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Rechtsaußen baut ein Kartenhaus

Von Alexander Dworzak, Alexander U. Mathé und Martyna Czarnowska

Politik

FPÖ, Front National und Co. gründen eine Fraktion im EU-Parlament.


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Brüssel/Paris/Wien. Zeit ist in der Politik ein dehnbarer Begriff. Dass es aber so lange dauern würde, hätte die FPÖ samt ihren Mitstreitern wohl nicht zu alpträumen gewagt. Schließlich sagte bereits im Jahr 2004 Andreas Mölzer nach seinem Einzug in das Europaparlament, man sei auf gutem Weg bei der Bildung einer Fraktion in Brüssel und Straßburg. Mölzer ist längst politische Geschichte, er stolperte über seine Äußerungen zum "Negerkonglomerat" EU. Also machte sich sein Nachfolger Harald Vilimsky ans Werk, eine tragfähige Allianz zwischen Rechtspopulisten und Rechtsextremen in der Union zu schmieden. "Aufgeschoben ist nicht aufgehoben", schrieb er vor fast genau einem Jahr im Kurznachrichtendienst Twitter.

Am Dienstag blickt Vilimsky freudestrahlend mit Marine Le Pen und Geert Wilders in die Kameras. Der dunkle Raum ohne Tageslicht im Brüsseler Parlamentsgebäude ist grell erleuchtet vom Blitzlichtgewitter der Journalisten. Dort feixt Vilimsky, der neben seinem EU-Abgeordnetenmandat noch immer FPÖ-Generalsekretär ist, mit der Chefin der französischen Front National (FN) und deren niederländischem Amtskollegen von der Partij voor de Vrijheid (PVV). Die drei sind am Ziel, geben den Zusammenschluss zur Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" bekannt.

36 Mandatare umfasst die neue Gruppierung, wesentlich mehr als jene 25, die für die Bildung einer Fraktion notwendig sind. Dieses Kriterium war nie das Problem. Doch müssen die Abgeordneten aus mindestens sieben unterschiedlichen Mitgliedsstaaten kommen. Mit der FPÖ, dem Front National und der PVV sind sowohl der belgische Vlaams Belang als auch die italienische Lega Nord seit Jahren verbündet. Fehlten also noch zwei weitere Länder. Dank der Britin Janice Atkinson sowie den Polen Michal Marusik und Stanislaw Zoltek erreicht Rechtsaußen nun Fraktionsstärke.

Zwei unbekannte Polen und eine hinausgeworfene Britin

Beide Polen sind Politiker der Partei Kongress der Neuen Rechten (KNP). Schon kurz nach der Europawahl 2014 stand eine Partnerschaft mit dem KNP im Raum, scheitere aber an Janusz Korwin-Mikke. Das Enfant terrible der polnischen Politik lehnt das Wahlrecht für Frauen ab und sagt Sätze wie: "Die Ermordung von Millionen Menschen war kein Ziel Hitlers." Vor Korwin-Mikke schreckten FPÖ und Co. zurück. Doch zwischenzeitlich hat er die KNP verlassen und eine neue Partei gegründet. Die neue Rechtsfraktion hofft daher, mit den beiden weitgehend unbekannten Abgeordneten der KNP leichteres Spiel zu haben.

Ein politisches Schwergewicht ist auch Janice Atkinson nicht - und das, obwohl sie auf der Liste der UK Independence Party bei der Europawahl 2014 auf dem zweiten Listenplatz stand; vor ihr lag nur Parteichef Nigel Farage. Schlagzeilen machte die 52-Jährige erst im März dieses Jahres, als sie aus der Ukip flog. Die Boulevardzeitung "The Sun" zitierte aus einem Video, in dem eine Mitarbeiterin Atkinsons nach einer Feier für Parteikollegen in einem Restaurant um eine höhere Rechnung gefragt habe, um das EU-Parlament um den Differenzbetrag zu prellen.

Warum "Europa der Nationen und der Freiheit" dennoch nicht auf Personen wie Atkinson verzichten kann? Weil sonst niemand bei der Rechtsaußen-Gruppierung anstreifen möchte. Faschistische Bewegungen wie die Goldene Morgenröte aus Griechenland oder die ungarische Jobbik kommen schon alleine aus Imagegründen nicht infrage. Und rechts der Mitte gibt es gleich mehrere Fraktionen im EU-Parlament. Dazu zählen die "Europäischen Konservativen und Reformer" (ECR) unter der Führung der britischen Konservativen. Dort hat die "Partei der Finnen" angedockt. Sie war einst ebenso im Gespräch, mit der FPÖ eine Fraktion zu bilden wie die Schwedendemokraten; diese wiederum entschieden sich für die Fraktion "Europa der Freiheit und der direkten Demokratie" (EFDD), die von Ukip dominiert wird.

In Brüssel und Straßburg sind damit acht Fraktionen im 751-köpfigen Parlament vertreten: die Europäische Volkspartei sowie weiter rechts ECR, EFDD und die neue Gruppierung, sozialdemokratische S&D, liberale Alde, "Vereinte Europäische Linke" und die Grünen.

