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Die Zeiten, in denen man von der Verdrängung des Todes in der modernen Gesellschaft sprach, scheinen vorbei. Es ist nicht zuletzt der internationalen Hospizbewegung zu verdanken, dass Sterben, Tod und Trauer heute wieder als Teil des Lebens begriffen werden. Die öffentliche Diskussion kreist um Begriffe wie ein "Sterben in Würde" oder ein "selbstbestimmtes Sterben".
Das jüngste Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), wonach zwar die Tötung auf Verlangen und die Verleitung zur Selbsttötung strafbar bleiben, das ausnahmslose Verbot der Suizidbeihilfe hingegen verfassungswidrig ist, hat eine neue Runde in der Debatte eingeläutet. Will der Gesetzgeber die Möglichkeiten des assistierten Suizids einschränken, um Missbrauch zu verhindern und Menschen schützen, die sich mit Suizidgedanken tragen, aber sozial oder wirtschaftlich unter Druck gesetzt fühlen, bleibt ihm dafür Zeit bis Ende des nächsten Jahres.
Die öffentliche Diskussion sollte sich freilich nicht auf Probleme des Strafrechts und der Versorgungsstrukturen im Bereich von Medizin und Pflege verengen, sondern das Thema einer zeitgemäßen Kultur des Sterbens umfassender in den Blick nehmen. Eine Kernfrage lautet dabei, was Menschen eigentlich unter einem "guten Sterben" verstehen.
In der pluralistischen Gesellschaft von heute, deren Kennzeichen nicht nur der moderne Individualismus, sondern auch eine Vielfalt kultureller, religiöser und weltanschaulicher Prägungen und Überzeugungen ist, gibt es keine gemeinsamen Überzeugungen vom "guten Leben" und vom "guten Sterben", die fraglos von allen Menschen geteilt werden. Das führt zu Verunsicherungen, etwa im Arzt-Patienten-Verhältnis, aber auch bei Angehörigen des Pflegeberufs, wenn sich beispielsweise die Frage stellt, wie man mit Sterbewünschen umgehen soll, die von Patienten oder Bewohnern einer Pflegeeinrichtung geäußert werden. Die Probleme verkomplizieren sich, wenn nicht nur die ethische Einstellung von Sterbenden oder Sterbewilligen, von Ärzten und Pflegenden, von Angehörigen und gesetzlichen Vertretern, sondern auch die Ethik des Krankenhaus- oder Pflegeheimträgers ins Spiel kommt.
Menschenwürde und Autonomie
Schlüsselbegriffe in der Diskussion um die Grenzen der Selbstbestimmung am Lebensende und die unterschiedlichen Formen von Sterbehilfe sind Menschenwürde und Autonomie. Auch der VfGH argumentiert, das Recht umfasse nicht nur das Recht auf die persönliche Lebensgestaltung, sondern auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben, welches das Recht eines Menschen, der sich das Leben nehmen will, einschließt, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten anzunehmen. Sofern die Entscheidung zum Suizid auf der freien Selbstbestimmung des Betroffenen beruhe, sei dies vom Gesetzgeber zu respektieren.
Die Reaktionen auf das Urteil fallen erwartungsgemäß geteilt aus. Während sich die Ärztekammer besorgt und die Katholische Kirche geradezu entsetzt zeigen, feiern die Befürworter einer liberalen Gesetzgebung das Erkenntnis als einen ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zur weitgehenden Freigabe jeder Art von Sterbehilfe. Eine differenzierte Haltung nehmen die Evangelische Kirche und die Diakonie ein. Beide haben bereits in der Vergangenheit für rechtliche Regelungen plädiert, die dem Gewissen Spielraum lassen und für dramatische Ausnahmesituationen die Möglichkeit der Straffreiheit vorsehen. Das sei ein Akt der Barmherzigkeit, der keinesfalls vom uneingeschränkten Grundsatz des Lebensschutzes abweiche. Derzeit macht sich ja schon ein Arzt strafbar, der mit einem Sterbewilligen über Suizidmethoden spricht, von Beihilfe ganz zu schweigen. Oder ein Angehöriger, der einem Patienten die Reise in die Schweiz ermöglicht, wo Suizidbeihilfe erlaubt ist.
Katholische Stimmen gehen mit dem Urteil hart ins Gericht. Vom Kulturbruch ist die Rede. Die Juristin Stefanie Merckens wirft dem VfGH vor, "eine wesentliche Säule des österreichischen Konsenses" in der Frage der Sterbehilfe zerstört zu haben. Mehr noch: Das dem Urteil zu Grunde liegende Rechtsverständnis verkehre "Ursprung und Sinn der Menschenrechte in ihr Gegenteil". Auch in der Slowakei wird Kritik an der österreichischen Entscheidung laut. Die slowakische Bischofskonferenz tadelt das Urteil als schweren Irrtum.
