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"Recht auf Rückkehr ist uns heilig"

Von Laura King

Politik

Bethlehem - Manche besitzen noch ihren alten rostigen Schlüssel für ein schon längst zerstörtes Haus. Andere haben zerknitterte Landbesitzurkunden oder ausgebleichte Fotos. Und alle haben Erinnerungen - ihre eigenen oder die, die ihnen als familiäres Andenken vererbt wurden. Jetzt könnten sich die fast vier Millionen Palästina-Flüchtlinge als größtes Hindernis auf dem Weg zum Frieden in Nahost erweisen.


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Ihre Familien flohen während des israelischen Unabhängigkeitskriegs 1948 oder in den Kämpfen danach. Viele wurden auch vertrieben. Seitdem träumen sie von einer Rückkehr in ihre alte Heimat. Und sie sind bereit, für ihre Träume zu kämpfen.

Im Flüchtlingslager Dheisheh am Rande von Bethlehem spricht man schon von einer "Flüchtlings-Intifada", falls der palästinensische Präsident Yasser Arafat auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge nach Israel verzichtet. Im Gegenzug für ein solches Zugeständnis, so schlug US-Präsident Bill Clinton bei seiner jüngsten Vermittlungsinitiative vor, solle Israel die Souveränität über den Tempelberg mit der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem an die Palästinenser abtreten.

Doch viele Flüchtlinge wollen davon nichts wissen. Niemand, nicht einmal Arafat, dürfe ihnen das streitig zu machen, was sie als ihr Geburtsrecht betrachten. "Das Recht auf Rückkehr ist uns heilig", steht auf einer Hauswand in Dheisheh. Rund 11.000 Menschen leben hier, zusammengepfercht auf rund einem halbem Quadratkilometer Fläche. Die Flüchtlingsproblematik ist mit den Jahren immer größer geworden. Nach Angaben der Vereinten Nationen wuchs die Zahl der Flüchtlinge von einer Million im Jahr 1950 bis heute auf das nahezu Vierfache. Die Familie Hamash ist ein typisches Beispiel: Mutter und Vater flüchteten mit zwei kleinen Kindern 1948 aus Israel - heute umfasst die Familie 40 Personen, die alle in Dheisheh leben.

Längst ist aus dem Flüchtlingslager eine Art Stadt geworden, mit Schulen, Läden und Moscheen. Doch die meisten Menschen, die dort leben, werden einzig und allein von der Hoffnung angetrieben, dass alles nur vorübergehend ist.

Israel hat es stets abgelehnt, über eine Rückführung der palästinensischen Flüchtlinge zu diskutieren, die nicht nur in den Autonomiegebieten leben, sondern auch in Libanon, Syrien und Jordanien. Wenn man Millionen arabischer Flüchtlinge repatriiere, so die Argumentation, dann bedrohe das den nationalen Charakter des Staates, in dem fünf Millionen Juden leben. "Wir sind nicht verpflichtet, ihre Träume zu erfüllen", sagte sogar der Chef der linksliberalen Meretz-Partei, Yossi Sarid. Die jüngsten Friedensvorschläge sehen vor, dass Israel lediglich die Rückkehr einer kleinen Anzahl von Flüchtlingen im Rahmen einer Familienzusammenführung erlaubt.

Berichten zufolge könnte den Flüchtlingen ein Verzicht auf die Rückkehr durch massive internationale Hilfen versüßt werden. Demnach sollen Familien finanziell entschädigt oder in Länder umgesiedelt werden, die bereit sind, sie aufzunehmen. Doch die meisten Flüchtlinge lehnen solche Pläne rundweg ab.

Die Wut der Flüchtlinge ist eine ständige Bedrohung für den Friedensprozess. Es ist kein Zufall, dass Kinder aus den Flüchtlingslagern überproportional unter denjenigen vertreten sind, die fast täglich Steine auf israelische Soldaten werfen. Viele von ihnen werden dabei verletzt oder getötet. Hamasch erzählt, er habe seinem 15-jährigen Sohn geraten, sein Leben nicht auf diese Weise wegzuwerfen. "Er sollte warten, bis er etwas älter ist, eine Waffe bekommt und zum Kämpfen ausgebildet wird." Arafat sei schwach und vielleicht mit den Vorschlägen der Amerikaner einverstanden, sagt Hamasch. "Aber meine Söhne werden stark sein und kämpfen, um unser Land zurückzuerobern."