Der künftige Präsdient Lula will Brasilien sozialer machen - doch er muss mt starkem Gegenwend rechnen.
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Das gelb-grüne Dress der brasilianischen Fußballnationalmannschaft war einmal ein Symbol der Einheit. So gespalten und zerstritten das südamerikanische Land sonst auch war, für das Nationalteam begeisterte sich von den abgelegenen Regionen im Amazonas bis zu den Hochhausschluchten in Sao Paulo fast jeder Bürger. Denn die sogenannte Selecao war identitätsstiftend, ist sie doch als fünffacher Weltmeister das erfolgreichste Nationalteam aller Zeiten - und diese Titel wurden mit dem "jogo bonito", dem schönen Spiel, errungen.
Doch mittlerweile ist auch die Landesauswahl Teil der unschönen Auseinandersetzungen der Politik geworden. Denn Brasiliens politische Rechte hat das Dress als Symbol für ihren Patriotismus gekapert. Vor allem die Anhänger des ganz weit rechts stehenden Noch-Präsidenten Jair Bolsonaro versammeln sich regelmäßig in Grün-Gelb.
Starspieler Neymar ist ein Fan von Bolsonaro
Dieser bekommt wiederum Unterstützung vom brasilianischen Starspieler Neymar, der während des Wahlkampfs auf seinen Social-Media-Kanälen, auf denen er Millionen Follower hat, kräftig für den Amtsinhaber mobilisiert hat. Genutzt hat das nichts, die Wahl gewann mit 50,9 Prozent der Stimmen knapp der linke Herausforderer Luiz Ignacio Lula da Silva, der am 1. Jänner das Amt von Bolsonaro übernehmen wird.
"Neymar, jetzt wirst du zahlen", sangen nach der Wahl die Anhänger Lulas - eine Anspielung auf die Anschuldigungen, dass Neymar dem brasilianischen Staat noch jede Menge Steuern schulde, aber Bolsonaro seine schützende Hand über ihn halten würde. Somit steht nun auch das Nationalteam sinnbildlich für die tiefe Spaltung des 214-Millionen-Einwohner-Staates und viele Anhänger Lulas werden die Spiele ihres Teams bei der WM mit gemischten Gefühlen verfolgen.
Zumal Bolsonaro-Anhänger weiter in Team-Dressen gegen die Wahl protestieren und der Ex-Militär seine Niederlage auch noch nicht offen eingestanden hat. Vielmehr versuchte sein Lager nun, das Match um das höchste Amt im Staat vor die Institutionen zu tragen.
Bolsonaros Partei hatte eine Beschwerde gegen das Ergebnis der Präsidentenwahl von Ende Oktober eingelegt. So wollte man erreichen, dass die Ergebnisse einiger elektronischer Wahlmaschinen für ungültig erklärt werden.
Dem Vorstoß wurden von Anfang an wenig Chancen auf Erfolg eingeräumt, und er wurde von den Behörden auch abgewiesen. Doch dem Lager um Bolsonaro ist es damit gelungen, die Diskussionen um die Wahl weiter am Köcheln zu halten.
Der frische gewählte Präsident Lula, der schon zwischen 2003 und 2011 das höchste Amt im Staat innehatte, muss jedenfalls mit breitem Widerstand rechnen, der seine Vorhaben hintertreiben und das Land paralysieren kann. Wie weit zu gehen sie bereit sind, zeigten Lkw-Fahrer aus dem Bolsonaro-Lager schon kurz nach der Wahl, als sie Straßen im ganzen Land blockierten. Allerdings hat damals Bolsonaro selbst zu einem Ende der Blockaden aufgerufen. Er bleibt aber unberechenbar und hustet seine Anhänger bei anderen Gelegenheiten regelmäßig auf.
Soziale Frage war entscheidend
Lula will jedenfalls eine Kehrtwende in der brasilianischen Politik einläuten. "Der Hauptgrund, warum sich eine Mehrheit für ihn entschied, war die soziale Situation im Land", analysierte die Sozialwissenschaftlerin von der Universität Sao Paulo Natalia Suzuki am Mittwoch bei einem von der "Informationsstelle für Journalismus & Entwicklungspolitik" organisierten Hintergrundgespräch. So sind mehr als zehn Prozent der Bevölkerung arbeitslos und unter Bolsonaro ist der Hunger in das Land zurückgekehrt, der am Ende der ersten Lula-Präsidentschaft als besiegt galt.
Doch Lula wird es diesmal ungleich schwieriger haben, seine Sozialprogramme umzusetzen, als dies zwischen 2003 und 2011 der Fall war. Nicht nur übernimmt er ein Land im Abschwung, das wie so viele andere die schwierige weltwirtschaftliche Lage zu spüren bekommt. Darüber hinaus ist er auch mit einer konservativen Mehrheit im Kongress konfrontiert, mit der er Kompromisse finden muss.
Diese Mehrheit wird aber wohl kaum ein Gesetz rückgängig machen, das ein besonderes Hindernis für Lula darstellt. Dieses beschränkt öffentliche Sozialausgaben. Lediglich eine Anpassung der Ausgaben an die Inflation darf vorgenommen werden.
Lula muss zerstörte Strukturen wieder aufbauen
Suzuki verweist noch auf einen weiteren Punkt, der Lulas Präsidentschaft schwierig macht: Er müsse Strukturen wieder aufbauen, die unter Bolsonaro zerstört wurden. Das zeigt sich etwa beim Thema Zwangsarbeit. Diese ist in Brasilien noch immer weit verbreitet, wenn etwa Hausangestellte kein Gehalt bekommen oder auf großen Farmen Arbeiter, die kaum ihre Rechte kennen und bitterer Armut entstammen, wie Leibeigene gehalten werden.
Suzuki ist als Koordinatorin des "Slavery no way!"-Programms der NGO Reporter Brasil in diesem Bereich selbst engagiert. Und sie berichtet, dass er unter Bolsonaro ausgetrocknet wurde. Das Arbeitsministerium wurde zeitweise aufgelöst, das Budget für Inspektionen um 40 Prozent gekürzt. "Vielen Beschwerden wegen Zwangsarbeit kann überhaupt nicht mehr nachgegangen werden. Denn es gibt einen großen Mangel an Ressourcen - es fehlt an Personal, Geld und Infrastruktur", berichtet sie.
Das wieder aufzubauen, wird Jahre dauern. Das gilt auch für andere Felder der Sozialpolitik, die unter Bolsonaro massiv beschränkt wurden. Die Frage ist aber, wie geduldig die Wähler sein werden, die große Hoffnung in Lula gesetzt haben - oder ob sich nicht schnell Enttäuschung breit macht.