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Rechtsradikalen Nationalismus kleinzureden, ist zu wenig

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare
Clemens M. Hutter war Leiter des Auslandsressorts bei den "Salzburger Nachrichten".

Sachsens Politik hat zu lange die Augen vor den Problemen im Freistaat verschlossen.


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In Dresden wurde am Samstag das Fußball-Zweitligaspiel zwischen Dynamo Dresden und Hamburger SV abgesagt, weil die sächsische Polizei alle verfügbaren Ordnungskräfte bei Großdemonstrationen von Rechtspopulisten in Chemnitz einsetzen musste. Doch erstmals demonstrierten auch tausende Chemnitzer gegen den Pauschalverdacht, "die" Chemnitzer seien das deutsche Epizentrum des Hasses auf Asylanten, Ausländer und Muslime.

Diesmal stellten 1800 Polizisten sicher, dass Gewaltausbrüche unterblieben - im Gegensatz zu einer Woche vorher, als es sogar einen Toten gegeben hatte. AfD-Chef Alexander Gauland billigte in der Folge mehr oder weniger, dass sich das aufgebrachte "Volk" die Rolle der rechtsstaatlichen Justiz anmaßte.

Ehe sich nun am Samstag erneut AfD, Pegida, Rassisten und Wutbürger zum Marsch durch Chemnitz aufmachten, hatten schon tausende Chemnitzer gegen "Hass, Hetze und Gewalt" der Rechtspopulisten demonstriert. Endlich nahm auch Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) das "Sachsengespräch" mit den Bürgern auf. Er warb um Vertrauen in "Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - die Grundsätze unseres Zusammenlebens" und forderte Widerstand gegen die radikale Rechte. Diese hatte noch vor einer Woche bei ihren Demonstrationen behauptet: "Das ist das Ende, wir sind die Wende!"

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 regiert in Sachsen die CDU. Die CDU-Ministerpräsidenten bemühten sich konstant, den rechtsradikalen Nationalismus kleinzureden: Sachsen sei dagegen "immun", obwohl Zusammenstöße zunahmen und Asylwerberheime in Flammen aufgingen. Dieses Kleinreden tat Gewalttaten als unpolitische Jugendkrawalle oder Bagatelldelikte von Chaoten ab.

Allerdings entzaubert die Statistik diese sonderbare Selbstzufriedenheit. 56 Prozent der Sachsen, aber nur 18 Prozent der Deutschen, halten Ausländer für eine Gefährdung Deutschlands. Die sächsischen 56 Prozent verweisen auf das "kollektive Gefühl", dass Sachsen seine reiche Tradition und seine Identität zu verlieren drohe. Hinzu kommt, dass unter anderem westdeutsche Handelsketten die Wiedervereinigung als Chance nutzten, Sachsens Wirtschaft zu "verwestlichen". Die "Ossis" fühlten sich von den "Wessis" wie arme Verwandte missachtet. Diese Beschädigung des Selbstwertgefühls erklärt auch, dass Sachsen zwar mit 4,4 Prozent die drittniedrigste Ausländerquote in Deutschland hat, aber zugleich mit 56 Prozent Quotenführer beim Fremdenhass ist.

Dementsprechend fielen die Meinungsumfragen im heurigen August aus. Sie stellten der AfD für die Landtagswahl 2019 einen Aufschwung von 9,7 auf 25 Prozent in Aussicht, der regierenden CDU aber einen Rückfall von 41 auf 30 Prozent. Allerdings sehen 76 Prozent der Deutschen die Demokratie durch Rechtsextreme gefährdet.

Natürlich kann die Polizei weder Sachsens Probleme noch eingefahrene Pauschalurteile über Menschen mit anderen Lebensformen lösen, solange diese dem demokratischen Rechtsstaat entsprechen. Wie lange hat es gedauert, bis in Österreich das Schimpfwort "Tschusch" aus dem Wortschatz verschwand?