Knapp 20 Jahre nach Beginn ihres bewaffneten Kampfes gegen die Türkei steht die kurdische Rebellenorganisation PKK vor dem endgültigen Aus. Von der Festnahme ihres Anführers Abdullah Öcalan vor vier Jahren geschwächt, ist die PKK durch den US-Krieg im Irak in eine militärisch ausweglose Lage geraten und verliert auch ihre politische Relevanz.
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Der bisherige Rückzugsraum der PKK im Nordirak wird von den Amerikanern kontrolliert; der Fluchtweg in den Iran ist ihr durch die veränderte Machtkonstellation in der Region versperrt. Auch der politische Boden schwindet der PKK unter den Füßen, seit die Türkei im Rahmen ihrer EU-Reformen zügig die Minderheitenrechte ausweitet. Mit einer weitgehenden Teilamnestie will Ankara die verbliebenen PKK-Kämpfer jetzt aus den Bergen holen. Die von der Amnestie ausgenommene Rebellenführung ruft zum letzten Gefecht, doch die Tage der PKK sind gezählt.
In den nordirakischen Kandil-Bergen lagert die Hauptstreitmacht der PKK, seit sie vor knapp vier Jahren aus der Türkei abziehen musste - von der türkischen Armee nach einem 15-jährigen Krieg weitgehend geschlagen und durch die Gefangennahme ihres Anführers "Apo" demoralisiert. Weil der Nordirak zwischen den beiden Golfkriegen ein rechtsfreier Raum war, konnten die türkisch-kurdischen Rebellen sich dort eine Enklave sichern, von der aus Öcalans Bruder Osman als neuer PKK-Kommandant der Türkei immer wieder mit einem neuen Krieg drohte. Einige Lager unterhielt die PKK auch im Iran, dessen Führung darin ein nützliches Unterpfand in den gespannten Beziehungen zur Türkei sah.
Nun aber ist Schluss mit dieser Gemütlichkeit. Die Amerikaner, die jetzt im Nordirak das Sagen haben, sind auf Terrororganisationen ohnehin nicht gut zu sprechen und darüber hinaus dringend daran interessiert, eine türkische Intervention auf irakischem Gebiet zu vermeiden. Zwei Wochen gaben die US-Kommandanten Mitte Juni den PKK-Einheiten im Nordirak, um ihre schweren Waffen abzuliefern - ein Ultimatum, das diese Woche abläuft. Zwei PKK-Lager in den Kandil-Bergen wurden bereits aufgelöst, der Rest der PKK-Präsenz im Nordirak soll folgen.
Aber wohin? Auch im Iran ist die PKK nicht mehr willkommen, seit Teheran sich dem zunehmenden Druck der USA ausgesetzt sieht und sich deshalb um bessere Beziehungen zum Nachbarn Türkei bemüht. Mitte Juni brachen Kämpfe zwischen iranischen Sicherheitskräften und PKK-Einheiten aus, nachdem der Iran die Rebellen zur Räumung eines Stützpunktes auf seinem Gebiet aufgefordert hatte. Wenige Tage später wurden acht iranische Polizisten bei einem Überfall getötet, der PKK-Kämpfern zugeschrieben wird. Seither toben im Grenzgebiet neue Kämpfe, in die sich auch türkische Einheiten eingeschaltet haben. Auch im Südosten der Türkei selbst ist die türkische Armee aktiv, um eine Infiltration vertriebener PKK-Kämpfer aus dem Nordirak zu verhindern. Selbst in Armenien wurden schon fliehende PKK-Kämpfer gefasst.
Ankara will diese Chance nutzen. Mit einer Teilamnestie, die das Kabinett in dieser Woche dem Parlament vorlegt, sollen die Rebellenkämpfer zum Ausstieg aus der PKK und zur Rückkehr in die türkische Gesellschaft eingeladen werden. PKK-Mitglieder, die keine Gewalttaten begangen haben, sollen demnach straffrei und unbehelligt in ihre Heimatdörfer zurückkehren können. Straffälligen PKK-Kämpfern sollen bis zu drei Viertel ihrer Strafe erlassen und Informantenschutz angeboten werden; ausgenommen sind lediglich hochrangige PKK-Funktionäre. Die von der PKK geforderte Generalamnestie ist das zwar nicht, doch die kann es ohnehin nie geben - dafür haben zu viele türkische Familien ihre Söhne an den Kampf gegen die Rebellen verloren. Das jetzige Amnestiegesetz der Regierung ist immerhin das weitestgehende Angebot, das Ankara der PKK je gemacht hat.
Die PKK-Führung ist entsetzt. Als "Kriegserklärung" bewertete Führungsratsmitglied Murat Karayilan das Amnestieangebot, von dem er selbst ausgenommen ist. Die Rebellenorganisation, die sich letztes Jahr offiziell in KADEK umbenannt und zur politischen Partei erklärt hatte, sieht mit dem Reformprozess in der Türkei ihre letzten Felle davon schwimmen. In einer ganzen Serie von Reformgesetzen hat Ankara in den letzten Monaten die Verbote von kurdischem Sprachunterricht, kurdischen Fernsehsendungen und kurdischen Vornamen aufgehoben und außer den Minderheitenrechten auch die bürgerlichen Freiheiten erheblich ausgeweitet. Im raschen Wandel der Region sind der PKK innerhalb kürzester Zeit sowohl ihre Forderungen an die Türkei als auch ihre Förderer in den Nachbarstaaten abhanden gekommen - nun steht das Ende der Rebellenorganisation bevor.