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Gerhard Luf, Professor für Rechtsphilosophie an der Universität Wien, erklärt im "Wiener Zeitung"-Interview, wo für ihn die Eckpunkte einer fundierten juristischen Ausbildung liegen, warum er gegen ein "technokratisches Bildungsmodell" Sturm läuft und weshalb es keinen Sinn macht, Rechtsphilosophie als "metaphysische Wolkenschieberei" zu betreiben.
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"Wiener Zeitung": Laut jüngsten Arbeitsmarktdaten steigt die Arbeitslosigkeit unter Akademikern - auch Juristen sind da keine Ausnahme. Was kann und soll die universitäre Ausbildung bieten, um die Juristen konkurrenzfähig zu halten?
Luf: Da gibt es zwei Ansätze: Die eine Richtung will bei den Studenten schon während des Studiums durch hohe Spezialisierung auf die spätere Berufspraxis vorbereiten. Die zweite Richtung - und das ist, glaube ich, der richtige Weg - will universell gebildete Juristen, die geistig flexibel sind und sich intellektuell auf die verschiedensten Herausforderungen einstellen können.
Wie lässt sich der Vorwurf, der oft von Seiten der Wirtschaft kommt, die Unis würden am Bedarf der Praxis vorbei produzieren, entkräften?
Ich kenne diese Einwände und stehe ihnen im höchsten Maße skeptisch gegenüber. Das ist ein technokratisches Bildungsmodell, dem die Universität gar nicht entsprechen kann und soll. Ich plädiere nicht dafür, an der Praxis vorbeizulehren, aber wer bitte kann beantworten, was die Praxis eigentlich ist? Die Problematik lässt sich sehr gut am Beispiel der berühmten "Orchideenfächer" darlegen. Vor dem 11. September hat sich kaum jemand für das Studium der Orientalistik interessiert, nach dem 11. September waren sämtliche Fächer, die sich mit dem Islam beschäftigt haben, völlig überlaufen. Die Frage, welche Ausbildung, welche Spezialisierung braucht die Praxis, lässt sich redlicher Weise nur mit einem extrem kurz angesetzten Zeithorizont beantworten. Auf lang Sicht werden - auch in der Wirtschaft - nicht Spezialisten, sondern Menschen, die sich an Veränderungen anpassen können, gebraucht.
Welche Aufgabe kommen dabei der Rechtsphilosophie zu?
Der Rechtsphilosophie kommt die Aufgabe zu, die gegebene Rechtspraxis zu hinterfragen. Diese Selbstreflexion des eigenen Tuns kann dem Juristen eine bessere Problemsicht vermitteln.
Können Sie das anhand von praktischen Beispielen ein wenig illustrieren?
Wir beschäftigen uns mit dem internationalen Menschenrechtsdiskurs, mit Fragen der Globalisierung oder - besonders heikel - mit ethischen Fragen im Medizinrecht, Stichwort embryonale Stammzellenforschung: Die progressive Erweiterung des technischen Könnens bringt auch ein Mehr an normativen Fragen. Der stetige Zuwachs an Machbarem sorgt ständig für neue Interessenskonflikte. Nehmen Sie nur etwa die Forschung an Nicht-Zustimmungsfähigen. Einerseits besteht hier unzweifelhaft ein Forschungsbedarf, andererseits sind wir mit den verständlichen Interessen etwa der Behindertenvertreter konfrontiert.
Wie lassen sich solche Interessenskonflikte lösen?
Nur über den Diskurs. Bei sehr unterschiedlichen Auffassungen wie im eben skizzierten Beispiel ist es naheliegend, sich über die Prinzipien zu verständigen - Recht auf Leben, Selbstbestimmung, Achtung der Menschenwürde, u. s. w. Oft entsteht das Problem, dass das Recht überfordert ist, weil es Dinge entscheiden muss, die entweder ethisch noch nicht ausreichend diskutiert sind, oder wo man überhaupt nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommt. Deswegen hat man gesagt, dass das Recht zum Platzhalter für den verschwundenen moralischen Konsens geworden ist.
Sehen Sie sich selbst eher als Jurist oder als Philosoph?
Ich bin ein Grenzgänger. Je länger ich tätig bin, desto mehr bin ich von der Juristerei zur praktischen Philosophie übergegangen. Trotzdem ist es sehr sinnvoll, einen juristischen Zugang zu philosophischen Grundsatzfragen zu haben. Als Nur-Philosoph lässt man sehr oft die juristische Praxis außer acht. Bei aller Liebe zur Philosophie, muss man auch wieder zum Recht zurück finden. Sonst wird es nämlich wirklich zur metaphysischen Wolkenschieberei, zum transzendenten Wolkentreiben.
Das Gespräch führte Matthias G. Bernold