Die "Alternative für Deutschland" steht nach der Sachsen-Wahl nun vor dem souveränen Einzug in die Landtage von Thüringen und Brandenburg. Warum sie reüssiert, und wie die AfD Angela Merkels CDU in Bedrängnis bringt.
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Erfurt/Potsdam/Wien. Nach der Wahl ist vor der Wahl, zumindest bei der "Alternative für Deutschland" (AfD). Die erst 2013 gegründete Partei surft auf der Euphoriewelle, seitdem sie vor zwei Wochen mit knapp zehn Prozent fulminant den Sprung in den sächsischen Landtag geschafft hat. Und laut Umfragen folgt bei den Sonntag stattfindenden Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen die Fortsetzung. Dort kann die AfD mit neun bzw. sieben Prozent rechnen.
Die AfD wirbelt mit ihren Erfolgen das Parteiengefüge kräftig durcheinander, und sie polarisiert. Den Wahlkampf in Sachsen führte sie mit populistischen Forderungen wie jenem nach Volksabstimmungen über Moscheebauten mit Minaretten. Der Thüringer Spitzenkandidat Björn Höcke und sein Kollege in Brandenburg, Alexander Gauland, schlagen in ihren Wahlprogrammen zwar moderatere Töne an. Bei Wahlkampfveranstaltungen kommt Gauland aber nicht umhin, süffisant seinem Publikum zu beschreiben, wie er Pläne für ein 1000 Personen fassendes Asylbewerberheim in einer Gemeinde mit 9000 Einwohnern aufgedeckt habe. Die Anwesenden verstehen die Botschaft dahinter.
40 Jahre CDU sind genug
Mehr als 40 Jahre war der Publizist Gauland Mitglied der konservativen CDU. Biografien wie seine veranschaulichen, warum die AfD Erfolg hat. Gestartet als einzige Partei, die den Euro-Rettungskurs der Kanzlerin und die Gemeinschaftswährung offen ablehnt, besetzt die AfD mittlerweile konsequent Themen, die die CDU in den vergangenen Jahren unter Angela Merkel aufgegeben hat. Sie propagiert zum Beispiel ein traditionelles Familienbild und ist gegen Ganztagsschulen. Auch bei der FDP, die 2013 aus dem Bundestag geflogen ist, wildert die "Alternative für Deutschland" und lockt deren Stammwähler mit konsequentem Marktliberalismus - während die neu formierte FDP davon abrückt. Dazu kommen als dritter Erfolgsfaktor die Protestwähler und die sogenannten Modernisierungsverlierer.
"Die AfD ist keine offen rechtspopulistische Partei", analysiert Carsten Koschmieder im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Sie müsse sich glaubhaft nach rechts abgrenzen, um für die anderen Parteien paktfähig zu sein, sagt der Politikwissenschafter von der Freien Universität Berlin. Gleichzeitig erfolge ein unterschwelliges Locken: "Als sich der frühere Fußball-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger im Sommer als homosexuell outete, kritisierte AfD-Chef Bernd Lucke, das Thema erhalte zu viel Aufmerksamkeit. Stattdessen sollte man mehr über Familien reden. Die Homo-Lobby hat zu viel Einfluss, war Luckes implizite Botschaft", erklärt Politikwissenschafter Koschmieder.
In einem Dreieck von Nationalismus, Autoritarismus und Marktliberalismus verortet der linke Berliner Politikprofessor Richard Stöss die AfD. Ihr Kurs kommt im Osten des Landes deutlich besser an als im Westen. Bei der Bundestagswahl 2013 verfehlte sie insgesamt noch knapp den Einzug in das Parlament, 4,4 Prozent der Stimmen im Westen standen aber bereits 5,8 Prozent im Osten gegenüber. Bei der Europawahl im Mai waren es bundesweit beachtliche 7,1 Prozent, in Sachsen gar mehr als zehn Prozent. "Im Osten ist das Potenzial an Protestwählern größer und die Bindungen an die Parteien sind schwächer als im Westen, sagt Experte Koschmieder. Überwiegend verunsicherte und um ihren Job bangende junge Männer würden sich in Protestgruppierungen engagieren. Junge, gut ausgebildete Frauen zögen dagegen vermehrt aus dem Osten, was den Druck auf die zurückgebliebenen Männer wiederum erhöhe.
