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Rechtschreibreform: Kein Bedarf an deutscher Gründlichkeit

Von Hans Pechar

Politik

Die Rechtschreibreform wurde am 1. August 1999 eingeführt - nach langjährigen Beratungen und mit vielen Kompromissen. Nun will die CDU/CSU in Deutschland - gemeinsam mit dem Süddeutschen Verlag und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung - die Rechtschreibreform kippen.


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Man hätte das Sommerloch ja auch mit harmlosem Unsinn füllen können. Aber einigen deutschen Medien geht es um Höheres, sie wollen die Rechtschreibreform kippen, und das ist nicht harmlos sondern ärgerlich. Dass sich die alte Tante FAZ seit Jahren in der sprachfundamentalistischen Pose gefällt, hat niemanden gestört. Dass sie nun Schützenhilfe von der "Bild"-Zeitung erhält, dem Zentralorgan des sekundären Analphabetismus, verleiht dem bildungsbürgerlichen Eifer eine gewisse Pikanterie. Problematisch sind aber die bildungspolitischen Implikationen dieser Profilierungshysterie.

Was sind die Argumente der Gegenreformer? Die neue Rechtschreibung sei mit ungeheurem Umstellungsaufwand verbunden und habe die Menschen verwirrt. Aber erstens ist die Umstellung großteils bereits erfolgt und eine Rückkehr zum Status quo ante würde den Aufwand erhöhen. Und verwirrt sind vor allem ältere Menschen, die auch den Abschied von der bewährten DM noch nicht verkraftet haben. Wann wird die FAZ aufhören, ihren Preis in Euro anzugeben?

Wirklich dreist ist das Argument, die Reform sei nicht konsequent genug. Es kommt von denselben Leuten, die jahrelang eine radikalere Reform (z.B. Kleinschreibung) torpediert haben. Nun wollen sie mit dem Hinweis auf die Halbherzigkeit auch den mühsam errungenen Kompromiss zu Fall bringen.

Das Hauptargument der Reformer kommt aus der Bildungspolitik: ein in sich unschlüssiges Regelsystem mit vielen Ausnahmen soll so verändert werden, dass es sich mit weniger Mühe lernen lässt. Davon profitieren alle, am meisten die Schulversager, von denen nicht wenige an den Hürden der Rechtschreibung scheitern. Hat man schon PISA vergessen, wo das Land der Dichter und Denker katastrophal abgeschnitten hat? (Auch Österreich hat, nebenbei, nicht gut abgeschnitten, nur besser als Deutschland; das ist durch die höheren Bildungsausgaben zu erklären.) In kaum einem anderen Land lesen die 15jährigen so schlecht, so wenig und so ungern. Das hat eine Reihe von Gründen, aber der Umstand, dass die Rechtschreibung im Deutschen viel schwerer zu erlernen ist als bei anderen Sprachen, ist nicht gering zu gewichten. Wie ein deutscher Bildungsexperte feststellte: "Der Weg in die Sprachlosigkeit führt über eine intensive Pflege der Rechtschreibung".

Das war immer schon schlimm, denn die Sprachlosigkeit geht mit schlechtem sozialen Status und geringer Lebensqualität einher. Aber früher entstand kein ökonomischer Engpass, denn die alte Industriegesellschaft benötigte viele Arbeitskräfte, deren Sprachkompetenz nebensächlich war. In der Wissensgesellschaft gilt das nicht mehr. Die fortgeschrittenen OECD Länder können das erreichte Wohlstandsniveau nur halten, wenn ein wachsender Teil der Altersgruppe hohe kognitive Fähigkeiten ausbildet. Die Rechtschreibreform hilft, dafür den Kopf frei zu machen.

Die Gralshüter der deutschen Sprache kümmert das nicht. Die FAZ begnügt sich mit den wenigen Lesern, die bei PISA die höchste Kompetenzstufe erreicht haben. Und der "Bild"- Zeitung bleiben ihre sekundären Analphabeten erhalten, ohne die sie wohl vom Markt verschwinden würde.

Ao. Univ.-Prof. Dr. Hans Pechar leitet die Abteilung Hochschulforschung an der IFF (Universität Klagenfurt)