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"Rechtliches Nichts" als Wegweiser durch die Steuergesetze?

Von Alfred Abel

Wirtschaft

"Das gibt wieder jede Menge Verordnungen und Erlässe!" · Der Kommentator bei der Präsentation des Steuerreformprogramms 2000, vergangenen Dienstag im Bundeskanzleramt, war offenbar vom Fach. Die | kommende Reform, für die nun ein umfassendes Abgabenänderungsgesetz gezimmert werden muß, wird zu ihrer praktischen Durchführung zahlreicher Erläuterungen und Orientierungshilfen bedürfen, um für den | Steuerzahler verständlich und für die Verwaltung vollziehbar zu sein. Just in der Zeit ist in Fachkreisen eine heftige Diskussion um die Rechtsqualität der Finanzerlässe losgebrochen.


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Der hierarchische Aufbau der Finanzverwaltung erlaubt es, daß die Oberbehörden immer wieder versuchen, den Unterbehörden bei der Auslegung von Gesetzen und/oder Rechtsproblemen eine Marschrichtung

vorzugeben. Jedes Jahr werden dazu im Finanzamtsblatt etwa 300 Erlässe veröffentlicht, die bestehende Steuergesetze erläutern, interpretieren oder einschränken. Es gibt sogar solche, die bestehende

Normen "umdeuten" oder gar künftige gesetzliche Maßnahmen zeitlich vorwegnehmen.

Kritik an

Geheimerlässen

Neben den veröffentlichten Erlässen bleiben aber viele weitere "geheim", werden also nicht veröffentlicht, finden höchstens gelegentlich durch Indiskretionen oder (erkennbar) durch Fachaufsätze

der Autoren ihren Weg zu den Steuerzahlern.

In jüngster Zeit haben vor allem die drei (bisher geheimen) Schifahrer-Erlässe die Öffentlichkeit irritiert, weil sie vorgeblich nur einem privilegierten Nutzer-Kreis zugute kamen. Umsatzsteuerliche

Erlässe oder der Erlaß über die steuerliche Behandlung von Verschmelzungsverlusten wurden wegen ihrer "einseitigen" Zugänglichkeit kritisiert und sogar zum Gegenstand parlamentarischer Anfragen an

den Finanzminister gemacht.

Auch die für breite Kreise der Bevölkerung ungemein wichtigen neuen Lohnsteuerrichtlinien wurden "nur" als Erlaß kundgemacht · und somit eigentlich als Rechtsstütze den Lohnsteuerzahlern entzogen.

Unverbindliche

Richtlinien

Denn die Erlässe sind ein "rechtliches Nichts". Sie sind unverbindlich, dürfen nirgends offiziell zitiert werden und geben den Steuerzahlern keinerlei Rechte. Sie stellen behördenintern zwar

Dienstanweisungen vom Oberstock an die Unteretage dar, aber es sind keine Weisungen im Sinne des Beamtendienstrechts.

"Mangels Weisungscharakter der als unverbindlich bezeichneten Erlässe gehört deren Beachtung nicht zu den Dienstpflichten des Beamten", heißt es in einer Anfragebeantwortung des Finanzministers. Bei

Nichtbeachtung eines ministeriellen Erlasses wäre zwar eine Aufsichtsbeschwerde seitens des Steuerzahlers möglich, ob sie zielführend ist, bleibt indessen fraglich.

Von den Höchstgerichten

negiert

Ähnliches gilt auch vor den Höchstgerichten. Für den Verwaltungsgerichtshof ist ein Erlaß Schall und Rauch, weil er nicht im Bundesgesetzblatt veröffentlicht ist; jede Berufung auf einen Erlaß

wird daher von den Höchstrichtern überhört. Für den Verfassungsgerichtshof gelten verbindlich formulierte Erlässe zwar als Rechtsverordnungen, weil sie aber nicht im Gesetzblatt stehen, werden sie

von ihm alsogleich aufgehoben. Weshalb die Finanzverwaltung ihre Erlässe stets vorsorglich als unverbindlich erklärt.

Vorschläge der

Steuerreformer

Angesichts der zahlreichen Richtlinien und Durchführungsbestimmungen zu den wichtigen steuerlichen Grundgesetzen, wie Einkommen- und Umsatzsteuer, zur steuerlichen Gewinnermittlungstechnik und zu

Kapitalertragsteuerfragen, die allesamt als "unverbindliche", wenngleich in der Praxis unentbehrliche Erlässe herausgegeben wurden, kam die Frage nach der Rechtsqualität solcher Orientierungshilfen

eigentlich nicht überraschend.

Für verbesserte

Publizität

So kritisierte die Steuerreformkommission vor allem die mangelnde Bindungswirkung der Erlässe und die mangelnde rechtliche Faßbarkeit dieser "Rechtsbehelfe". Und sie empfiehlt dem Finanzminister

generell, die Rechtsmeinungen des Hauses künftig verstärkt in Form von Verordnungen festzuschreiben. Außerdem regt sie an, die Erlässe und die Rechtsauskünfte des Ministeriums in möglichst

transparenter Weise zugänglich zu machen.

"Und viel früher zu veröffentlichen!", ergänzt Franz Burkert vom Bund Österreichischer Steuerzahler. "Da die Formulierer der Gesetzestexte und die Formulierer der Erlässe meistens die gleichen

Fachbeamten sind, spricht doch nichts dagegen, die notwendigen Erlässe unmittelbar nach der Gesetzeskundmachung zu veröffentlichen!"

In einer ausführlichen parlamentarischen Anfragebeantwortung bestätigt der Finanzminister die unbefriedigende Situation am Erlaßsektor, kann sich aber auch nicht mit einer verstärkten ersatzweisen

Verordnungspraxis anfreunden; dies nicht nur, weil ihm dazu die personellen Ressourcen fehlen, sondern auch, weil er dadurch häufigere Friktionen mit den Höchstgerichten befürchtet.

Dennoch will der Minister die Anregungen der Steuerreformkommission aufgreifen und die Veröffentlichungspraxis der Finanzverwaltung verbessern.

Steuerdokumentation

in Vorbereitung

Diesem Zweck soll vor allem das inzwischen in Auftrag gegebene Projekt einer Steuererlaß-Dokumentation dienen, die es allen Interessierten ermöglichen wird, auf Erlässe des Finanzministeriums

zuzugreifen.

Im Zuge des Aufbaues dieser allgemeinen Steuerdokumentation sind weiters Überlegungen im Gange, auch eine Rückwärtserfassung von Erlässen und Rechtsmeinungen des Finanzministeriums vorzusehen, die

dann gleichfalls allgemein zugänglich wären. Der Umfang dieser Rückwärtserfassung muß allerdings noch mit den personellen Kapazitäten der Finanzverwaltung abgestimmt werden, dämpft der Minister allzu

rasche Erwartungen.