Politikerinnen und eine Kabarettistin wurden vom "NSU 2.0" bedroht, ihre Daten von Polizeicomputern im deutschen Bundesland abgerufen.
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Wiesbaden/Wien. Für neun Morde steht der Nationalsozialistische Untergrund (NSU). Die neonazistische Gruppe tötete in den Nullerjahren acht türkischstämmige Deutsche, eine griechischstämmige Person und eine Polizistin ohne Migrationshintergrund. Über Jahre blieben die Taten unaufgeklärt. Das Behördenversagen ist Teil dieses dunklen Flecks in der Geschichte der Bundesrepublik.
In diese Wunden stoßen jene Personen gezielt, die seit zwei Jahren unter dem Namen "NSU 2.0" Drohschreiben versenden. Das erste ging an die Juristin Seda Basay-Yildiz, sie trat im NSU-Prozess als Anwältin der Hinterbliebenen eines Mordopfers auf. Seit vergangener Woche haben vier Politikerinnen der Linkspartei Drohungen erhalten: die hessische Fraktionsvorsitzende Janine Wissler, die Bundestagsabgeordneten Martina Renner und Helin Evrim Sommer sowie Anne Helm aus dem Berliner Landesparlament. Auch die Kabarettistin Idil Baydar ist zuletzt bedroht worden.
Die Erklärungsnot der Behörden ist groß, denn die Verfassungsfeinde scheinen von innen zu kommen. Personendaten von einem Teil der Betroffenen wurden unerlaubt von Polizeicomputern in Hessen abgerufen. Diesen politisch brisanten Umstand gab Polizeipräsident Udo Münch über Monate nicht an den hessischen Innenminister Peter Beuth weiter. Am Dienstag musste Münch zurücktreten. Beuth gestand ein, dass es möglicherweise ein rechtsextremes Netzwerk gebe.
Ausgerechnet Hessen, wo im vergangenen Sommer der leitende Beamte Walter Lübcke (CDU) mutmaßlich von einem Rechtsextremen ermordet wurde.
In Deutschland wird daher wieder über den Einfluss von Rechtsaußen debattiert: "In den letzten Monaten häufen sich die Hinweise auf rechtsextreme und gewaltbereite Täter und Netzwerke in den Reihen der Sicherheitsbehörden", sagte SPD-Vorsitzende Saskia Esken zur Funke Mediengruppe. Es handle sich "nicht um bedauerliche Einzelfälle". Die Sozialdemokratin ortet "ein Alarmzeichen" für die Politik, "jetzt endlich konsequent zu handeln". Innenminister Horst Seehofer (CSU) kündigte einen Bericht zu möglichen rechtsextremistischen Tendenzen bei den Sicherheitsbehörden im September an.
Vermischung zweier Debatten
Dabei überschneidet sich die Debatte mit der Diskussion um vermeintlich rassistische Polizeikontrollen, wenn Personen lediglich aufgrund ihrer Hautfarbe oder anderer sichtbarer Merkmale angehalten werden. Die SPD fordert eine Studie zum sogenannten Racial Profiling. "Jetzt nicht", sagte Minister Seehofer, "wir haben kein strukturelles Problem diesbezüglich." Seehofer verwahrt sich gegen ständige Kritik an der Polizei. Sein Sprecher gestand jedoch Einzelfälle von Racial Profiling ein.
Wieder einmal hat Seehofer den Kurs abrupt gewechselt. Noch im März stellte die Rassismus-Kommission des Europarats fest, in Deutschland könnte es ein "substanzielles Problem" mit Racial Profiling geben. Sie regte eine Studie zum Thema an, Innen- und Justizministerium in Berlin stellten eine Untersuchung auch in Aussicht. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) macht sich weiter für die Studie stark, ebenso wie die konservative Integrationsbeauftragte der Regierung, Annette Widmann-Mauz, und der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler: "Wir wissen nicht, was sich wo im Detail abspielt", sagte er. Wissenschafter sollten Substanz in beide Diskussion bringen.
Rechtsextremismus beschränkt sich aber nicht auf die Polizei. Erst Ende Juni kündigte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer daher an, dass eine Kompanie der Elitetruppe KSK aufgelöst wird.