Vom Abstieg Bedrohte
Ein detaillierter Blick auf die Wahl in Sachsen belegt diese Thesen: 16 Prozent der 18- bis 24-jährigen Männer wählten vor zwei Wochen die AfD; insgesamt waren es "nur" 9,7 Prozent. Und ganze 46 Prozent der AfD-Wähler in Sachsen behaupten von sich, sie seien Verlierer der gesellschaftlichen Entwicklung. Zum Vergleich: Bei der CDU sind es lediglich 13 Prozent, bei der SPD 18, dann folgen die Grünen mit 27 Prozent. Kein Zufall ist, dass Wähler der Linkspartei mit 30 Prozent der AfD am nächsten kommen. Auch die Linke setzt auf die Stimmen der Verunsicherten wie ebenso am ganz rechten Rand die NPD.
Bei der konservativen CDU macht sich angesichts der Erfolge der AfD Unruhe breit. Ständig wiederholt Kanzlerin Merkel dieser Tage, dass nur 23 Prozent der AfD-Wähler in Sachsen vier Jahre zuvor der Union ihre Stimme gegeben haben. Zwar stimmt, dass die Eurogegner aus jedem Lager Wähler locken konnten. Doch sprechen die Botschaften der AfD Teilen der konservativen Basis aus der Seele. Merkel mag zwar drei Bundestagswahlen für die CDU gewonnen haben (2005, 2009 und 2013), geliebt wurde "Angie" von den Funktionären nie. Das Horrorszenario der Union wäre die AfD als dauerhafter Rivale rechts von ihr, ähnlich wie sich die SPD seit Jahren mit der Linkspartei abmüht. Politikwissenschafter Koschmieder gibt der AfD Chancen, sich dauerhaft zu etablieren: "Sie müsste die Protestwähler, die sich früher oder später verabschieden könnten, durch weiteren Zuwachs bei Konservativen und Marktliberalen kompensieren."
Von einer Koalition mit der AfD will die CDU nichts wissen. In Sachsen bestünde die Chance dazu, der dortige Parteichef und Ministerpräsident Stanislaw Tillich wollte sich die Option zumindest offenlassen, wurde aber aus Berlin zurückgepfiffen. Die Union geht damit einen Schritt weiter als die SPD. Sie koalierte in mehreren ostdeutschen Bundesländern mit der Linkspartei, sagte aber Nein zu einem Bund im Bund. Nach der erneuten Wahlniederlage gegen Merkel 2013 gab die SPD auch diese Position auf. Sollte sich die AfD längerfristig etablieren, bleibt abzuwarten, wie lange die Ablehnung von CDU/CSU hält. Denn auf Landesebene fiele die Euro-Gegnerschaft der Alternative für Deutschland weniger ins Gewicht.
Griff in die Mottenkiste
Die Sozialdemokraten sind derzeit auffällig ruhig und sehen sich die Probleme der Union erste Reihe fußfrei an. Zu erwarten ist, dass die CDU in der Diktion nach rechts driften wird. Sie könnte auch betont konservative Personen, die in den vergangenen Jahren ein Hintergrunddasein fristeten, aus der parteiinternen Mottenkiste holen. So hat es die CSU bereits mit ihrem Vize Peter Gauweiler vorexerziert. Experte Koschmieder kann sich insbesondere beim Familienbild eine - zumindest rhetorische - Trendwende in der Union vorstellen, etwa bei Homo-Ehe und Adoptionsrecht für Homosexuelle. Ein Konzept gegen den Aufschwung der AfD steht aber aus.