Aus dem Recht auf Leben folgt keine Pflicht zum Leben
Solche Gerichtsschelte ist unangemessen und sachlich nicht gerechtfertigt. Das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung gehört zum Kern des Menschenwürde-Gedankens. Sodann lässt sich argumentieren: Wenn der Versuch der Selbsttötung nicht strafbar ist, kann auch die Mitwirkung daran nicht in jedem Fall strafbar sein. Aus dem Recht auf Leben folgt keine Pflicht zum Leben.
Allerdings wird in der Diskussion um ein selbstbestimmtes Sterben häufig mit einem sehr verengten Autonomiebegriff argumentiert, der die vielfältige Abhängigkeit und Hilfsbedürftigkeit, die zum Menschsein grundlegend dazugehört, an sich schon als Beeinträchtigung der eigenen Würde betrachtet. Uneingeschränkte Autonomie bis zum letzten Atemzug - das ist doch weithin eine Fiktion. Und die abstrakte Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht kann im Ergebnis ebenso wie das uneingeschränkte Verbot der Suizidbeihilfe unbarmherzig sein: dann nämlich, wenn Menschen in ihrer besonderen Verletzlichkeit und Schwäche - Schwerkranke und Lebensmüde - auf sich selbst zurückgeworfen werden. Am Ende muss sich nicht derjenige rechtfertigen, der sein Leben beenden will, sondern derjenige, der von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch macht. Was Sterbende dagegen brauchen, ist unsere Solidarität, nicht die todbringende Spritze.
Die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts durch das VfGH-Erkenntnis kann in seine Schwächung umschlagen, sollte es dem Gesetzgeber nicht gelingen, Maßnahmen gegen den Missbrauch der Suizidbeihilfe zu setzen, die nicht gleich wieder als verfassungswidrig aufgehoben werden. Das dürfte schwierig werden. Der VfGH zieht einen Vergleich zwischen Suizidbeihilfe und Patientenverfügung. Wenn es Patienten erlaubt sei, lebensrettende oder -verlängernde medizinische Behandlung abzulehnen, und Ärzten, im Rahmen palliativmedizinischer Indikationen Maßnahmen zu setzen, die zwecks Linderung schwerster Schmerzen und Qualen sogar den vorzeitigen Tod des Patienten in Kauf nehmen, könne die Suizidbeihilfe nicht ausnahmslos verboten sein.
Wie aber lässt sich sicherstellen, dass auch in Zukunft die Beihilfe zum Suizid grundsätzlich keine ärztliche Aufgabe ist? Wie lässt sich verhindern, dass Suizidbeihilfe zu einer gewerbsmäßigen Tätigkeit wird? Werden Ausnahmeregelungen für Ärzte kodifiziert, dann wird aus Grenzfällen schnell eine routinisierte Praxis mit Qualitätskontrolle und Qualifikationskriterien. Und was ist mit dem Pflegepersonal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen?
Weiterer Ausbau der Palliativmedizin und -pflege
Weitere Fragen stellen sich: Patientenverfügungen können bereits von Jugendlichen ab etwa 14 Jahren errichtet werden. Sollen Jugendliche nun auch das Recht haben, sich mit Hilfe Dritter das Leben zu nehmen? Und weshalb sollte die Suizidbeihilfe überhaupt nur auf schwerkranke Patienten eingeschränkt werden? Warum darf es sie nicht auch im Fall eines Bilanzsuizids geben, wenn jemand lebenssatt oder seines Lebens überdrüssig ist? Wie lässt sich verhindern, dass aus dem Recht auf Inanspruchnahme freiwilliger Suizidbeihilfe irgendwann eine Beistandspflicht des Staates wird? Und wird der Damm gegen die Tötung auf Verlangen auch in Zukunft halten?
Die Bedenken der Kirchen, der Ärztekammer oder auch der Österreichischen Gesellschaft für Palliativmedizin sind durchaus berechtigt. Umso mehr ist auf den weiteren Ausbau der Palliativmedizin und -pflege zu dringen. Auch der VfGH hat betont, dass der Zugang zu Palliativversorgung für alle gewährleistet werden muss. Die weitere Diskussion über menschenwürdiges Sterben und eine Kultur der Solidarität mit den Sterbenden, ihren Angehörigen und jenen, die sie medizinisch und pflegerisch versorgen, darf nicht auf gesetzliche Regelungen der Suizidbeihilfe verengt werden. Ein solcher Tunnelblick wäre für die Sterbekultur und Humanität in unserem Land fatal.