Mit den zwei neuen Partnern aus Polen und Großbritannien liefert sich "Europa der Nationen und der Freiheit" ihnen aus. Zwar bezeichnete Atkinson Marine Le Pen als ihre politische Vorbildfigur neben Margaret Thatcher. Sollte die frühere Ukip-Politikerin die Lust verlieren und aussteigen, sprengt die aufgrund der Sieben-Nationen-Regel die ganze Fraktion. Das politische Erpressungspotenzial ist daher enorm hoch: Die Rechtsparteien bilden ein Kartenhaus, das jederzeit einstürzen kann.

Doch zu verführerisch sind schlicht die Summen, welche die Bildung einer Fraktion einbringt. Laut einer Berechnung des Think Tank "Open Europe" stünden "Europa der Nationen und der Freiheit" in den kommenden vier Jahren der Legislaturperiode 17,5 Millionen Euro an öffentlichen Geldern zu, wenn sie noch zwei Abgeordnete für sich gewinnt.

Für einen derartigen Betrag nimmt man auch gerne ideologische Differenzen in Kauf. Wirtschaftspolitisch fährt etwa die niederländische PVV einen liberalen Kurs, während FPÖ und Front National protektionistisch sind. Gemeinsam haben sie dafür wiederum, dass sich die Eurozone in Luft auflösen soll. Spannungen gab es auch bei der Frage der Russophilie: So erhält die Front National von russischen Banken Kredite über 40 Millionen Euro und auch die FPÖ pflegt ausgezeichnete Beziehungen nach Moskau. Wilders’ Partei wetterte hingegen nach dem Abschuss der Malaysia-Airlines-Boeing über der Ostukraine vergangenen Juli: 192 der 298 verstorbenen Passagiere waren niederländische Staatsbürger. Erst einige Monate später verbesserte sich das Klima zwischen FN und PVV wieder.

Mäßigung im Ton, aber weiter ausländer- und islamfeindlich

An der programmatischen Ausrichtung des KNP, dem nun EU-Parlamentarier Michal Marusik vorsitzt, hat sich seit dem Abschied des umstrittenen Korwin-Mikke nur wenig geändert. In weltanschaulichen Belangen konservativ, in der Wirtschaftspolitik liberal - das ist die Maxime der Gruppierung. Ähnlich wie ihre künftigen Fraktionskollegen im EU-Parlament unterstreichen Marusik und Zoltek ihre Skepsis gegenüber dem "derzeitigen Status der Europäischen Union" und lehnen deren "Dominanz" ab. Vielmehr sollten die Kompetenzen in die Mitgliedstaaten zurückverlagert werden.

Ausländerfeindlichkeit und Vorurteile gegenüber Muslimen sind und bleiben das ideologische Rückgrat zwischen den Partnern von "Europa der Nationen und der Freiheit". Dazu mag Neuzugang Atkinson gut passen, die eine aus Thailand stammende Unterstützerin als "Ting Tong von irgendwo" bezeichnete. Gleichzeitig bemüht sich insbesondere die Front National um einen moderaten rhetorischen Anstrich.

Das mag auch der Grund sein, warum die EU-Abgeordneten der FN nicht geschlossen der neuen Fraktion beitreten. Drei Namen fehlen: Aymeric Chauprade, Bruno Gollnisch und Jean-Marie Le Pen. Bei Ersterem dürfte es sich noch um ein Versehen handeln. Chauprade sei unterwegs, was dazu geführt habe, dass er auf der Liste der Fraktionsmitglieder nicht aufscheine, erklärte eine FN-Sprecherin gegenüber der "Wiener Zeitung". Dafür spricht auch eine Glückwunsch-Nachricht des Geostrategen an Ludovic Dedanne, den außenpolitischen Berater der Partei, der maßgeblich zur Gründung der neuen Fraktion beigetragen haben soll.

Jean-Marie Le Pen bleibt der Fraktion fern

Kein Irrtum ist hingegen das Fehlen von Le Pen und Gollnisch, wie die Parteisprecherin bestätigte. Die Abgeordneten waren für eine Stellungnahme nicht erreichbar, während man offenbar in der Partei selbst darüber rätselt, warum die beiden sich verweigern. Der Streit Jean-Marie Le Pens mit seiner Tochter - die letztlich die Aussetzung der Parteimitgliedschaft des Parteigründers vorantrieb - könnte eine Erklärung sein. Die wiederholten rassistischen und antisemitischen Ausfälle Jean-Maries standen zu sehr in Kontrast zum Kurs seiner Tochter.

Bruno Gollnisch wiederum zählt zu einem der ältesten Vertrauten von Jean-Marie Le Pen und war sogar als dessen Nachfolger an der Parteispitze vorgesehen, bevor Marine diese ergatterte. Er gilt so wie Jean-Marie Le Pen als Rechtsaußen der Partei und wird von antisemitischen Kreisen gestützt. Im August 2005 sorgte Gollnisch auf einer Parteiveranstaltung der FN für Aufregung, nachdem er Antirassismus als geistiges "geistiges Aids" bezeichnet hatte.

Offensichtlich ist, dass weder Jean-Marie Le Pen noch Bruno Gollnisch zur Abgrenzung gegenüber Rechtsextremen wie beispielsweise der Goldenen Morgenröte passen will, die Marine Le Pen mit "Europa der Nationen und der Freiheit" vorschwebt. Angesichts des wackligen EU-Bündnisses ist Jean-Marie Le Pen derzeit aber das geringere Problem für seine Tochter. Wetten, wie schnell die Fraktion zerbricht, sollen in Brüssel bereits entgegengenommen werden.