selbstbewusstsein" sei es gelungen, innerhalb der 68er-Bewegung Bedeutung zu erlangen und vom Establishment als ernst zu nehmende Gegner anerkannt zu werden. Frauen sei es deshalb in 70er-Jahren darum gegangen, "das eigene Unbehagen zu erkennen und zu formulieren", sagt Bauer.
Andererseits weist sie darauf hin, dass die Geschlechterdifferenz besonders im Rahmen der Hippie-Bewegung aufgeweicht wurde. Damals hätten viele Männer begonnen, wie Frauen lange Haare zu tragen, weite indische Kleidung sei unisex gewesen. Auch der Protagonist der Berliner "Kommune 1", Rainer Langhans, habe sich demonstrativ auf dem Kurfürstendamm in Frauenkleidern zur Schau gestellt.
Sittlicher Tabubruch
Die damaligen Konzerte - die der Rolling Stones etwa - seien neben dem akustischen auch ein "optischer und sittlicher Tabubruch" gewesen. Optisch wegen der langen Mähnen, sittlich wegen der "ekstatisch tanzenden Mädchen", so Bauer. Sexualität, so die Professorin, sei den protestierenden 68ern vor allem ein Mittel gewesen, um zu provozieren und die soziokulturellen Verhältnisse anzugreifen. So hätten Studentinnen 1968 in Mexiko den Slogan "Jungfräulichkeit erzeugt Krebs" kreiert. Andererseits hätten sich Frauen durch die Pille unter Druck gesetzt gefühlt und sich auf Flugzetteln gegen "sozialistischen Bums-Zwang" ausgesprochen.
Heiterkeit macht sich im Hörsaal breit, als Bauer das "Tapp- und Tastkino" an die Wand projiziert, mit dem Valie Export 1968 in Wien für Entsetzen sorgte. Die Aktionistin stülpte sich eine Kartonschachtel über den Oberkörper und forderte Passanten auf, ihre Brüste durch zwei Öffnungen hindurch zu befühlen.
Die Studenten kommen, nach dem Sinn der Aktion befragt, ins Grübeln. "Provokation" meint einer, "Stimulation" ein anderer. Nur eine junge Hörerin weiß es ganz genau: "Es geht um die Konkretisierung des Objektstatus der weiblichen Sexualität."